Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay

Dich habe ich mir nicht gewünscht - Tara McKay


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Das Paar vor uns setzt zum Protest an.

      „Milly, Brian, ihr braucht sowieso noch mindestens zehn Minuten, um euch zu entscheiden“, schneidet ihnen Jo kurzerhand das Wort ab und bedenkt sie mit einem solch gewinnenden Lächeln, dass die Beiden Nathan sofort wohlwollend ansehen und nicken.

      „Möchtest du auch irgendwas?“, fragt Jo mich.

      Eigentlich habe ich keinen Appetit. Zu aufgeregt bin ich ob meiner neuen Idee. Aber dann fallen mir die köstlich aussehenden Scotch Pies ins Auge, die ich schon früher bei Graham’s geliebt habe, und mir läuft das Wasser im Mund zusammen.

      „Du siehst aus, als könntest du etwas zu Essen brauchen“, ergänzt Jo in ihrer unverblümten Art.

      „Ich nehme einen Scotch Pie.“

      „Zum hier essen?“

      Ich zögere. Auch wenn Jo völlig natürlich ist, finde ich die Situation etwas unangenehm und ich würde am liebsten meine Sachen nehmen und die Bäckerei fluchtartig verlassen. Ich sehe mich um. Es gibt immer noch die vier kleinen runden Tische, die in den hinteren Teil des Ladens gequetscht sind. Da niemand da ist, kann ich auch schlecht sagen, dass kein Platz wäre.

      „Oh, bitte!“, bettelt Jo dann auch noch. „Wir haben uns so viel zu erzählen.“

      „Gut, dann essen wir hier.“

      Als ich mit Nathan und zwei Tellern an einem der Tische einparke, fühlt es sich fast an wie früher. Als wir noch in die Primary School gingen, kamen wir nach dem Unterricht oft hierher, setzten uns an einen freien Tisch und wurden von Jos Mum mit Sandwiches oder Kuchen versorgt.

      Sheemore hat ein wirklich winziges, altes Schulhaus, in das gerade so die sieben Klassen der Primary School passen. Ich sehe Nathan an und seufze. Er ist noch ein wenig zu klein für die Schule und ich werde herausfinden müssen, ob es mittlerweile in unserem verschlafenen Nest einen Kindergarten gibt.

      Als Milly und Brian endlich entschieden haben, dass ein Blaubeermuffin wohl die gesündere Alternative ist (ich bin immer noch nicht überzeugt, dass die Blaubeere es rausreißt), verschwindet Jo im Hinterzimmer, kommt mit einem jungen Mädchen wieder, das sie hinter dem Verkaufstresen platziert und steuert dann auf mich zu.

      „Sheila überzieht gerne ihre Pause“, meint sie und deutet mit einem Kopfnicken auf die wenig motiviert wirkende Verkäuferin, die ihre Schürze zurechtzupft, auf der eindeutig Krümel eines Croissants zu sehen sind.

      „Sie sieht auch nicht so aus, als wenn sie Spaß an ihrem Job hätte“, meine ich und wie zur Bestätigung gähnt Sheila herzhaft.

      Sie sieht mehr wie ein Punk aus, als eine Bäckereiverkäuferin, aber man soll ja keine Vorurteile haben. Und wer sagt eigentlich, dass eine Punkerin nicht auch eine Verkäuferin sein kann?

      „Sheila ist schon in Ordnung. Sie wirkt immer ein wenig unmotiviert, aber sobald Kundschaft kommt, wechselt sie in Verkäufer-Modus. Dann solltest du sie erleben.“

      Tatsächlich strömen nun auf einen Schlag mehrere Leute in die Bäckerei und als würde jemand das Licht anknipsen, setzt Sheila eine fast schon unnatürlich freundliche Miene auf und begrüßt den ersten Kunden mit einem enthusiastischen: „Willkommen bei Graham’s. Was kann ich für Sie tun?“

      „Wow! Du hast recht.“

      „Ich habe eben eine gute Menschenkenntnis, deswegen habe ich Sheila eingestellt, obwohl sie keinen Schulabschluss hat und wie eine Schlaftablette im Vorstellungsgespräch wirkte.“ Jo zwinkert mir zu. „Aber nun zu dir. Machst du Urlaub in der Heimat?“

      Sie weiß, dass ich nicht nur die Ferien hier verbringe, das sehe ich ihr an der Nasenspitze an. Jo konnte noch nie etwas vor mir verbergen. Es ärgert mich ein wenig, dass sie trotzdem fragt und so tut, als hätte sie keine Ahnung. Aber hey, das hier ist Sheemore, mir hätte klar sein müssen, dass jeder von der verlorenen Tochter weiß, die wieder nach Hause gekommen ist, und außerdem kann ich Jo nicht verübeln, dass sie unsicher ist, wie sie mit mir umgehen soll.

      „Es hat in der Stadt doch sicher schon die Runde gemacht, dass ich wieder da bin“, antworte ich so lässig wie möglich.

      Jo hat wenigstens den Anstand, unter ihren Sommersprossen zu erröten.

      „Kayleigh erwähnte letzte Woche im Pub, dass sie für deinen Dad die Zimmer entworfen hat, weil du mit deinen Kindern bei ihm einziehen würdest.“

      Ein rascher Blick auf Nathan zeigt mir, dass er voll und ganz mit Spiderman beschäftigt ist und gar nicht zuhört.

      „Es stimmt. Ich bin wieder hier.“ Ich senke die Stimme und beuge mich zu Jo hinüber. „Die Kinder wissen aber noch nicht, dass wir nicht nach Italien zurückgehen.“

      Ich übergehe, dass Jo offensichtlich zu Kayleigh einen guten Draht hat. Kayleigh MacDuff, die wir immer geärgert haben, ist jetzt eine ihrer Freundinnen?

      Jo betrachtet meinen Nachwuchs interessiert.

      „Weißt du eigentlich, dass du mir nie erzählt hast, dass du einen Sohn bekommen hast? Ich habe ihn damals bei der Beerdigung das erste Mal gesehen.“

      Naja, nachdem wir keinen Kontakt hatten, hätte ich ihr das auch schlecht sagen können. Als ich mit Emma schwanger wurde, wusste Jo natürlich Bescheid, sie war meine Vertraute. Ich schickte ihr per Mail Fotos von Emma kurz nach der Geburt, aber dann versandete unsere Freundschaft irgendwie.

      „Ich weiß auch nicht, warum ich mich nie wieder gemeldet habe“, sage ich, aber in Wirklichkeit weiß ich es sehr wohl.

      Jo lebte das Leben, das wir uns als Teenager ausgemalt hatten. Sie ging nach Glasgow, um einen Kurs am College zu besuchen, bei dem man nicht nur alles rund ums Backen lernt, sondern auch, wie man ein Geschäft führt. Wir hatten immer geplant gemeinsam eine Wohnung in Glasgow zu nehmen, wo ich eigentlich etwas mit Fotografie oder Design hatte studieren wollen. Zu sehen, wie sie diesen Traum lebte, während ich mit neunzehn Jahren bereits ein Baby versorgen musste, war einfach mehr, als ich ertragen konnte.

      Weil Jo aber eben Jo ist, zuckt sie einfach nur mit den Schultern, als wenn es die Zeit einfach nicht gegeben hätte, in der wir keinen Kontakt hatten.

      „Jetzt bist du ja wieder hier.“

      Ich erzähle ein bisschen von Emma und Nathan, hole mein Handy hervor, um ihr ein Foto meiner Tochter zu zeigen und Jo pfeift anerkennend.

      „Sie ist hübsch. Ein ganz anderer Typ als du, trotzdem ist sie bezaubernd. Sicher fliegen die Jungs auf sie.“

      Ich schnappe nach Luft.

      „Mit dreizehn?“, frage ich entsetzt.

      „Du warst in dem Alter schon der absolute Jungsmagnet.“

      „War ich nicht“, protestiere ich schwach.

      „Du hast sie angezogen, wie das Licht die Motten.“

      „Du doch auch.“

      „Quatsch!“

      Jo hat ein Problem. Nämlich, dass sie wunderschön ist und es selbst nicht weiß. Wenn ich mir bei meinen Besuchen am Feenhügel eine Elfe vorgestellt habe, dann sah ich immer ein bisschen meine beste Freundin Josephine Graham vor mir. Sie ist klein, zierlich, hat eine fast durchscheinende Haut mit zarten Sommersprossen und feines, rotes Haar, das weich wie das eines Babys ist und ebenso traumhaft locker fällt.

      „Du bist immer noch viel zu bescheiden. Eve Smithers hat mir erzählt, dass du einen festen Freund hast?“

      „Uh… Sind wir jetzt schon bei Klatsch und Tratsch über mich angekommen? Dann hole ich uns eine Kanne Tee und für den jungen Mann eine Limonade. Wie wäre es noch mit einem Würstchen im Blätterteigmantel? Von so einem Spiderman wird man wohl kaum satt.“

      Jo grinst Nathan an und von dem Moment an, sind die beiden beste Freunde. Als sie ihn fragt, ob er mit ihr zum Kühlschrank kommen möchte, um sich eine Limonade auszusuchen, nimmt er sofort vertrauensvoll ihre Hand und hüpft neben ihr her, soweit es die Enge der kleinen


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