Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay
von mir abfällt. Jetzt kann ich zugeben, wie groß meine Angst vor einem Wiedersehen mit Jo war. Vielleicht völlig unbegründet, aber das wird sich noch zeigen.
Weil Nathan in Jo total vernarrt war und sie mit Fragen bombardierte wie „Hast du Kinder? Warum hast du keine Kinder? Gehören dir alle Kuchen? Und du hast keine Kinder für die vielen Kuchen?“, haben wir beschlossen, uns am Abend nochmal im Fairytale zu treffen.
„Ich gehe sonst nur samstags aus, weil ich jeden Wochentag früh aufstehen muss. Aber für dich mache ich eine Ausnahme“, begrüßt mich Jo vor der Tür des Pubs, wo wir uns verabredet haben.
Nathan liegt bereits im Bett. Emma schaut sich mit ihrem Großvater den ersten Teil von Harry Potter an. Sie konnte es gar nicht glauben, als Dad ihr sagte, dass er weder die Bücher gelesen, noch die Filme gesehen hat.
„Grandpa, du weißt schon, dass die Autorin die Bücher in Edinburgh erfunden hat?“
„Oh, dann muss ich sie selbstverständlich lesen.“
„Und wir fangen am besten noch heute mit dem ersten Film an. Zum Glück habe ich sie alle auf meinem Prime Video-Account.“
Harry Potter ist noch so etwas aus Großbritannien, das Emma gar nicht so blöd findet. Tatsächlich liest sie sehr viel und ihre Idee, nur italienische Autoren zu lesen, wurde ihr selbst nach einer kurzlebigen Phase zu langweilig. Manche Dinge muss man als Mutter einfach nur aussitzen können.
„Tut mir leid, ich habe überhaupt nicht daran gedacht, dass du ja extrem früh aufstehen musst“, entschuldige ich mich bei Jo.
„Kein Problem. Ich würde gerne mehr weggehen, aber…“ Sie zuckt die Achseln bedauernd und für einen Moment habe ich das Gefühl, als wäre die Bäckerei ihr eine Last.
Doch dann zieht sie mich schon mit und wir betreten gemeinsam das Pub, mir schlagen rockige Klänge, Gelächter und die typisch britische Pubatmosphäre entgegen, die ich vermisst habe. Ich werde eingehüllt in ein Stück schottische Normalität, die mich in meiner Entscheidung bestätigt, wieder hierher zu kommen.
Sämtliche Plätze sind besetzt, in jede Nische haben sich die Leute gequetscht und so ergattern Jo und ich nur noch zwei Stühle an der Bar.
„Oh mein Gott, was ist hier denn los?“, frage ich, während ich meinen Blick über die vollbesetzten Tische wandern lasse, wo Frauen über einem Glas Wein kichern, Männer ihr Pint Bier in zwei Zügen leeren und großspurig angeben, wie viel sie vertragen, Tüten mit Essigchips aufgerissen werden und eine kribbelige Atmosphäre herrscht, als würden alle auf etwas warten.
„Keine Ahnung. Vielleicht hat Pete eine Happy Hour eingeführt“, scherzt Jo.
„Oder vielleicht veranstaltet Pete jeden Freitagabend ein Pubquiz, von dem du natürlich nichts weißt, da du so selten hier bist“, meint Pete, der nun aus seiner angrenzenden, kleinen Küche auftaucht.
Sein freundliches Koboldgesicht strahlt uns an. Jo und ich wechseln einen raschen Blick.
„Ein Pubquiz? Seit wann?“, fragt Jo entsetzt.
„Das mache ich jetzt schon gut ein halbes Jahr. Läuft super, wie du siehst. Ich kann nicht glauben, dass du davon noch nie etwas mitbekommen hast, Josephine Graham. Schließlich wohnst du doch nur um die Ecke.“
„Gordon und ich gehören zu der schwer arbeitenden Bevölkerung von Sheemore. Wir haben keine Zeit für sowas wie Pubquiz-Abende.“
Pete zieht die weißen Augenbrauen hoch.
„Gordon war schon mal hier. Komisch, dass er dir nichts gesagt hat.“
Ich beobachte, dass Jo ein wenig verärgert dreinblickt, ob dieser Offenbarung, aber sie vertuscht das ganz gut, indem sie lacht und irgendeinen Witz darüber reißt, dass moderne Paare nicht mehr miteinander reden, sondern sich nur noch per Whatsapp unterhalten.
„Vermutlich hat er vergessen, mir ein Bild von seinem Pubquiz-Abend zu posten. Ich werde das auf gar keinen Fall verpassen.“
Damit holt sie ihr Handy raus, schießt ein schnelles Selfie von sich und mir und schickt es an ihren Freund.
Ich erhasche einen Blick auf das Display und die Worte unter dem Bild.
Pubquiz bei Pete mit Anna. Wenn du wissen willst, wer Anna ist, dann erzähl‘ mir doch mal, wann du beim Pubquiz warst und mit wem…
Bei geschriebenen Worten weiß man meist nicht so genau, wie sie gemeint sind, aber ich kenne Jo schon so lange, dass ich ihren herausfordernden Tonfall herauslesen kann. Armer Gordon! Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Josephine Graham in vierzehn Jahren grundlegend verändert hat. Gnade ihm Gott, wenn Jo nach Hause kommt.
Pete schüttelt den Kopf, grummelt irgendwas Unverständliches über ‚die jungen Leute heutzutage‘ und nimmt unsere Bestellung entgegen.
„Dürfen wir uns jetzt geschmeichelt fühlen? Ich habe mich seit Jahren nicht mehr zu den ‚jungen Leuten‘ gezählt.“ Ich nehme gutgelaunt eine Chipstüte vom Haken, der an einem Balken neben dem Tresen angebracht ist, und schwenke sie, damit Pete weiß, dass er sie auf meine Rechnung setzen soll.
„Mit einer Teenagertochter passiert einem das vermutlich nicht so oft“, mutmaßt Jo und angelt sich eine Tüte Erdnüsse.
„Wenn man so gut altert wie du wahrscheinlich schon.“
„Pah!“ Sie streicht ihre roten Locken zurück und entblößt einen tadellosen Ansatz. „Hier habe ich irgendwo letztens ein graues Haar entdeckt. Ein graues Haar, Anna! Als wäre ich eine alte Frau.“
„Macht dein Freund Gordon so viel Ärger?“
Es ist ein Scherz. Aber kaum habe ich es ausgesprochen, sehe ich, wie sich Jos Miene verfinstert und ich bereue, dass ich das Thema angesprochen habe. Nach so vielen Jahren Funkstille kann man nicht einfach vertraulich sprechen, als wäre man als Teenager heimlich auf dem Schulklo zum Rauchen, um sich über den neuesten Schwarm auszutauschen.
„Ach, nein“, meint sie schließlich zögerlich. „Aber die Bäckerei macht mir schon ab und zu Kummer. Die Geräte sind alt, der Verkaufsraum müsste von Grund auf neu gestaltet werden… Aber mir fehlen einfach die Mittel dafür und der neue Bankfilialleiter von Sheemore ist nicht gerade für seine Freigiebigkeit bekannt.“
Es gibt, seit ich denken kann, eine kleine Filiale der Bank of Scotland in Sheemore, deren Leiter, Mr. Munro, schon ziemlich betagt wirkte, als ich noch ein Teenager war.
„Sag bloß, dass der alte Mr. Munro jetzt erst in Rente gegangen ist.“
„Das ist er.“ Jo senkt vertraulich die Stimme und ich muss mich vorbeugen, um sie zu verstehen. Die Stimmung ist aufgeheizt und hämmernde Rockmusik der 80er- und 90er-Jahre schallt aus den Lautsprechern. „Entweder er hat gearbeitet, bis er Neunzig war – was ich bezweifle – oder aber er ist vorzeitig gealtert. Weißt du noch, wie wir ihn heimlich immer genannt haben?“
„Mr. Meldrew! Wie dieser Typ aus der BBC-Serie, der in Pension geschickt wird und dann ziemlich miesepetrig ist.“
„Laut seiner Frau benimmt er sich jetzt ganz genauso wie Victor Meldrew in ‚One foot in the grave‘. Er meckert über alles und jeden, ganz besonders über seinen Nachfolger.“
Sie zwinkert mir gutgelaunt zu und plötzlich ist die alte Vertrautheit wieder da. Es ist, als wäre ein Raum die ganze Zeit nur schummrig beleuchtet gewesen. Man fühlt sich damit ganz wohl, aber so richtig angenehm ist es nicht, weil man nicht alles gut erkennen kann. Und dann schaltet jemand das Deckenlicht ein und plötzlich ist da so ein Aha-Effekt. Man weiß mit einem Mal, was die ganze Zeit noch gefehlt hat.
„Wenn man vom Teufel spricht…“, raunt Jo mir zu und deutet mit einem Kopfnicken zum Eingang.
Doch nicht Mr. Munro betritt das Pub, sondern Nicholas Lyle, der Typ vom Feenhügel. Er hat ein dunkelblaues Hemd an und dazu eine ziemlich teuer aussehende schwarze Stoffhose und obwohl das kein besonders außergewöhnliches Outfit ist, sticht er