Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay

Dich habe ich mir nicht gewünscht - Tara McKay


Скачать книгу
zu sein. Ganz im Gegenteil zu den meisten Italienern, die ich in meinen vierzehn Jahren in Italien kennengelernt habe. Da Emma zu drei Vierteln Italienerin und in Bologna aufgewachsen ist, macht sich das bei ihr ziemlich deutlich bemerkbar. Die pragmatische schottische Seite schlägt eher selten durch – die, die mancher als geizig bezeichnet, wogegen ich mich entschieden verwehre. Ich bin nicht geizig – nur vielleicht ein wenig verantwortungsvoller in Geldfragen.

      Ich spüre die kleine Hand meines Sohnes in meiner – ein bisschen klebrig wie meist - und drücke aufmunternd zu.

      „Bäh, Regen!“ Nathan blickt zum Himmel hinauf und verzieht sein niedliches Gesicht mit der Stupsnase, den erdbeerroten Lippen und den tiefbraunen Augen.

      „Schöner Regen“, entgegne ich lächelnd, bücke mich zu ihm hinab und knöpfe seine Jacke zu. Fürsorglich ziehe ich ihm ebenfalls seine Kapuze über den Kopf. Seine Regenjacke ist bedeutend günstiger als die seiner Schwester, aber trotzdem keineswegs billig. Bei der Kleidung der Kinder ließ Matteo nie mit sich reden, wir sollten schließlich mit seinen Angeberfreunden mithalten können.

      „Scheißregen!“, knurrt Emma, die trotz des schlechten Wetters eine Sonnenbrille trägt und diese auch nicht abnimmt, als ich entschlossen zum Taxistand laufe, Nathan und einen großen Koffer hinter mir her ziehend.

      „Scheißregen, Scheißregen!“

      Warum wusste ich, dass Nathan mit Begeisterung dieses Wort nachplappern würde? Genervt werfe ich Emma über die Schulter einen mörderischen Blick zu, den diese nur mit einem Schulterzucken quittiert. Sie folgt mir mit ihrem eigenen und Nathans Koffer ohne zu murren, was in ihrem Alter schon mal nicht schlecht ist.

      Ich habe das Gefühl, dass ich seit ihrem dreizehnten Geburtstag auf einem Pulverfass sitze, das jederzeit hochgehen kann. Und das auch tut, meist wenn ich gerade gar nicht damit rechne. Da ihr vierjähriger Bruder Nathan jedoch ihr ein und alles ist, zieht sie sogar sein Gepäck klaglos mit sich und auf dem Flug von Bologna nach Edinburgh hat sie sich mit ihm beschäftigt, während meine Gedanken immer nur Karussell fuhren und ich mich auf nichts wirklich konzentrieren konnte.

      Hinter uns geht ein Flieger in die Luft. Ich schirme meine Augen ab, als ich das Gesicht intuitiv zu ihm emporstrecke, dem Himmel und dem nieselnden Regen entgegen.

      „Alitalia“, ruft Emma sehnsüchtig, die ebenfalls nach oben guckt.

      Ich sehe schnell wieder weg, froh endlich hier zu sein. An Italien möchte ich im Augenblick am Allerwenigsten denken. Stattdessen rette ich mich in Sarkasmus.

      „Dass du das überhaupt lesen kannst durch deine dunklen Gläser...“

      Emma schiebt ihre Gucci-Brille, die ihr leicht den Nasenrücken hinunter gerutscht ist, wieder an Ort und Stelle. Ihren funkelnden Blick dahinter kann ich mehr erahnen, als dass ich ihn sehe. Wir schweigen und das ist vermutlich auch besser so. Italien – das ist ein ganz wunder Punkt in unserer derzeitigen Beziehung, über den wir besser den Mantel des Schweigens breiten.

      Ein Taxi hält direkt vor uns, der Fahrer steigt aus.

      „Wo soll’s denn hingehen?“, fragt er gut gelaunt.

      „Sheemore“, antworte ich und als er die Augen aufreißt, weiß ich, dass er an das hübsche Sümmchen Geld denkt, welches ihm diese Fahrt einbringen wird. Der verschlafene Fischerort Sheemore ist gut vierzig Meilen von Edinburgh entfernt, ein Ort, an den wohl die wenigsten seiner Gäste gefahren werden wollen. Ich bin mir plötzlich nicht mehr so sicher, dass uns das Taxi überhaupt so weit fährt, doch dann nickt der Fahrer zufrieden, öffnet seinen Kofferraum und lädt die Gepäckstücke ein.

      „Aye, Ma’am. Ich hab‘ sowieso in Kirkcaldy was zu erledigen.“

      Unter seinem buschigen Schnauzbart erahne ich ein Lächeln. Irgendwie erinnert er mich an eine schlankere Version von Mr. Dursley, dem fiesen Onkel von Harry Potter. Nur dass er wirklich nett ist und selbst seine kleinen blauen Schweinsäuglein fröhlich blinzeln.

      Erleichtert atme ich auf, dann verfrachte ich Emma auf den Rücksitz, während der Taxifahrer einen Kindersitz für Nathan aus dem Kofferraum holt. Nachdem ich meinen kleinen Sohn angeschnallt habe, lasse ich mich zufrieden auf den Beifahrersitz gleiten. Durchatmen. Die erste Hürde ist genommen.

      „Das is‘ nicht meine übliche Route. Der Bus würde sie auch billiger kommen, aber mir soll’s recht sein.“

      Innerhalb weniger Minuten erfahre ich, dass unser Fahrer Adhaim heißt, in Kirkcaldy eine Freundin hat und schon seit 30 Jahren Taxi fährt. Ich liebe seinen warmen Edinburgher Akzent - ein wenig tiefer und langsamer, als man in meinem Heimatort spricht -, weswegen ich ihn einfach erzählen lasse und nur ab und zu ein strategisches ‚Aha‘ und ‚Achso‘ einstreue.

      In seinen Worten könnte ich baden, so wohltuend empfinde ich ihren melodischen Klang. Alleine endlich wieder Englisch zu sprechen ist herrlich, doch der schottische Akzent ist für mich ganz besonders. Emma empfindet ganz sicher nicht so wie ich, denn ich höre sie anfangs entnervt auf dem Rücksitz stöhnen. Dann holt sie ihr Handy mit den Kopfhörern heraus und macht ihre Musik an. Nathan sitzt neben ihr, sie steckt ihm einen Stöpsel in ein Ohr, während sie die andere Hälfte nimmt. Ich höre leise eine Melodie von Lewis Capaldi. Komisch, mit schottischen Sängern scheint sie weniger ein Problem zu haben, aber der ist zur Hälfte ja auch Italiener.

      Ich spreche konsequent mit den Kindern Englisch, Matteo Italienisch, aber Emma hasst fast alles, was aus meiner Heimat kommt. Ausgenommen natürlich ihre Großeltern, die sie immer ein wenig lieber mochte als Matteos Eltern, obwohl sie sie viel seltener zu Gesicht bekommen hat.

       Matteo…

      Mir entfährt ein abgrundtiefer Seufzer, unser Fahrer Adhaim sieht mich fragend von der Seite an. Ich starre zum Fenster hinaus, gebe vor seine Blicke nicht zu bemerken, während wir die Forth Road Bridge überqueren, die den Firth of Forth überspannt. In der Ferne sehe ich die majestätischen roten Bögen der Eisenbahnbrücke, die wir immer überquerten, wenn ich mit meiner Mum nach Edinburgh zum Einkaufen fuhr. Das Meer ist ein wenig düster heute, genauso wie der Himmel, was aber nicht bedeutet, dass das den ganzen Tag so bleiben muss.

      Der Juni hat kaum begonnen, die Sommerferien liegen vor uns und Schottland hat von jeder Art von Wetter etwas zu bieten. Manchmal sogar mehrmals am Tag. Emma wird mosern, weil sie normalerweise den Sommer bei ihren Großeltern in Rimini am Strand verbringt. Dieses Jahr hat sie mir schon seit April in den Ohren gelegen, dass sie im Sommer einen schönen Teint bekommen will, um im neuen Schuljahr so gut wie möglich auszusehen. Ich wusste nicht, dass das mit dreizehn Jahren schon so wichtig ist, aber eins weiß ich ganz sicher: in Schottland wird das mit dem Teint nichts.

      Das neue Schuljahr… Ich seufze erneut, blicke weiter zum Fenster hinaus, während wir Edinburgh hinter uns lassen und immer weiter die Küste entlangfahren. Ich lausche dem Singsang der Lowlands, während mir Adhaim nun seine Meinung über den Brexit kundtut. Ich höre zu, wie er über England schimpft und dass er es satt habe, ständig nach der Pfeife ‚derer da unten‘ zu tanzen. Womit er offensichtlich die Regierung in London meint. Ich streue hin und wieder ein Wort oder einen Satz ein und lasse dabei die Landschaft an mir vorbeifliegen.

      Adhaim tuckert langsam über kleine Landstraßen. Es stört mich nicht. Im Gegenteil, so kann ich jeden Hügel begrüßen, mich – wie so viele Male zuvor – über die zahlreichen Golfplätze Schottlands wundern (Ich meine, mal im Ernst, wie viel Golf kann man spielen, dass man an jeder Ecke einen Club braucht?) und ab und zu einen Blick auf das Meer erhaschen. Mein Meer. Nicht die Adria, die ich nie als mein Meer betrachtet habe, sondern die Nordsee an Schottlands Ostküste.

      „Macht ihr Urlaub in Sheemore?“, fragt Adhaim mit einem kurzen Kopfrucken nach hinten, wo Emma und Nathan nun ein Fingerspiel spielen, das mein Sohn besonders liebt. Ich wünschte, Nathan würde schlafen, aber ich bin zufrieden, dass er mit seiner Schwester beschäftigt ist, anstatt zu quengeln, was er bei Autofahrten gerne tut. Den Esel aus Shrek mit seinem ‚Sind wir schon da? Sind wir jetzt da? ‘, steckt er für gewöhnlich locker in die Tasche.

      Ich spüre Emmas Blick, der sich in meinen Nacken bohrt. Keine


Скачать книгу