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mir atmet meine Tochter erleichtert aus. Ich weiß, dass sie Angst hat, für immer hier bleiben zu müssen. Und sie weiß gar nicht, wie nahe sie damit an der Wahrheit dran ist.

      Als wir vor dem kleinen Cottage stehenbleiben, in dem ich aufgewachsen bin, muss ich tief durchatmen, damit mir nicht die Tränen in die Augen treten. Ich war in den letzten vierzehn Jahren viel zu selten hier, aber im Grunde bin ich ein absoluter Familienmensch. ‚La Famiglia‘ – für meine italienische Mutter gab es nichts Wichtigeres als Dad und mich und irgendwie habe ich das wohl von ihr übernommen.

      In den letzten Wochen gab es zudem einige Situationen, in den mir nach Heulen zumute war, aber der Kinder wegen musste ich stark sein. Zumindest bilde ich mir das ein. Aber jetzt, als ich das zweihundert Jahre alte steinerne Cottage meiner Eltern sehe, das seit seiner Erbauung im Besitz meiner Familie ist, brennen meine Augen verdächtig. Es war immer da – zuverlässig und stabil – und in mir breitet sich eine willkommene Ruhe aus, die ich schon seit langem nicht mehr gespürt habe.

      Es steht auf einem Felsen, etwas abseits des Ortes und blickt direkt aufs Meer hinaus, als wolle es ankommende Schiffe begrüßen und Neuankömmlingen gleich zeigen, mit welchem Charme Sheemore aufwarten kann. Und tatsächlich ist das Cottage meiner Eltern bezeichnend für den gesamten Ort, der so wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Am Hafen, den man von unserer Klippe aus sehen kann, dümpeln ein paar Fischerboote und an der Promenade reihen sich bunte Häuserzeilen aneinander. Ich kann es kaum erwarten dorthin zu gehen, doch zunächst hieve ich mit Adhaim unsere Koffer aus dem Auto, bezahle meine Fahrt inklusive großzügigem Trinkgeld, das mir ein zufriedenes Lächeln mit einer Reihe gelblicher Zähne einbringt, und bleibe dann mit meinen Kindern vor dem Gartentor unseres Hauses, mit dem zauberhaften Namen ‚Fairy Cottage‘, stehen.

      Hinter mir braust das aufgewühlte Meer in die Bucht, die direkt unter dem Felsen liegt, während Adhaim wendet, um die schmale Straße zurück zur Landstraße zu fahren.

      Als die rote Tür des steinernen Häuschens auffliegt und Malcolm McDonald groß und breitschultrig im Türrahmen steht, wie immer viel zu massiv für das winzige Haus, als wäre er Gulliver in Liliput, kommen mir doch die Tränen. Ich drücke die Klinke auf und renne auf meinen Vater zu, der mich mit einem beruhigenden Brummen auffängt. Zu meiner Überraschung tun es Emma und Nathan mir gleich und ihr Großvater umfängt mit seinem linken Arm mich, mit dem rechten seine Enkelkinder. Neben mir höre ich Emma kurz aufschluchzen. In dem Moment wird mir bewusst, dass zumindest sie mehr von den Turbulenzen der letzten Wochen mitbekommen haben muss, als mir klar war. Das schlechte Gewissen trifft mich wie ein Hammerschlag auf den Kopf.

      Ich hätte besser aufpassen müssen, durchfährt es mich wie ein Blitz und ich zucke zusammen. Irgendeine kleine Stimme meldet sich mit den Worten, dass es nicht allein meine Schuld ist, wie alles gekommen ist, aber ich bin sehr gut darin, sie zu unterdrücken. ‚Ich bin an allem schuld‘, dieses Motto hat sich die letzten Jahre in mein Hirn gebrannt.

      „Ihr wart lange nicht hier“, begrüßt uns mein Vater, der es tatsächlich schafft, diese Worte nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.

      Ich trete einen Schritt zurück, damit er seine Enkelkinder bewundern kann. Nathan hängt an Emmas Hosenbein und guckt zu seinem Grandpa empor, den er in seinem Leben erst zweimal gesehen hat. Da er beim letzten Mal erst eineinhalb Jahre alt war, kann er sich daran sicher nicht erinnern, aber ich habe ihm viel von Malcolm McDonald erzählt, dem Mann, von dem er sein blondes Haar geerbt hat und Emma ihre meerblauen Augen. Das letzte Mal, dass wir hier waren, war bei der Beerdigung meiner Mutter. Ich schlucke und dränge die Tränen zurück, die sich schon wieder einen Weg bahnen wollen.

       Verdammt, ich bin froh, hier zu sein! Warum muss ich denn dann dauernd heulen?

      Um mich abzulenken, fasele ich irgendwas von ‚Gepäck holen‘ und gehe den schmalen Kiesweg zurück, während mein Vater Emma nach drinnen schiebt und Nathan seiner großen Schwester wie stets einfach folgt, seine kleinen Kinderaugen kugelrund und bewundernd ob dieses Riesen von Großvater. Sein italienischer Nonno ist eine etwas größere Version von Danny de Vito.

      Ich zerre meinen und Nathans Koffer hinein, dann hole ich auch Emmas. Unser ganzes Leben in drei Gepäckstücke gepresst. Mehr habe ich nicht mitgenommen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir irgendetwas von unseren anderen Besitztümern nachholen können und ich möchte Matteo auch nicht danach fragen.

      Aber darüber möchte ich nicht nachdenken. Nicht jetzt. Das hat Zeit. Eigentlich will ich am liebsten nie wieder an Matteo und Bologna und all das denken, aber das werde ich wohl müssen, schließlich ist er der Vater meiner Kinder und noch immer mein Mann. Und es gibt leider keine Fee, die ihren Zauberstab schwingt und alles ungeschehen macht, was passiert ist, auch wenn ich jetzt an einem Ort bin, an dem Feen im Allgemeinen recht präsent sind. ‚Sheemore‘ ist nicht umsonst die abgeleitete Version eines alten gälischen Namens für ‚Feenhügel‘.

      Mein Vater sitzt mit den Kindern am Küchentisch, vor ihnen eine Servierplatte mit Scones. Er hat auch eine Kanne Tee hergerichtet, vermutlich als ich ihn anrief, dass wir in zehn Minuten da sein würden. Scones und Tee – typisch für meinen durch und durch schottischen Vater. Emma zieht die Nase kraus.

      „Ich weiß, Nonna hätte Biscotti und heiße Schokolade gemacht“, seufzt Dad mit einem wehmütigen Lächeln. „Das kann ich leider nicht bieten.“

      „Das musst du auch nicht“, antworte ich schnell, ehe Emma etwas sagen kann. „Biscotti haben wir in Italien wirklich genug.“

      „Ich habe die Scones auch nicht selbst gebacken. Nur falls ihr denkt, sie könnten nicht schmecken…“

      „Besser so“, sage ich grinsend, angle mir eins vom Tisch und küsse meinen Vater im Vorbeigehen auf den Kopf. Sein blonder Haarschopf ist mit grauen Strähnen durchzogen, die mir früher nie so aufgefallen sind. „Sind die von Graham’s?“

      Ich beiße in das weiche Gebäckstück, koste die Süße des Teiges, der sich mit dem Geschmack von Rosinen vermischt und schließe die Augen. Ich hätte nicht fragen müssen. Natürlich sind die Scones von Graham’s, der einzigen Bäckerei in Sheemore. Mein Vater kann vieles, aber nicht kochen und backen. Ich frage mich kurz, wie er ohne meine Mum zurechtkommt, aber da reißt er mich auch schon aus meinen Gedanken.

      „Wusstest du, dass Josephine die Bäckerei mittlerweile übernommen hat?“, fragt Dad, der Emma ebenfalls ein Scone anbietet.

      Nur zögernd nimmt diese an. Ich sagte ja bereits, dass meine pubertierende Tochter so ziemlich alles aus meiner Heimat blöd findet. Trotzdem ist sie höflich, das muss man Emma lassen und sie will ihren Grandpa sicher nicht vor den Kopf stoßen. Nathan, der entgegen seiner Gewohnheiten gar nicht schüchtern ist und bei seinem Großvater auf dem Schoß sitzt, wird bereits von Dad mit kleinen Häppchen Scone, dick bestrichen mit Sahne und Marmelade, gefüttert.

      „Ich habe zu Jo eigentlich keinen Kontakt mehr.“

      Genau genommen habe ich mit niemandem aus Sheemore mehr Kontakt und auch nicht zu den Freundinnen, mit denen ich in Kirkcaldy zur Schule gegangen bin. Unsere Leben gingen vor vierzehn Jahren auseinander, als wir alle unseren Abschluss in der Tasche hatten. Der Sommer, in dem wir voller Träume waren und in dem mein Leben eine völlig andere Richtung nahm als gedacht. Mein Blick schweift zum Fenster, weit zum Meer hinaus und als hätte Dad es gesehen, klatscht er begeistert wie ein Kleinkind in die Hände, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er mag wie ein Felsen aussehen, aber der hat einen ziemlich weichen Kern.

      „Wer möchte sein Zimmer sehen?“, fragt er Emma und Nathan.

      „Ich kenne das Zimmer, das wir immer haben, Grandpa. Es ist Mums altes Kinderzimmer, vollgeramscht mit Plunder, der vor Jahrhunderten mal ‚in‘ war.“

      „So alt bin ich auch wieder nicht“, protestiere ich beleidigt.

      „Wie alt bist du? Zweiunddreißig? Das ist uralt.“

      Ich möchte gerade über einen Vortrag darüber anheben, dass bei den meisten Frauen das Leben ab dreißig erst losgeht, da unterbricht mich Dad gutgelaunt.

      „Aber nein, doch


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