Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay
sagen lässt. Erstens liebt er Whisky – er macht eine richtige Wissenschaft daraus, wenn man ihn darauf anspricht – und zweitens will er seine verstorbene Frau ehren. Es sind etwa anderthalb Jahre vergangen seit Mums Tod, aber sie war Dads Traumfrau. Undenkbar, dass er über sie bereits hinweg ist.
Matteo und ich – das ist etwas völlig anderes. Wir waren irgendwann mal sehr verliebt ineinander, aber wir kannten uns viel zu wenig, um schon zu heiraten. Anfangs trug uns unsere Verliebtheit durch die ersten Jahre - und der feste Glaube, dass wir als kleine Familie alles schaffen können. Später waren es nur noch die Kinder, die unsere Ehe am Leben hielten. Jetzt sind wir kein Paar mehr. Dabei hatte ich mir immer eine Ehe gewünscht wie die meiner Eltern.
Ein schöneres Paar kann man sich nämlich gar nicht vorstellen. Der großgewachsene Hüne Malcolm McDonald und der kleine Wirbelwind Paola Zanetti – gegensätzlich wie ein Fisch und ein Vogel - und dennoch wie für einander gemacht, denn der Fisch liebte es, wenn der Vogel ihm Geschichten vom Fliegen erzählte und der Vogel brauchte ab und zu eine Abkühlung, die der Fisch ihm bieten konnte.
Meine Mum musste mir als Kind ständig die Geschichte erzählen, wie sie einander kennengelernt haben. Besser als jedes Märchen von einer Prinzessin – wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich mit acht Jahren ziemlich heftig in Prinz William verknallt war und gegen eine Heirat mit ihm nichts einzuwenden gehabt hätte. Meiner Freundin Jo hatte ich Prinz Harry zugedacht, da sie genauso rote Haare hat wie er. Ich erinnere mich noch, dass sie ziemlich sauer deswegen war.
„Weißt du noch, wie Mum mir immer erzählte, dass sie dich gesehen hat und sofort wusste, dass du der Mann bist, mit dem sie eine Familie gründen will?“
Dad lächelt, während er aufsteht, um unseren Whisky einzuschenken.
„Ist dir ein 15-jähriger Laphroaig zu ihren Ehren recht? Ein seltener Tropfen, den man kaum noch bekommt.“
Ich will ihm nicht zu nahe treten, aber für mich könnte es auch irgendein billiger Fusel aus dem Supermarkt sein und ich hätte keine Ahnung, was ich da gerade trinke. Auch wenn es sehr unschottisch ist, ich kann einfach keine Whiskysorten auseinanderhalten und ich mag genaugenommen keinen Whisky. Deswegen zucke ich nur ungerührt die Achseln.
„Klar.“
Ich sehe, wie Dad ein wenig resigniert den Kopf schüttelt. Es muss ein herber Schlag sein, dass sein einziges Kind sich nicht für seine Leidenschaft erwärmen kann.
Stattdessen plappere ich einfach weiter: „Ich liebte es, wenn sie mir von ihrer Europareise erzählte, die sie mit ihren zwei Freundinnen genau an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag antrat.“
„Weit kam sie ja nicht“, brummt Dad, dann setzt er sich mit den beiden Gläsern zu mir und drückt mir eins in die Hand.
„Von Italien nach Deutschland, dann nach Frankreich und von Calais setzte sie nach Dover über“, sinniere ich verträumt.
„Was sie in dem vermaledeiten England wollte, ist mir immer noch ein Rätsel“, schmunzelt Dad und ich weiß, dass er es nicht ernst meint. „Aber sonst hätte sie ja nicht bei mir landen können.“
„Richtig. Schließlich wollte sie ja zum Loch Ness. Was seltsam ist, denn Mum hat noch nie an Fabelwesen geglaubt. Trotzdem wollte sie nachsehen, ob es Nessie wirklich gibt.“
„Stattdessen hat sie dort nur einen jungen Burschen gefunden, der mit seinem Studienfreund campen war. Sie überredete ihn nicht nur dazu, dass er ihr und ihren Freundinnen ein Zelt aufbaute, sondern auch noch, dass er sie zum Essen ausführte.“
„In ein grauenhaftes Pub, wo sie aus Versehen eine Nierenpastete bestellte, weil sie nicht wusste, was Niere auf Englisch heißt und dachte, dass ‚Kidney‘ irgendetwas mit roten Bohnen zu tun hat.“
„Es ist ein Wunder, dass sie trotzdem beschlossen hat, in Schottland zu bleiben. Ich habe deine Mutter nie wieder von etwas so angewidert gesehen, wie von dem Geruch, als sie in die Kruste der Pastete schnitt. Ehrlich gesagt dachte ich, dass sie gleich zu würgen anfängt. Immerhin war sie schon ziemlich grün im Gesicht.“
„Mum hat immer gesagt, dass sie dich auf diesem Campingplatz am Loch Ness gesehen hat und sofort verliebt war. Sie meinte, du sahst aus, wie eine zu groß geratene Version des jungen Robert Redford.“
„Weiß nicht, was sie an dem fand, aber ‚Barfuß im Park‘ war ihr Lieblingsfilm.“
Wieder kriegt Dad diesen trüben Blick. Aber traurig bin ich selbst schon genug, deswegen möchte ich ihn unbedingt aufheitern. Und indirekt mich auch.
„Ich denke, Mum wollte nach dem Nierenpasteten-Desaster ein wenig kulinarische Kultur nach Schottland bringen.“
„Das ist ihr ja auch gelungen“, meint Dad – der im Übrigen überhaupt keine Ähnlichkeit mit Robert Redford hat, wie ich finde. Aber ich bin ja auch seine Tochter, das ist wohl etwas anderes. Man sieht seine eigenen Eltern sicher nicht ganz so verklärt, wie sie sich gegenseitig.
„Slàinte mhath!“
„Auf Mum!“
Wir erheben beide unser Whiskyglas und schließen beim Trinken unsere Augen. Dad, weil er genießt. Ich lediglich, weil ich Angst habe, dass die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meiner Kehle und meinem Magen brennt. Was sie prompt auch tut. Auf manche Dinge könnte man seinen Allerwertesten verwetten.
„Oh, nun komm schon, Anna“, wettert Dad, als er die Augen öffnet und mein leicht verzerrtes Gesicht sieht. „Ein Laphroaig ist nicht scharf im Abgang. Schmeckst du nicht die Süße, den leichten Birnengeschmack?“
„Ehrlich, Dad, du kannst nicht im Ernst von Birne reden, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste irgendeine schreckliche Medizin trinken.“
„Wie deine Mutter“, seufzt er resigniert. „Und vierzehn Jahre Italien haben deine Geschmacksknospen nicht gerade gebildet.“
„Na, darauf nehme ich gleich noch einen Schluck“, antworte ich und nehme einen großen Zug, der mein Glas fast vollständig leert. Nichts will ich lieber aus meinen Gedanken vertreiben, als die Zeit mit Matteo.
Kapitel 2
Ich starre an die Zimmerdecke und entdecke ein kleines Loch wenige Zentimeter neben dem Lampenauslass. Dad hat es gebohrt, weil er meinte, dass der Kristalllüster aus bunten Plastikkristallen dort hängen sollte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ihm als Fünfzehnjährige die Hölle heiß gemacht habe, weil ich der Meinung war, dass das nicht mittig sei. Tatsächlich hatte ich lieber ein Loch in der Decke in Kauf genommen und ihn an der Stelle bohren lassen, die ich für richtig hielt. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fühle ich mich irgendwie schlecht.
Möglicherweise warst du eine ganz schöne Zicke als Teenager, sage ich zu mir selbst und wenn ich so an Emma denke, dann hat sie das wohl von mir geerbt. Sie hat ihren eigenen Kopf, ihre Vorstellungen und das muss auch alles so durchgesetzt werden.
Mir wird ein wenig übel, wenn ich darüber nachdenke, dass ich ihr sagen muss, dass wir nicht nach Bologna zurückkehren. Aber dafür habe ich noch ein wenig Zeit. Bloß nichts überstürzen. Vielleicht ist mir auch einfach nur von Dads Whisky flau im Magen.
Ich frage mich, wann aus der Zicke Anna die brave folgsame Anna wurde, die, wann immer etwas in der Familie schief lief, die ganze Schuld auf sich nahm. Ich glaube, es muss angefangen haben, als ich mit Emma unerwartet schwanger wurde und sowohl meine Eltern, als auch die von Matteo ziemlich vorwurfsvoll meinten, wie mir das habe passieren können. Als wäre ich alleine an der ganzen Angelegenheit beteiligt gewesen…
„Kommt ihr zum Frühstück?“, blökt Dad durch das ganze Haus.
Ich sehe auf meine Fitbit-Armbanduhr (ich bin nicht wirklich sportlich, ich tue mit der Uhr aber gerne so als ob), blinzele kurz und schaue dann nochmal genauer hin.
Sieben Uhr? Ist das sein Ernst?
Emma