Vulkanjäger. Катя Брандис
Aber die Leute sehen nun mal lieber Lavafontänen im Fernsehen als herumspritzendes Heißwasser. Außerdem bin ich streng genommen Vulkanologe.“ André ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ist das okay für dich, Jan? Traust du dir das zu?“
In diesem Moment traute ich mir alles zu. Oder zumindest hätte ich zu allem Ja gesagt, Hauptsache, ich durfte wirklich mit. Also nickte ich.
André wandte sich an meine Mutter. „Britta?“
„Erst will ich wissen, wo ihr überhaupt hinfahren werdet.“
„Erst mal Hawaii. Danach schauen wir mal, wo gerade ein Vulkan ausbricht.“ André breitete entschuldigend die Hände aus. „Vorausplanen kann man so was selten.“
„Na gut“, sagte meine Mutter und ich atmete auf. „Aber ihr geht nicht so nah ran, okay?“
„Versprochen – wir drehen fleißig mit Tele“, gab André fröhlich zurück. So fröhlich, dass ich nicht sicher war, ob er es ernst meinte.
Meine Mutter seufzte tief, dann beugte sie sich zu mir und umarmte mich. „Vielleicht ist es wirklich besser, dass du mit ihm fährst. Ich habe nämlich eine Anfrage für ein Projekt in Dubai, könnte sein, dass ich im Sommer ein paar Wochen weg bin ...“
Ach so. Deshalb hatte sie sich so schnell umstimmen lassen. Dabei hätte es mir nicht mal besonders viel ausgemacht, alleine hier zu bleiben. Ich war gewohnt, mich durchzuschlagen, wenn Mama bei Kunden vor Ort arbeitete. Einkaufen, Wäsche machen, Spülmaschine ein- und ausräumen, bei ausreichendem Hunger irgendetwas in den Topf werfen und so weiter. Manchmal fühlte ich mich allerdings bescheuert dabei, ich war der Einzige in meiner Klasse, der daheim den Haushalt organisieren musste. Meine Freunde kamen sich schon heldenhaft vor, wenn sie mal den Müll rausbrachten. Dafür mussten sie aber auch um zwölf daheim sein – bei mir achtete oft genug niemand darauf, wann ich im Bett war.
Tapfer hatte meine Mutter ihren Communicator ignoriert, der schon den Eingang mehrerer Nachrichten signalisiert hatte. Als sie die Teller in die Küche trug, wusste ich, dass sie erst mal ein paar Minuten wegbleiben würde. Jetzt konnten André und ich uns ungestört unterhalten.
„Weißt du wirklich nicht vorher, wohin wir fliegen werden?“, fragte ich gespannt. Mein Vater nickte lächelnd, meine Begeisterung schien ihm zu gefallen. „Na ja, zwei Stationen stehen schon fest. Was ich auf jeden Fall filmen will, sind wie gesagt Lavaströme in Hawaii und wie die Menschen darauf reagieren. Außerdem will ich die Schwefelernte am Kawa Ijen drehen, das heißt, es geht auch nach Indonesien.“
Hawaii! Indonesien! Wahrscheinlich stand auf meinem Gesicht ein seliges Lächeln, denn mein Vater lachte. „Ich hätte auch furchtbar gerne diesen Bauer in Mexiko interviewt, in dessen Maisfeld eines Tages einfach so ein Vulkan aus dem Boden gewachsen ist. Aber der Kerl lebt leider nicht mehr.“
„In einem Maisfeld? Einfach so?“ Diesmal war ich es, der lachen musste. „Aber hier kann das nicht passieren, oder?“
„Unwahrscheinlich. Vulkanausbrüche und Erdbeben gibt´s vor allem dort, wo die Platten zusammenstoßen. Du weißt schon: aus denen die Erdkruste besteht. Hattet ihr schon in der Schule, oder?“
„Längst.“
„In Süditalien ist so eine Plattengrenze, aber hier nicht. Früher gab´s in Deutschland mehr als genug Vulkane, aber der Einzige, der noch ein bisschen was hergeben könnte, ist in der Eifel.“
„So ein kleiner Vulkan im Garten wäre ganz praktisch fürs Grillen“, frotzelte ich und streichelte Lucky, die das sehr zu schätzen wusste.
André zog eine Augenbraue hoch. „Zumindest würden dann ziemlich viele Besucher vorbeikommen, um ihn sich anzuschauen.“
„Und du auch, schätze ich.“ Es war mir so rausgerutscht. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen.
„Ja. Ich unter Garantie auch.“ Mein Vater lächelte schief. „Hör zu, es tut mir wirklich Leid, dass ich mich in den letzten Jahren so selten gemeldet habe ...“
„Immerhin hast du dir meinen Geburtstag gemerkt. Gibt ja Väter, die schaffen nicht mal das.“ Es kam aggressiver raus, als ich eigentlich wollte. Seine letzte Geburtstagsnachricht war zwei Wochen zu spät eingetrudelt.
André fuhr sich durch die kurzen Haare, er wirkte verlegen. „Eigentlich hatte ich auch vor, dir ein Geschenk mitzubringen. Aber dann habe ich es in meinem Hotelzimmer vergessen ...“
Was sollte ich dazu sagen? „Tja, hab ich halt Pech gehabt“? „Schade“? „Macht nichts“? Ich sagte gar nichts und stapelte schweigend die Tassen aufeinander, um sie in die Küche zu bringen. Auf einmal war ich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, die kompletten Sommerferien mit meinem Vater zu verbringen. Wir waren noch nie so lange zusammen gewesen, was war, wenn wir uns nach ein paar Tagen an die Kehle gingen? Vielleicht hatte sich das ganze sowieso schon erledigt, vielleicht überlegte es sich mein Vater nach diesem blöden Gespräch noch mal, ob er mich dabeihaben wollte ...
„Dumm gelaufen, das mit dem Geschenk“, sagte André plötzlich. „Aber ich hatte schon länger vor, dir das hier zu geben. Ist vielleicht ein kleiner Ersatz.“
Verblüfft sah ich, wie er ein schmales Lederband mit drei tiefschwarzen Perlen von seinem Handgelenk knotete. „Die Perlen sind aus Lava“, sagte mein Vater. „Ich habe es vor ein paar Jahren in Indonesien bekommen. Es soll Glück bringen ...“
Ich nahm das Lederband und drehte es in der Hand. Die Lavaperlen fühlten sich glatt und warm an ... angewärmt von seiner Haut. Auf einmal war ich wieder den Tränen nahe, was war eigentlich los mit mir in letzter Zeit? Ungeschickt versuchte ich, das Band um mein rechtes Handgelenk zu befestigen.
„Warte, ich helfe dir“, sagte André und knotete das Band mit seinen kräftigen, gebräunten Händen fest.
„Danke“, sagte ich leise und er nickte.
André blieb nicht mehr lange, sondern plauderte nur noch eine Weile mit meiner Mutter über ihre Arbeit bei der Consultingfirma und mein Taschengeld, dann umarmte er mich zum Abschied. „Ich kümmere mich um alle Visa und Genehmigungen, dann kann es im August losgehen.“
Also hatte er seine Meinung nicht geändert!
„Sag deiner Mutter, du brauchst für die Reise drei Paar Wanderschuhe mit Kunststoff-Sohle, die könnt ihr schon mal besorgen. Alles andere, Stirnlampen und so weiter, leihe ich dir.“
„Drei Paar? Wieso das?“
Er lachte. „Wirst du schon sehen“, sagte er.
In dieser Nacht bekam ich nicht viel Schlaf. Nachdem ich die brandheißen Neuigkeiten gepostet hatte und sofort jede Menge Likes und Kommentare bekommen hatte, klickte ich mich mit klopfendem Herzen auf YouTube durch einen Vulkan-Clip nach dem anderen. Besonders lang blieb ich an einem Film über den Ausbruch des Mount St. Helens im Mai 1980 hängen. Jahrhundertelang hatte er ausgesehen wie ein ganz normaler Berg, rundum bewaldet, mit einer hübschen Schneekappe. Doch dann sprengte er eines Tages seinen Gipfel weg – explodierte einfach. Mit einer solchen Wucht, dass innerhalb von Sekunden Millionen von meterdicken Bäumen umgeworfen wurden. Ihre kahlen Stämme lagen säuberlich in die gleiche Richtung zeigend nebeneinander, als habe jemand Hügel und Täler mit Streichhölzern bedeckt. Ein riesiger dampfender Trichter klaffte dort, wo einmal die Spitze des St. Helens gewesen war. Um ihn herum ... eine graue Wüste, so weit das Auge reichte.
Eine Gänsehaut überzog meine Arme, als ich den Film wegklickte. Dieses Ding war eigentlich kein Berg gewesen, sondern eine Bombe von der Größe eines Berges! Und niemand hatte gewusst, wie lang die Lunte war.
Traust du dir das zu, Jan?
Ja. Nein. Vielleicht.
Fast ohne dass ich es bemerkte, glitten meine Finger über das Lederband mit den Lavaperlen, das ich ums Handgelenk trug. Warum wollte André überhaupt, dass ich mitkam? Jahrelang hatte er sich so selten gemeldet, dass ich ihn fast abgeschrieben hatte! Und