Todesursache: Mord. Irene Dorfner
und Leo ahnte nichts Gutes.
„Anfangs war meine Doris sehr schüchtern und zurückhaltend, aber wenn man sie aus der Reserve lockte, sehr witzig und amüsant; und dazu unglaublich hübsch, ohne dass sie es selbst wusste. Diesmal war es wirklich etwas anderes, ich habe mich richtig verliebt.“
„Das hört sich doch alles sehr gut an. Wo ist der Haken?“ Leo wurde schlecht.
Hans zögerte einen Moment und Leo sah, dass er Tränen in den Augen hatte. „Gestern wurde Doris tot aufgefunden.“
Leo musste schwer schlucken, damit hatte er nicht gerechnet. Vor allem der Gemütszustand von Hans und wie er von dieser Frau sprach, setzte ihm ganz schön zu.
„Das tut mir echt leid,“ sagte Leo. Etwas Besseres fiel ihm dazu nicht ein. Was hätte er auch sonst auf diese Nachricht sagen sollen?
„Natürlich bin ich sehr traurig über ihren Tod und weiß noch nicht, wie ich das verarbeiten soll. Es tut so weh, dass es mich beinahe zerreißt. Ich weiß nicht, wohin mit meinem Schmerz. Aber das ist es nicht allein, was mich belastet.“
Leo war erschrocken. Was kommt denn noch? Reichte der Tod der Freundin nicht?
„Die Altöttinger Kollegen, die den Fall bearbeiten, haben in Doris‘ Handy meine Nummer gefunden. Den ermittelnden Beamten kenne ich schon sehr lange und er hat mich über ihren Tod informiert. Die Todesursache war dem Arzt zufolge Herzversagen. Und das ist es, was mich nicht zur Ruhe kommen lässt, denn Doris war meiner Meinung nach vollkommen gesund. Sie hat mir gegenüber niemals eine Erkrankung erwähnt, obwohl wir uns stundenlang unterhalten haben und ich sie weiß Gott in- und wendig kannte. Ich bin auf ihrem Hof ein- und ausgegangen und habe dort sehr viel Zeit verbracht. Kein einziges Mal habe ich mitbekommen, dass Doris Medikamente eingenommen hat oder irgendwo welche herumgelegen wären. Ihr ist es auch niemals schlecht gegangen. In meinen Augen war sie ein Mädel vom Land, durch und durch kerngesund, ein richtiges Naturkind. Sie konnte zupacken, war bei schweren Arbeiten absolut nicht zimperlich. Sie war keine dieser Zicken, die sich für alles zu schade sind und sich dumm stellen. Sie war doch gerade mal 40 Jahre alt. Halt mich für verrückt, aber ich glaube nicht an diese Todesursache. Ich bin davon überzeugt, dass sie ermordet wurde.“
Hans sah Leo mit einem verzweifelten, flehenden Blick an; und Leo glaubte ihm seltsamerweise sofort.
„Hast du einen konkreten Verdacht? Eine Vermutung über ein mögliches Motiv?“
„Nein, habe ich nicht. Obwohl ich an nichts anderes mehr denken kann und mir den Kopf zermartere. Natürlich habe ich dem Altöttinger Kollegen sofort gesagt, dass ich nicht an eine natürliche Todesursache glaube, aber das hat ihn nicht interessiert. Der Totenschein zählt. Vermutungen interessieren die Polizei nicht, das brauche ich dir nicht zu sagen. Es gibt keine Ermittlungen in diesem Fall, das Ganze ist bereits abgehakt. Mir sind die Hände gebunden, ich kann nichts tun.“
„Was ist mit Viktoria? Hast du mit ihr schon gesprochen?“
Leo konnte sich die Antwort bereits denken. Seine Vorgesetzte Viktoria Untermaier war eine 47-jährige, 1,65 m große, etwas mollige und sehr attraktive Person, die sich streng an die Vorschriften hielt. Vor allem nach dem Fall auf dem Sinder-Hof bei Tüßling, bei dem sie ihrem Exmann die Nase brach und gerade noch so mit einem blauen Auge davonkam.
„Wo denkst du hin? Viktoria hält mich doch bestimmt für total bescheuert und darüber hinaus für befangen. Die Unterhaltung mit ihr kann ich mir lebhaft vorstellen. Du weißt doch selbst ganz genau, dass sie seit dem letzten Fall nur noch exakt nach Vorschrift handelt und nicht die kleinste Kleinigkeit durchgehen lässt. Bei Doris wurde eindeutig Herzversagen diagnostiziert und der Fall wurde zu den Akten gelegt. Außer meinen Zweifeln gibt es nichts, was eine Mordermittlung rechtfertigen würde. Viktoria legt sich niemals mit den Altöttinger Kollegen ohne hinreichende Verdachtsmomente an. In drei Tagen ist die Beerdigung. Ich bin davon überzeugt, dass Doris ermordet wurde, aber mir sind die Hände gebunden. Was soll ich nur machen?“
Hans brach nun völlig in sich zusammen, hielt sich die Hände vors Gesicht, drehte sich zur Seite und weinte. Leo war klar, dass umgehend gehandelt werden musste und entschied, Hans zu helfen.
„Wenn du Zweifel an der Todesursache hast und davon überzeugt bist, dass deine Doris getötet wurde, dann jammere hier nicht rum und verschwende wertvolle Zeit. Geh der Sache auf den Grund, du bist schließlich Polizist. Und selbstverständlich helfe ich dir.“
„Wirklich? Du glaubst mir und willst mir helfen?“
Hans war gerührt und erleichtert. Er hatte bereits schon darüber nachgedacht, auf eigene Faust zu ermitteln, aber alleine würde er das niemals schaffen. Vor allem zweifelte er ab und an schon selbst an seinem Geisteszustand und malte sich die schrecklichsten Szenarien und Möglichkeiten aus. Er konnte an nichts mehr denken und war kurz vorm Durchdrehen. Seine Doris wurde getötet und davon war er überzeugt. Jetzt, da er Leo an seiner Seite wusste und er sich mit dem Problem nicht mehr allein auseinandersetzen musste, ging es ihm etwas besser. Seit der Todesnachricht fühlte er sich, als würde ein schwerer Steinbrocken auf seine Brust drücken und er drohte, daran zu ersticken. Anfangs mochte er Leo eigentlich nicht besonders. Er war strafversetzt worden, den Grund kannte er immer noch nicht. Leo kam aus Ulm, wo er scheinbar eine ziemlich große Nummer war. Er ging ihm mit seinem schwäbischen Dialekt auf die Nerven, inzwischen fand er ihn lustig und hatte sich daran gewöhnt. Beruflich hatte sich Leo sehr schnell ins Team eingegliedert, war überhaupt nicht überheblich und hatte sich als sehr guter Polizist, Kollege und Freund entpuppt. Anfangs hatte Hans sich neben dem Dialekt fast für Leos Aussehen etwas geschämt, denn dieser trug immer Jeans, eine alte braune Lederjacke, immer das gleiche Paar braune Cowboystiefel, dazu entweder ein einfarbiges Hemd oder ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband, von welchen er bislang nicht eine einzige kannte. Bei den Kollegen war ein regelrechter Wettbewerb entbrannt: Wer die nächste Rockband erkannte, hatte gewonnen. Zu dem ganzen Outfit war Leo ziemlich groß, nämlich 1,90 m, und dazu noch sehr dünn. Und über allem thronten die rappelkurzen, grauen Haare. Hinter vorgehaltener Hand machten sich anfangs einige Kollegen über Leo lustig, aber das hatte sich schnell gelegt. Einige schwäbische Ausdrücke und Bezeichnungen hatten sich sogar bereits in den täglichen Sprachgebrauch eingeschlichen und waren für alle normal geworden.
Nach der Aussage von Leo war Hans euphorisch.
„Du willst mir wirklich helfen? Dir ist klar, dass das illegal ist und wir uns auf sehr dünnem Eis bewegen? Wenn das rauskommt, dann ist nicht nur Viktoria stinksauer, sondern auch unser Chef. Aktionen hinter deren Rücken können beide überhaupt nicht leiden. Wenn du mir wirklich helfen willst, musst du dir das gut überlegen. Du hast schon einen Makel in deinem Lebenslauf, einen zweiten kannst du dir nicht leisten.“
„Das weiß ich. Du bist nicht nur mein Freund, sondern auch ein sehr guter Polizist. Wenn du wirklich der Meinung bist, dass da etwas nicht stimmt, dann glaube ich dir. Einen Mord unaufgeklärt unter den Teppich zu kehren ist so gar nicht mein Fall, das würde mir überhaupt nicht gefallen. - Pass auf Hans! Sieh dich nicht um! Frau Gutbrod beobachtet uns schon geraume Zeit, sie steht oben am Fenster. Außerdem ist die Mittagspause längst vorbei. Komm heute nach Dienstschluss zu mir, dort können wir reden. Und bei der Gelegenheit kannst du Tante Gerda mal wieder besuchen, sie hat dich schon vermisst, ständig erkundigt sie sich nach dir.“
„Alles klar, bis heute Abend. Und zu niemandem ein Wort.“
„Natürlich nicht.“
Leo wohnte in der ausgebauten Wohnung auf dem Hof von Tante Gerda, Hans‘ alter Tante. Der Hof befindet sich in idyllischer Lage vor Altötting. Hier in der Abgeschiedenheit konnten Leo und Hans in Ruhe sprechen, ohne belauscht oder gestört zu werden.
Hans ging es sehr viel besser. Erstens hatte er Leo an seiner Seite und war nun nicht mehr allein. Und zweitens bekam er die Chance, herauszufinden, wer seine Doris auf dem Gewissen hatte.
Mit Argusaugen hatte Hilde Gutbrod Leo und Hans beobachtet. Sie hatte die beiden immer im Auge und wartete darauf, dass sie sie beim Chef hinhängen konnte. Sie war beleidigt. Schwartz und Hiebler hatten ihre Nichte Karin verschmäht, für die sie dringend