Todesursache: Mord. Irene Dorfner

Todesursache: Mord - Irene Dorfner


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Freundin tot zu sehen, war für ihn kaum zu ertragen. Leo halfen die Fotos sehr, um sich ein Bild von der Toten und von dem Tatort zu machen: Doris Stöger lag auf dem Küchenboden. Sie trug einen Bademantel und ein Nachthemd, offensichtlich war sie gerade aufgestanden. Aus dem Bericht des Arztes Dr. Brunnmeister, der seine Praxis in Burgkirchen hatte, war zu lesen, dass der Tod gegen 7.00 Uhr früh eingetreten war.

      „Wurde denn nicht überprüft, ob bei Doris eine Herzerkrankung vorlag? In den Unterlagen ist darüber nichts vermerkt. Und was weißt du über diesen Arzt?“

      „Eine eventuelle Herzerkrankung wurde nicht überprüft, den Altöttinger Kollegen reichte die Erklärung des Amtsarztes auf dem Totenschein. Dieser Dr. Brunnmeister, der mir bis dato völlig unbekannt war, ist 65 Jahre alt und Allgemeinmediziner. Er hat seine Praxis in Burgkirchen. Er wurde von den Kollegen zur Feststellung des Todes gerufen, da er Bereitschaft hatte. Schau mich nicht so an, Leo, ich habe mich bereits über diesen Arzt erkundigt, aber noch nicht mit ihm gesprochen, keine Sorge. Bei ihm sollten wir unbedingt nachhaken. Ich verstehe nicht, warum er auf ein Herzversagen kommt und die Leiche nicht in die Pathologie bringen ließ. Eine solche Todesursache bei einer scheinbar gesunden 40-jährigen ist doch äußerst ungewöhnlich.“

      Leo las die Unterlagen mehrmals und besah sich die Fotos wieder und wieder, während Hans ein Glas Rotwein nach dem anderen trank. Leo hatte schließlich eine Idee, zwar etwas absurd, aber durchaus im Bereich des Möglichen.

      „Die Beerdigung findet in drei Tagen statt. Wo ist die Leiche?“

      „Was weiß ich, wahrscheinlich bei einem Bestattungs-Unternehmen. Moment! Den Gesichtsausdruck kenne ich. Was hast du vor?“

      „Ich kenne jemanden, der uns eventuell helfen kann. Diese Person muss ich nur noch von meinem Plan überzeugen. Drück mir die Daumen.“

      Hans verstand kein Wort und beobachtete verwirrt, wie Leo sein Telefon in die Hand nahm und wählte.

      „Christine? Hier ist Leo, ich brauche deine Hilfe.“

      Leo schilderte den Fall ausführlich, wobei sich Hans beinahe am Wein verschluckte. Heute Mittag auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion hatten sie vereinbart, kein Wort über die Angelegenheit zu verlieren. Warum erzählte er die ganze Geschichte? Und wer war diese Christine?

      Leo bemerkte, was in Hans vorging, aber darum wollte er sich später kümmern. Jetzt musste er Christine überzeugen, ihnen zu helfen. Sie brauchten dringend die Hilfe seiner Freundin Christine Künstle aus Ulm, mit der er nicht nur viele Jahre zusammengearbeitet hatte, sondern auch sehr gut befreundet war und immer noch ist. Christine ist Pathologin, 62 Jahre alt und versteht verdammt viel von ihrem Job, den sie mit Leib und Seele ausübt.

      Sie unterbrach Leo bei seinen Schilderungen nicht. Sie schätzte ihn nicht nur als Mensch, sondern als hervorragenden Polizisten und Menschenkenner. Wenn er seinem Kollegen Hans glaubte, dann musste etwas an der Sache dran sein.

      „Was sagst du dazu Christine?“ endete Leo seine Schilderung.

      „Ich denke, ich kann dir folgen. Es ist gut, dass du mich angerufen hast. Ich bin unterwegs.“

      Sie hatte aufgelegt, für sie war alles besprochen. Sie rief ihren Vorgesetzten Michael Zeitler an, der dazu auch noch ihr Bruder war, was die Sache natürlich vereinfachte. Sie erklärte sich nicht lange, sondern nahm einfach Urlaub. Für wie lange, konnte sie noch nicht sagen, sie würde sich wieder melden. Zeitler hatte keine Chance gegen seine Schwester und genehmigte den unbefristeten Urlaub. Warum auch nicht? Christine war in den letzten Jahren keinen Tag krank gewesen und hatte schon seit Monaten keinen Urlaub mehr gehabt. Sie lebte nur für ihren Beruf. Er hatte sich bereits Sorgen um sie gemacht, schließlich war sie nicht mehr die Jüngste. Die Pathologie würde auch ein paar Wochen ohne sie auskommen.

      Christine packte rasch alles was sie brauchte in ihren Kleinwagen und fuhr eine Stunde nach dem Telefongespräch mit ihrem vollgeladenen Wagen los. Auf der Fahrt durch die dunkle, kalte Nacht dachte sie darüber nach, dass Leos Hilferuf ein willkommener Grund war, ihn endlich in seiner neuen Heimat zu besuchen. Bislang kam immer etwas dazwischen, was meist berufliche Gründe hatte. Sie telefonierten zwar regelmäßig und sandten sich Fotos und Emails, aber sie vermisste ihn und freute sich sehr, ihn endlich wieder in ihre Arme schließen zu können, auch wenn sie ihn erst vor zwei Wochen gesehen hatte. Das war ein schönes Wochenende gewesen, denn Leo hatte bei ihr übernachtet und so konnten sie sehr viel Zeit miteinander verbringen. Aber sie vermisste ihn bereits schon, als er um die Ecke bog. Bis heute konnte sie die Tatsache nicht akzeptieren, dass Leo damals die Schuld wegen des verpatzten Falles auf sich nahm und deshalb gehen musste. Sie wollte ihn in ihrer Nähe wissen, jederzeit mit ihm sprechen können. Leo war eine ihrer wichtigsten Bezugspersonen in Ulm gewesen; und dann war er plötzlich weg. Dieser Zustand gefiel ihr überhaupt nicht und sie konnte sich bis heute nicht daran gewöhnen, dass Leo nicht mehr in Ulm war.

      Jetzt war es nicht mehr weit, bis sie ihn wiedersah. Mit jedem Kilometer kam sie ihm näher. Leo war ihr allerbester Freund. Ein Freund, von denen es in der Welt nicht viele gibt. Ihm konnte sie blind vertrauten, ihm alles anvertrauen, er hatte sie noch niemals enttäuscht. Sie war sich absolut sicher, dass Leo sie niemals im Stich lassen würde, das galt natürlich auch umgekehrt. Zwischen ihnen war eine Verbindung und eine Freundschaft, wie Christine es in ihrem ganzen Leben vorher noch niemals erlebt hatte. Sie wischte sich eine Träne von der Wange und wechselte den Sender, denn diese Schmusesongs machten sie nur noch melancholischer. Countrymusik! Die brachte sie auf andere Gedanken!

      Sie fuhr über die A8, die zum Glück um die Uhrzeit leer war. Das Autofahren langweilte sie schrecklich, die Musik lenkte sie ab. Um München musste sie sich konzentrieren, um die richtige Ausfahrt nicht zu verpassen. Leo hatte ihr im letzten Jahr zu Weihnachten ein Navigationsgerät geschenkt, aber trotz mehrfacher Einweisung konnte sie bis heute nicht damit umgehen. Es war zwar eingeschaltet, aber den Ton hatte sie abgedreht, da er sie nervte.

      Nach knapp drei Stunden fuhr sie mit ihrem kleinen, grünen Wagen in den Hof und stieg aus. Sie war endlich an ihrem Ziel angekommen. Es war kurz vor 23.00 Uhr, trotzdem hupte sie, da sie nicht wusste, wo Leo hier wohnte. Sofort öffnete sich die Haustür und eine ältere Frau trat mit einem pinkfarbenen Jogginganzug heraus, gefolgt von einem zottligen Mischlingshund, der die Fremde freudig begrüßte und ständig an ihr hochsprang.

      „Mein Name ist Christine Künstle, ich suche Leo.“ Sie kraulte den Hund liebevoll, sie wusste von seinem Schicksal und wie er hierher kam.

      „Das freut mich, ich bin die Gerda. Natürlich weiß ich, wer Sie sind. Leo hat mir schon viel von Ihnen erzählt.“ Tante Gerda war irritiert. Warum hatte ihr niemand mitgeteilt, dass Christine Künstle zu Besuch kam? Und das mitten in der Nacht? Was war hier los?

      Leo hatte das Hupen natürlich auch gehört und konnte es kaum glauben, als seine Freundin Christine leibhaftig vor ihm stand. Auch er hatte sie schmerzlich vermisst. Leo und Christine waren beide Menschen, die nur sehr schwer Vertrauen und absolute Offenheit zuließen. Er nahm die kleine, stämmige Frau ganz fest in seine Arme, hob sie hoch und wirbelte sie übermütig durch die Luft. Christine schrie und jauchzte.

      „Jetzt ist es aber mal gut Leo, du benimmst dich wie ein kleines Kind,“ sagte sie gerührt über die ungestüme Freude und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. „Kümmere dich bitte um mein Gepäck. Wo ist die Toilette? Ich muss dringend pinkeln.“

      Leo zeigte ihr den Weg in seine Wohnung und lud mit Hans‘ Hilfe den Wagen aus, in dem jeder noch so kleine Winkel ausgenutzt worden war. Unglaublich, was in diesen kleinen Wagen so alles reinpasste! Nachdem alles verstaut war und Christine sich frisch gemacht hatte, setzte sie sich zu den beiden und nahm das Glas Weißwein, das Leo ihr eingeschenkt hatte. Christine trank keinen Rotwein, sie hasste ihn sogar regelrecht.

      „Ich bin Christine. Du bist dieser Hans, von dem Leo erzählt hat? Deine Freundin ist gestorben und du glaubst nicht an Herzversagen?“ Christine wählte die Du-Form. Hans war Leos Freund und somit auch der ihre.

      „Das ist richtig. Hier ist die Polizeiakte.“

      Christine schlug die Akte auf und sah Hans vorwurfsvoll an.

      „Kopien?


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