Die Verdammten Reiche. Casy Paix

Die Verdammten Reiche - Casy Paix


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brauchst du dich nicht über meine Stimmung zu beklagen. Du bist nicht viel besser. Du verkriechst dich die meiste Zeit oder schläfst faul vor dem Kamin!“

      Ich spürte Rias bernsteinfarbenen Blick auf mir und sah ihn herausfordernd an. Er knurrte leise und senkte seinen Blick. Ich verkniff mir ein Lächeln, denn ich wusste, wie er es hasste, wenn ich Recht hatte. Irgendetwas war los mit ihm, doch bis jetzt tappte ich darüber noch im Dunkeln.

      „Wir sollten zurückgehen.“

      Der Wind frischte auf und zerzauste mein langes Haar. Ich liebte die Stille des Friedhofs, denn es tat gut, ab und an dem Trubel der Burg zu entkommen.

      „Nur noch ein bisschen. Ich brauche etwas Ruhe um mich innerlich wieder etwas zu sammeln“, bat ich leise.

      Der Jahrestag an dem Mord an Sira warf mich jedes Mal aufs Neue aus der Bahn. Mein altes, gut behütetes Leben hatte an diesem Morgen geendet, als ich neben Sira bitterlich weinend in ihrem bereits kalten Blut kniete. Ich wusste nicht mehr, wie lange ich dort saß, aber als ich das Bersten einer Tür hörte und die lauten Stimmen, drang schon heller Sonnenschein durch das Fenster herein. Ich wurde in meinem blutigen Nachthemd in die Eingangshalle meines Zuhauses gezerrt, wo ich meine Tante mit harten Gesichtsausdruck stehen sah. Ich wollte zu ihr laufen, mich von ihr trösten lassen, meinen Schmerz mit ihr teilen, aber unbarmherzige Hände hielten mich zurück. Neben mir konnte ich Zacharias erkennen, der von fünf Männern umringt wurde, die einen rotfarbenen Zauber auf ihn wirkten und ihn an Ort und Stelle festhielt.

      Der Mund meiner Tante öffnete sich und doch verstand ich ihre Worte nicht. Ich verstand gar nichts mehr.

      Warum half sie mir nicht? Wusste sie denn nicht, was Sira widerfahren war? Wer waren diese Männer, die sie mitgebracht hatte?

      All das hatte ich mich in meiner Angst und Verwirrtheit gefragt und erst Jahre später hatte ich begriffen, dass sie mir niemals auf meine Fragen geantwortet hätte.

      Meine Tante hatte mich aufgegeben. Wahrscheinlich schon viel früher, als ich jemals geahnt hatte.

      Die Männer hatten mich weggebracht, hatten mich von meinen Brüdern getrennt und hierher verbannt. Hatten ein siebenjähriges Kind in blutigem Nachthemd in eine kalte, verlassene Festung gesperrt. Das hieß, sie hatten mich im nächtlichen, schwarzen Wald vom Pferd geworfen und mit ihren Schwertern den Weg gewiesen. Barfuß und zitternd vor Kälte war ich über unzählige Pfade getaumelt, bis mich Zacharias eingeholt hatte und mich zu den verfluchten Mauern von Kassathor brachte. Die Burg war damals unsere einzige Zuflucht gewesen.

      Kassathor. Ein verfluchter Name für eine verfluchte Burg.

      Eine Burg aus dicken, uneinnehmbaren Mauern, die zu meinem sicheren Zuhause geworden war.

      Das Rauschen der Bäume des schwarzen Waldes wurde lauter, was ein Zeichen dafür war, dass ein weiteres Unwetter aufzog. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, spürte ich auch schon die ersten zaghaften Tropfen.

      „Lass uns zurückgehen Rias.“

      Ich stieß mich mit den Beinen vom Grabstein ab und sprang über Rias liegende Gestalt. Ohne auf ihn zu warten, suchte ich mir meinen Weg durch die alten Gräber und Mausoleen hindurch und hielt auf die schwarzen Mauern von Kassathor zu. Der Friedhof umschloss zu einer Hälfte die Burg und zählte für mich, mit seinen alten Obstbäumen und den vielen Rosenbüschen, als Garten der Stille. Auf der anderen Seite wurde Kassathor vom schwarzen Wald umringt. Er erstreckte sich durch das gesamte Tal und zog sich die Berghänge hinauf. Damals als mich die Männer durch die schmale Schlucht der Berge gebracht hatten und ich das erste Mal den düsteren Wald sah, war es gerade so, als wäre er aus den dunkelsten Albträumen entsprungen. Mit seinen uralten schwarzen Bäumen wirkte er, wie etwas das es nicht geben durfte. Genauso wie ich, die an diesen Ort verbannt worden war.

      Kassathor galt als jeher als Bannburg. Die Gräber auf dem alten Friedhof sprachen für das Leiden, das Jahrhunderte hinweg in Kassathor geweilt hatte. Niemand betrat freiwillig den schwarzen Wald geschweige denn, Kassathors Mauern.

      Hätte Rias sich damals nicht von seinen Häschern befreien und mir hinterherlaufen können, wäre ich vermutlich im Wald gestorben.

      Ich fand in Kassathor Zuflucht, aber ohne Rias, hätte ich es niemals geschafft zu überleben. Ich war damals starr vor Angst und die alten Mauern nahmen mir regelrecht die Luft zum Atmen. Ich spürte das Böse, das dort herrschte, das die Gemäuer durchdrang und die Luft verpestete. Die grausamen Tode der einst hierher Verbannten tränkten die Steine und machten Kassathor zu dem, was es war – ein Grab für alle, die hierher verbannt wurden.

      Einzig meine dunkle Seele jubelte, denn sie fühlte sich willkommen und gestärkt. Wäre Rias damals nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich mich der Dunkelheit hingegeben und was das für dieses Land bedeutet hätte, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Warum mich Rias allerdings zurückgehalten hatte war mir ein Rätsel, denn ich wusste, dass er dieses Land genauso hasste, wie ich es tat. Gefühle wie Angst, Verrat und Wut hatten sich meiner bemächtigt und für ein Kind waren es viel zu mächtige Gefühle, um damit vernünftig umgehen zu können. Wahrscheinlich wussten die Männer damals gar nicht, wie knapp sie ihrem Untergang entgangen waren.

      Rias hatte mich beruhigen können, hatte mich beschützt und es geschafft die Dunkelheit in mir zu beschwichtigen. Das ein Wolf aus den Verdammten Reichen dazu fähig war, glich einem Wunder und der Rest des Landes sollte ihm dafür dankbar sein.

      Ich erreichte die enge Wendeltreppe, die hinauf in den Burghof führte und vorsichtig setzte ich einen Schritt vor den nächsten. Durch den stärker fallenden Regen waren die steinernen Stufen rutschig geworden. Die Blätter des Efeus, der einen Großteil der Wand bedeckte, bogen sich im rauen Wind, der über die Berge hinweg fauchte und selbst den schwarzen Wald mit seinen mächtigen Bäumen zum Erzittern brachte. Die ersten Herbststürme kamen und ich freute mich auf die Gewitter, die an manchen Tagen so stark waren, dass niemand freiwillig nach draußen ging. Ich betrat den kleinen Innenhof und wartete bis Rias zu mir aufschloss. Ich sah hinunter zum Friedhof und ließ meinen Blick über den angrenzenden Wald schweifen. Nirgends konnte ich Bewegung ausmachen und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast glauben es gäbe kein Leben hier.

      Kassathor glich einer Burg aus einer anderen Zeit. Aus einer Zeit in der die Dunkelheit geherrscht hatte. Die schwarzen Mauern und Türme erhoben sich majestätisch in den Nachthimmel und aus den vielen Fenstern ergoss sich warmer Lichtschein und warf flackernde Schatten in den Hof. Aus der Ferne betrachtet wirkte die Burg bestimmt wie ein Ungeheuer aus den Verdammten Reichen. Umringt von unwirtlichen Bergen und einem verfluchten Wald konnte ich die Geschichten, die man mir zutrug, nur zu gut verstehen.

      Geschichten über Dämonen, die in Kassathor ihre Feste feierten, über Mörder die sich dort vor der Gerechtigkeit versteckten, über Diebe die ihre Beute in den alten Mauern versteckten. Viele dachten, Kassathor wäre die Pforte in die Verdammten Reiche. Sie glaubten, es wären Geschichten.

      Nun, sie irrten sich alle!

      Ich kannte die Wahrheit und sie entsprach genau all jener grauenvollen Geschichten, die es über Kassathor zu erzählen gab, mit dem einzigen Unterschied, dass nirgends erwähnt wurde, dass eine junge Frau die Herrin dieser verfluchten Burg war.

      „Anstatt hier Wurzeln zu schlagen, lass uns endlich nach innen gehen. Ich hasse dieses Wetter!“

      Rias strich an mir vorbei und überquerte rasch den Innenhof. Auf der anderen Seite befand sich eine halb unter Efeu versteckte Tür, die ins Innere führte.

      „Ich komme doch schon“, rief ich und eilte ihm schnell hinterher.

      Mittlerweile hatte der Regen meine weißen Locken in glatte Strähnen verwandelt, die mir fast bis zu den Waden hinab reichten. Meine Stiefel waren undicht, sodass ich das Wasser zwischen meinen Zehen spürte, genauso wie auf dem Rest meines Körpers. Mein leichtes Kleid klebte wie ein nasser Lappen an mir. Rias stieß die Tür mit seinem Kopf auf und trottete nach drinnen.

      „Herrin!“

      Ich schloss die Tür und fand mich direkt


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