Die Verdammten Reiche. Casy Paix

Die Verdammten Reiche - Casy Paix


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einen neuen Tadel von ihr einholen würde.

      „Herrin! Ihr seid nass bis auf die Haut. Wie könnt ihr bei solch einem Wetter so leicht bekleidet nach draußen gehen?“

      „Leah, als ich ging, regnete es noch nicht und bevor du noch etwas sagen willst, hol mir bitte einen Becher Wein. Ich bin im Thronsaal.“

      Leah verstummte und ich sah ihr genau an, dass sie sich mit Mühe eine weitere Antwort wegen meiner Unvernunft ersparte. Sie drehte sich auf dem Absatz um, rümpfte wegen Rias die Nase, als sich dieser erleichtert schüttelte um sich zu trocknen und eilte dann davon.

      Leah war einer der wenigen Lichtblicke in diesen verfluchten Mauern. Sie war eine Heilige gewesen, als sie vor fünf Jahren auf der Flucht vor ihrem Vormund zufällig in die Arme meines ersten Hauptmannes lief. Er wollte sie ursprünglich als Beute, zum Vergnügen für seine Männer, doch er kannte die Regeln, die in Kassathor herrschten. Er kannte meine Regeln.

      Egal was sie einst alle waren, hier in den Mauern von Kassathor gehörten sie mir, waren meine Gefolgschaft, unterwarfen sich meinem Willen.

      Sie alle fürchteten die Macht meiner beiden Seelen. Ich war nicht mehr das verängstigte Mädchen von damals, ich war die Herrin von Kassathor geworden.

      Mit Rias an meiner Seite ging ich durch die verwinkelten Gänge und war froh, als ich den Thronsaal erreichte.

      Der Mittelpunkt des großen Saals bildete die stattliche, schwarze Holztafel an der fünfzig Leute Platz fanden und deren Stühle an manchen Tagen alle besetzt waren. In ihrem Schatten geriet der verlassene, aus der Wand gehauene Thron, an der Stirnseite des Saals regelrecht in Vergessenheit. Ich steuerte zielstrebig einen der beiden großen Kamine an, in dem ein fröhlich flackerndes Feuer loderte. Eine Vielzahl von großen Sitzkissen lag davor locker verteilt auf den dichten Teppichen und ich setzte mich zufrieden auf eines davon. Rias nahm seinen gewohnten Platz direkt vor dem Kamin ein, gerade so nahe an den Flammen, dass sein Fell nicht Feuer fangen konnte.

      „Wäre es nicht einfacher, wenn du dir trockene Sachen anziehst?“, fragte ich ihn und zog mir die Stiefel von den Füßen.

      „Das gleiche könnte ich dich fragen.“

      Rias streckte sich zufrieden und schloss die Augen.

      „Es ist heute so ruhig“, murmelte ich und unterdrückte ein Gähnen.

      „Sonst beklagst du dich immer wegen des ganzen Lärms. Sie gehen dir heute alle aus dem Weg, um dich nicht zusätzlich zu reizen. Sie wissen, welcher Tag heute ist.“

      Wahrscheinlich hatte Rias mit seiner Vermutung Recht, denn normalerweise herrscht in dem großen Thronsaal reges Treiben. Kassathor war die Zuflucht, das Zuhause von vielen geworden.

      Meine kindliche Unschuld ging damals verloren, als ich Kassathor das erste Mal betrat. Ich verstand die Ungerechtigkeit nicht, die mir widerfahren war. Ich begann die Männer zu hassen, die mich aus meinem Zuhause weggerissen hatten, verfluchte deren Familien und wünschte ihnen dasselbe Leid, wie das meine. Ich hasste meine Tante, die nichts unternommen hatte, um sie aufzuhalten, die sie wahrscheinlich sogar in mein Zuhause geführt hatte, eine Wahrheit die mich bis in mein Innerstes erzittern ließ. Ich hasste sie aus tiefster Seele, denn es besagte auch, dass sie für Siras Tod verantwortlich war.

      Damals, als ich in diese kalten und leblosen Mauern verbannt worden war, erhob sich meine dunkle Seele in mir stärker als jemals zuvor. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte das unschuldige Land um mich herum mit in den Untergang gerissen. Das alleine wäre vielleicht nicht schlimm gewesen, denn bei allen Göttern, sie hatten es verdient, aber ich brachte mich durch das unbedachte Wirken meiner Magie selbst in Gefahr. Ich drohte mich in der Dunkelheit zu verlieren und erstmals verstand ich, warum meine Tante Angst vor mir hatte. Meine schwarze Seele hatte eine Magie entfesselt, vor der sich sogar Dämonen fürchteten und ich blieb nicht die einzige die das bemerkte.

      Nach und nach gesellte sich die Dunkelheit zu mir und mit ihr kamen die Bestien aus den Albträumen braver Leute. Diebe, Mörder, Dämonen und sonstiger Abschaum. Sie wurden von meiner Macht angezogen wie die Motten vom Licht. Sie fürchteten mich, aber was noch wichtiger und zugleich verwirrender war, sie respektierten mich und ernannten mich zu ihrer Herrin.

      In all der Zeit war Rias mein einziger Halt, wenn ich drohte zu weit auf dem dunklen Pfad voranzuschreiten und ich lernte mit den Jahren, meine beiden Seelen in der Waage zu halten. Seitdem herrschte ein brüchiges Gleichgewicht in meinem Inneren, denn meine dunkle Seele hatte die Freiheit gekostet und es war schwer sie zurückzuhalten. Ich verbannte meine überschüssige dunkle Magie in die Steine Kassathors. Sie färbten sich von grau zu schwarz und mittlerweile waren sie nur so durchtränkt von meiner schwarzen Magie. Kassathor erstrahlte in einem wunderschönen Obsidian, das sogar dunkler als die Nacht war.

      Seit damals hatte ich Regeln aufgestellt, um mich selbst zu schützen. Ich erlaubte allen, die an die Tore von Kassathor klopften, hier zu bleiben, ich verurteilte keinen von ihnen für ihre Taten, doch als Gegenleistung forderte ich, dass sie sich mir unterordneten.

      Die Regeln innerhalb Kassathors Mauern waren ganz einfach. Es wurde hier nicht gemordet, gestohlen, betrogen oder sonstige Intrigen begangen. Es war mir egal, ob sie es außerhalb dieser Mauern taten. Jeder musste überleben auf die eine oder andere Weise. Aber sobald sie hier die Tür hinter sich schlossen und mir gegenübertraten, hatten sie sich mir zu beugen.

      Ich sah zu der großen Tafel in meinem Rücken und dachte unwillkürlich an meine Tante. Sie würde bestimmt tot umfallen, wenn sie wüsste, dass ich mit Mördern und Dämonen an einem Tisch saß und gemeinsam mit ihnen zu Abend aß. Andererseits war sie sicherlich froh, dass ich verbannt in diesen Mauern festsaß und kein Unheil mehr über sie bringen konnte. Vielleicht ging Beth auch davon aus, dass ich schon tot war.

      Ich verfluchte im Stillen zum unendlichsten Male die magische Barriere, die mich daran hinderte, den einzigen Weg durch die Schlucht hindurch zu passieren. Ich hatte es oft genug versucht, aber die Magie, die dort gewirkt worden war, war mächtig. Irgendwann hatte ich es aufgegeben, obwohl meine Neugier immer wieder von Neuem aufflammte.

       Vielleicht sollte ich es einfach wieder einmal versuchen?

      Es war schon über ein Jahr her, dass ich zuletzt den Weg durch die Schlucht genommen hatte und kurz vor dem alten Wachposten an die unpassierbare Barriere gestoßen war. Rias war probehalber hindurchgelaufen und ihm war nichts geschehen. Alle konnten die Barriere passieren, nur ich nicht.

      Ich verfluchte diesen Jahrestag, an dem ich immer wieder daran erinnert wurde, dass ich einst ein Leben außerhalb dieser Mauern hatte.

      Genervt stieß ich ein leises Seufzen aus und lehnte mich auf den Kissen zurück. Ich hoffte, Leah würde bald mit meinem Becher Wein kommen. Weit über mir vereinigte sich die steinerne Decke des Saals zu einem wunderschönen Mosaik. Wer auch immer damals Kassathor erbaut hatte, hatte Sinn für Schönheit besessen.

      „Es gefällt mir nicht, wenn du so niedergeschlagen bist.“

      „Und ich dachte, du schläfst. Pass auf das du nicht Feuer fängst“, entgegnete ich mürrisch.

      „Ein Wolf aus den Verdammten Reichen kann kein Feuer fangen.“

      Ich verkniff mir ein Lachen und richtete mich auf meine Ellbogen auf. Rias bernsteinfarbene Augen waren auf mich gerichtet und ich wusste genau, dass er nach dem leisesten Anzeichen suchte, dass meine Stimmung zu sehr in Richtung Dunkelheit kippte.

      „Ich habe die letzten Jahre überstanden Rias. Keine Angst ich werde auch diesen Tag überstehen und kein Verderben über euch bringen.“

      „Ich habe keine Angst. Von mir aus kannst du das ganze Land in die Dunkelheit schicken, sie haben es verdient. Glaube nicht, dass ich mich nicht freuen würde. Ich mache mir jedoch um dich Sorgen. Mit wem soll ich dann meinen Spaß haben, wenn du dich in dir selbst verlierst?“

      Rias Worte erreichten mein Herz und ich war so dankbar, dass er nicht nur mein Beschützer, sondern auch mein Freund war.


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