Der magische Adventskalender & Das Licht der Weihnacht. Manuel Neff
»Papa?«
»Ihr habt versprochen, bis morgen früh zu warten.«
»Wir ...«, stottert Paolo, bringt aber keinen weiteren Ton heraus.
»Ich bin enttäuscht von dir! Von euch allen! Ihr geht jetzt sofort zurück auf eure Zimmer und ins Bett! Bewegung!«
Die Kinder lassen betroffen ihr Köpfe hängen und tun, was ihr Vater ihnen befiehlt.
»Papa ist ziemlich sauer«, flüstert Lara.
»Er hat auch allen Grund dazu«, antwortet Paolo.
Am nächsten Morgen wird Paolo von seinem wütenden Vater geweckt.
»Alle Socken sind wie vom Erdboden verschluckt. Würdest du bitte den Pauwdies ausrichten, dass sie das wieder in Ordnung bringen sollen? Und zwar sofort! Es ist Winter und ich kann beim besten Willen nicht ohne Socken zur Arbeit gehen«, flucht Vater Maring.
»Paolo! Lara!«, hört er ohne jeden Übergang seine Mutter aus dem Badezimmer rufen.
Paolo ist noch gedanklich damit beschäftigt, sich zu fragen, warum die Pauwdies alle Socken ausgeliehen haben, als Lara mit einem Mal in sein Zimmer stürmt.
»Paolo hast du es schon gehört? Die Pauwdies waren im Haus«, freut sich Lara und zieht ihn aus dem Bett, um mit ihrem Bruder Richtung Badezimmer zu eilen.
Als sie dort ankommen, sehen sie ihre Mutter im rosaroten Morgenmantel vor dem Spiegel stehen.
»Schaut euch das mal an! Könnt ihr mir das vielleicht erklären?«, fragt sie und zeigt auf den Badezimmerspiegel. Paolo reibt sich in den Augen. Träumt er etwa noch? Tausende winzige Eiskristalle ziehen sich über die ganze Spiegeloberfläche und direkt aus der Spiegelmitte ragt die Hälfte eines Briefumschlages heraus. So als hätte ihn jemand von der anderen Seite durch das Glas gesteckt, es aber nicht mehr ganz geschafft, bevor der Spiegel zugefroren ist.
»Von wem ist dieser Brief?«, fragt Paolo.
»Ich dachte, ihr wüsstet das?«
»Vielleicht eine Nachricht von Kasimir und Rudi«, vermutet Lara.
»Und dieses Fläschchen lag im Waschbecken«, sagt ihre Mutter verwirrt und hält einen winzigen Glasbehälter in die Höhe.
Lara nimmt die kleine Flasche in ihre Hand und liest vor, was auf dem Etikett steht.
»Halbfertiges Unsichtbarkeitswasser«, entschlüsselt sie Kasimirs Handschrift. Paolo will inzwischen den Brief aus dem Spiegel herausziehen, doch bei dem Versuch bricht er in zwei Teile. Die erste Hälfte hält Paolo in der Hand und die zweite steckt unerreichbar auf der anderen Seite des Spiegels fest.
Paolo faltet den zerrissenen Brief auf und liest den verbleibenden Inhalt vor.
»Es ist wirklich eine Nachricht von Kasimir.«
»Hallo Paolo, Hüter des Weltentores der Erde. Hallo mächtige Lara und auch ein herzliches hallo an den tapferen Lanzelot, den weisen Thomas und natürlich ein freundliches hallo an die Eltern.
Leider ist dies der einzige Weg, um mit euch Kontakt aufzunehmen und ich fürchte, selbst die Spiegel sind nicht mehr lange vor dem Eisfrost sicher.
Zunächst will ich euch herzlich Grüßen und hoffe, es geht euch gut. Viele Grüße auch von Rudi, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, damit euch diese Nachricht noch rechtzeitig erreicht. Wir befürchten, schon bald werden alle Spiegel, durch welchen die Pauwdies auf die Erde gelangen können, zugefroren sein. Deshalb haben sie vorgesorgt und sich mehr Socken als gewöhnlich ausgeliehen. Rudi entschuldigt sich dafür, aber sie brauchen die Schlafsäcke, damit sie nicht erfrieren. Sobald die Kälte überstanden ist, bekommt ihr alles wieder zurück. Versprochen!
Doch nun zu einem anderen Thema, denn wie schon gesagt, die Zeit eilt. Wir benötigen Eure Hilfe!
Ganesha versinkt in Schnee und Eis. Die Stadt der Pauwdies ist von der Außenwelt abgeschnitten und wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, ist auch das Weltentor zugefroren. Da hilft selbst Laras Lavahalskette nicht mehr. Die meisten von uns haben sich zum großen Baum im Urwald zurückgezogen. Das ist der einzige Ort auf ganz Ganesha, an dem es noch einigermaßen warm ist. Wir hoffen, dass euch diese Nachricht erreicht, denn das Gleichgewicht in der Magie ist gestört und der Eisfrost breitet sich immer weiter aus. Sollte niemand in der Lage sein, ihn aufzuhalten, dann versinken nicht nur Ganesha und bald auch die Erde in Eis und Schnee, sondern es wird auch die Magie der heiligen Weihnacht in den Herzen der Menschen erlöschen.
Doch es gibt Hoffnung. Ihr müsst unbedingt das Licht der Weihnacht finden und mit ihm das Feuer in der magischen Laterne entflammen. Das ist eine schwierige und gefährliche Aufgabe, aber ich weiß, mit Hilfe von Paolos Aufspürbrille könnt ihr das schaffen. Außerdem wird euch die kleine Feder dabei helfen. Leider ist sie ziemlich scheu und auch etwas tollpatschig. Habt Geduld mit ihr, auch wenn die Zeit eilt.
Für alle Fälle habe ich für euch ein Fläschchen mit Unsichtbarkeitswasser hergestellt. Leider ist es in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, nicht ganz fertig geworden. Es gibt gewisse Nebenwirkungen, auf die ihr unbedingt achten solltet. Und jetzt erkläre ich euch wie, ...
Paolo hört mitten im Satz auf zu lesen.
»Was ist los, warum liest du nicht weiter?«, fragt Lara.
»Das ist die eine Hälfte des Briefes. Der zweite Teil steckt auf der anderen Seite des Spiegels fest«, antwortet Paolo und zeigt auf die zugefrorene Spiegeloberfläche.
»Was ist das Licht der Weihnacht? Was hat diese Nachricht zu bedeuten?«, fragt ihre Mutter, die irgendwie hilflos neben ihren Kindern steht und von einem zum anderen blickt. Ihre Eltern haben sich zwar mittlerweile daran gewöhnt, dass Paolo und Lara anders sind als andere Kinder, aber die Kraftgegenstände und die ganze Magie sind für ihre Mutter nach wie vor ein Mysterium.
»Kasimir braucht unsere Hilfe«, erklärt ihr Paolo kurz und bündig.
»Wir müssen das Licht der Weihnacht finden und mit ihm das Feuer in der magischen Laterne entflammen. Und die kleine Feder wird uns dabei helfen«, fasst Lara etwas ausführlicher den Inhalt der Nachricht zusammen. »Vermutlich müssen wir wieder in den Kalender springen, sofern es uns gelingt, ihn aufzutauen«, überlegt Lara, die bereits Pläne schmiedet. »Aber Kasimir hat gesagt, dass die Lavahalskette nicht funktionieren wird«, fügt sie nachdenklich hinzu und legt ihre Stirn in Falten.
»Ihr müsst überhaupt nichts! Ihr geht nirgendwo hin! Ich verkrafte das kein zweites Mal. Ich hatte letztes Jahr solche Angst um euch!«, stammelt nun ihre Mutter nun völlig aufgelöst.
Paolo schaut seine Mutter erschrocken an. Sie ist den Tränen nahe.
»Mama, uns passiert schon nichts«, versucht Paolo, seine Mutter zu beruhigen.
»Und wer kann uns das garantieren?«, fragt ihr Vater, der in diesem Augenblick das Badezimmer betritt.
»Die Magie von Weihnachten ist in Gefahr! Wir müssen das Licht der Weihnacht finden«, wiederholt Paolo Kasimirs Worte.
»So einen Quatsch habe ich ja noch nie gehört. Es gibt kein Licht der Weihnacht.«
»Kasimir hat geschrieben, dass ...«
»Schluss jetzt mit dem Unsinn! Ich habe ein viel wichtigeres Thema, das ich mit euch besprechen muss. Wir haben so gut wie keine Socken mehr im Haus! Und außerdem bin ich der gleichen Meinung wie eure Mutter. Dieses Jahr gibt es keine gefährlichen Abenteuer und keine riskanten Reisen auf andere Planeten.«
»Aber Papa!«, protestiert Paolo. »Ich verspreche dir, dass ...«
»Du hast heute Nacht ein Versprechen gebrochen und mich sehr enttäuscht. Ich lasse nicht mit mir diskutieren. Keine Widerrede mehr!«
»Haben wir jetzt etwa Hausarrest?«, fragt Lara