Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


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betrachtete die kleine Schar. Fiebrig maß Zand seinen unschlüssigen Blick. Verflucht, verflucht, verflucht, was hatte er getan? Er fasste Eijckhout fester. Wenn Joris etwas geschähe, würde er es bis ans Ende seiner Tage bereuen und darüber hinaus.

      Endlich winkte die Wache sie weiter. „ Schert euch fort!“, grollte der Soldat. Es klang wie ein Fluch. Eng aneinandergedrängt machten sie sich wieder auf den Weg. „Schschsch, Tob“, sagte Joris sacht. In all den Jahren hatte er Zand nicht weinen gesehen.

      Eben als die samtschwarze Nacht des Tages letzten Schimmer hinter die Häuser geschoben hatte, kamen sie an, von keiner weiteren Wache behelligt. Zand ließ den Bettler herunter, der einen riesigen rostigen Schlüssel hervorzog.

      Keinen Steinwurf entfernt schmiegte sich eine schwarz bemantelte Gestalt an eine nachtdunkle Wand und registrierte die Szene aufmerksam.

      Kaat machte Augen, wie sie die Männer alle sah, und wollt wohl wieder zu schimpfen beginnen, doch Joris legte die Hand ihr über die Lippen und dann seinen Mund und brachte sie sanft zum Schweigen. „Kommt herein“, knurrte die Magd, als er sie ließ, und verriegelte die Tür, ein letztes Mal für heute. „Die Schuhe aus!“, kommandierte sie streng. „Und leise sein. Die Kinder.“ Sie ging Wasser aufzusetzen, weil heißes Wasser fast so gut wie Suppe war, und der Bettler suchte seine Gäste in dem einzigen Raum zu verstauen, den das Haus bot. Die Männer verteilten sich auf dem gestampften, mit sauberen Binsen belegten Lehmboden. Rauch hing in der niedrigen Stube. Hinter einem grob gewebten Vorhang schliefen die Kleinen in der strohgefüllten Schütte, die auch der Eltern Bettstatt sein würde, wenn das hier zu Ende war.

      Der Hufschmied stellte die Lampe auf den Tisch und löschte das kostbare Licht der Familie. Kaat lächelte ihm dankbar zu. Dann zog er eine in ein Tuch gewickelte Speckschwarte unter dem Mantel hervor. Kaat schlug die Hände vor den Mund „Gritzel“, erklärte der Schmied. Zand, der nichts mehr gesprochen hatte auf dem ganzen Weg, seufzte ehrfürchtig. Was hatte die Wirtin doch für eine wunderbare Weitsicht! Dann verstummte er wieder.

      Als Kaat Stücke von dem Speck in das Wasser zu werfen begann, wehrte Jannes, der Hufschmied, hastig ab. „Wir haben gegessen“, sagte er, „danke.“ Kaat grinste breit. „Aber der hier nicht!“, sagte sie und wies auf ihren Mann und tat noch ein paar Speckwürfel in das Wasser und barg die kostbare Schwarte wieder in das Tuch und hing das Bündel an einen eisernen Haken unter der Decke, dass die Mäuse es nicht so leicht zu packen kriegten.

      Zand studierte die Kräuter, die die Hausfrau jetzt von Büscheln zupfte und in das Wasser gab, das fast schon eine Suppe war. Liebstöckel und Lorbeer, Thymian und Salbei und Beifuß und Majoran. Der Bader schloss die Augen und ließ alles andere verrinnen, bis nur noch dieser würzige Duft blieb und das Gefühl, endlich zu Hause zu sein.

      Erst als Kaat ihm einen Holzlöffel in die Hand drückte, sah er auf. „Ich habe schon…“, wollte er protestieren, doch Kaat legte ihren Finger auf seine Lippen: „Die Kinder…“, sagte sie schlicht. Um eine dampfende Schüssel herum saßen sie am Boden. Den winzigen Tisch mit der Lampe darauf hatten sie an die Wand gerückt. Kaat war schwerfällig auf einen der beiden Stühle gesunken und hatte die Füße auf den anderen gelegt. Zand betrachtete sie. Acht Monate sicher. Vielleicht ein oder zwei Wochen mehr. Heißes Wasser hätten sie. Aber mit Speck und Kräutern. Der Bader tauchte seinen Löffel in den Sud. Das wäre mal was anderes.

      Kaat sah ihn an und verstand. Sie schüttelte sanft den Kopf. Joris war immer eine erstklassige Hebamme gewesen und er kostete nichts. „Es wird alles gut“, sagte sie ruhig. Der Bader krauste die Stirn. Eigentlich wäre das sein Part gewesen.

      Die Männer unterhielten sich leise. „Die haben ganz schön die Hosen voll, die hohen Herrn“, flüsterte Jakub seltsam aufgekratzt. Jeremiah horchte auf. „Kobe, wie meinst du das?“, fragte Joris. „Na, ich hab’s doch selber gehört! War in der Burg, mit dem Meister, zur Anprobe – ist ein großer Mann, mein Meister…“, er brach ab und schüttelte den Kopf und schlug mit der Faust in die Binsen. „Großer Gott…“, murmelte er abermals.

      „Du warst zur Anprobe…“, sagte Jeremiah behutsam. Jakub fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. „Die Damen in der Burg…“, hob er heiser an, „die reden, als wenn wir nicht da wären. Über alles reden die, immer, als wären wir Luft…“ er holte tief Atem und hatte schon fast seine vertraute Stimme wieder. „Und die eine, die das purpurne Gewand bestellt hat, mit den grünen Ärmeln und den Silberborten“, erklärte er atemlos, „die hat gesagt, wenn die Hexe nicht binnen Wochenfrist gefasst ist - - -“, er schaute seine Zuschauer herausfordernd an, mit Augen, in denen es immer noch verdächtig schwamm. „Sag schon!“, brummte Jannes bereitwillig. Jakub war ein guter Kerl. Er schwatzte gern, aber er war ein guter Kerl. „Wenn die Hexe nicht binnen Wochenfrist gefasst ist, hat sie gesagt, die Dame mit dem Purpurkleid, und zwar lebend, hat sie gesagt, lebend!, würden Köpfe rollen. Geschluchzt und geweint hat sie, die edle Dame, wie sie das den anderen erzählt hat, weil er das zu ihrem Mann auch gesagt hat – zu ihrem eigenen Mann!“ „Wer?“, fragten alle wie aus einem Mund. Jakub lächelte und lehnte sich zurück. „Der Großmeister. Herigold selber, der hat das gesagt.“

      „Sie wird ein schwarzes Kleid bestellen und du wirst nicht mehr dabei sein“, sagte Joris mitleidslos in die andächtige Stille. Jakub wollt’ ihm an den Kragen, doch er ließ die Hände wieder sinken. „Ja“, murmelte er matt. Vielleicht sollte er doch versuchen, sich den Goldflorin zu verdienen.

      Für die Brüder. Seine kleinen Brüder.

      „Wo mag sie nur sein…, die Hexe?“ – Mandeleyn versuchte es beiläufig klingen zu lassen. Joris bohrte seinen Blick in die magere Gestalt. „Jakub, Jakub, Jakub…“, schnaubte er. „Es brennen schon so viele. Reicht dir das nicht?“ „Scht!“ zischte Kaat. Der Schneidergesell erwiderte nichts. Schweigend starrte er geradeaus, ein leeres Lächeln im Gesicht. Wie geschnitzt.

      Der Bader sah ihn aufmerksam an. Er hatte das schon öfters beobachtet, wenn wo ein Unglück geschehen war. Das fahle Gesicht, die aufgeriss’nen Augen, der Schweiß auf der Stirn – „Darf ich“, sagte er und befühlte kundig den knochigen Körper. Eiskalt die Haut, flach der Puls und viel zu schnell. Jakub wollte aufstehen. „Lass nur, Bader“, sagte er, „Ich geh’ jetzt nach Hause“, und brach zusammen.

      Der Bader fing ihn auf. Erschrocken beugten die Freunde sich über die reglose Gestalt. Zand hielt Jakubs Kopf in seinem Schoß. „Legt seine Füße auf einen Stuhl“, ordnete er an. „Tut mir leid, Kaat!“ Aber sie war schon aufgestanden und reichte Zand einen mit kaltem Wasser getränkten Fetzen Tuch. „Joris hat das auch… manchmal“, sagte sie, sehr leise an seinem Ohr, dass kein andrer es hörte. Jeremiah sah ihr in das verlebte, schöne Gesicht. „Ich weiß“, wisperte er, „ich weiß.“ Meist klammerte des Bettlers gekappter Körper sich zäh ans Leben, aber bisweilen schien er es einfach aufgeben zu wollen. Und dann lag er da, leblos, wie jetzt sein Kamerad, Jakub Mandeleyn, des Schneidermeisters Tabeusz Adelaer gewesener Gesell. Zand betupfte Jakubs Stirn mit dem kühlen Tuch und redete sanft mit ihm. Die ganze Zeit hielt er die Finger an seinen Puls. Kaat sah ihm zu. Der englische Bader hatte sie alles gelehrt, was er darüber wusste. „Es wird wieder gut“, sagte sie bestimmt.

      Da schlug der Schneidergesell die Augen auf. Jeremiah sah des Bettlers Frau überrascht an, aber Kaat zog den Vorhang zur Bettstatt beiseite, als wäre nichts Besonderes geschehen. „Ohme Schneider ist müde“, flüsterte sie und schob die schlaftrunkenen Kinder dichter zusammen, dass der Kranke Platz fände. Der Bader nahm Mandeleyn in seine Arme und bettete den hageren Mann behutsam neben die Kleinen und redete eine Weile ruhig mit ihm, während er des Mannes Pulsschlag aufmerksam durch seine Fingerkuppen gehen ließ. Fien betrachtete ihn mit großen, traumverhangenen Augen. „Schlaf, Fieneke, schlaf…“, der Bader strich federfein über des Kindes Stirn, bis es wieder einschlummerte. Dann schloss er den Vorhang, nur so viel, dass er den Mann im Auge behalten konnte, und brachte Kaat den Stuhl zurück und setzte sich zu den anderen. Ein bemerkenswerter Fall. Er hätte sich jetzt gerne etwas notiert.

      „Ist es… wegen uns…?“ Konrad und Tasso klapperten mit den Zähnen. Der Bader lächelte den Jungs zu, die ihn mit den ewig-hungrigen Augen der Mandeleyns wissend ansahen. „Er liebt


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