Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


Скачать книгу
dass sie durch die Luft wirbelte, eh sie auf die Spitze zurück sank, so sicher und leicht. Keins der Geschirre fiel, bis plötzlich, aus dem Nichts, ein schwarz-roter Reiter heranpreschte, mitten in des Zauberers kleine Bühne, und den Tisch umriss und den Atarkanier, dass ein Regen bunter Scherben auf ihn niederging. Alles schrie und stob auseinander, bis der Reiter donnernd „Halt!“ gebot.

      Nabilayn fühlte die Angst durch sich hindurchgehen, wie er da am Boden saß und auf den herben, hoch berittenen Eindringling starrte. Doch nicht seine eigene Angst fühlte er, oder doch nur wenig. Wie schweres Wetter aber durchbebte den Zauberer die atembenehmende, allumfassende Angst, die ihm aus den Augen des schwarz-rot gekleideten Reiters entgegenschlug.

      Todesangst.

      Behutsam erhob der Gaukler sich aus dem schillernden Scherbenhaufen, jede unbedachte Bewegung vermeidend. Nabilayn wusste, dass er Dinge sah, die andere nicht sahen, und dass man es besser verbarg. Er machte sein Gesicht unschuldig und nahm den Reiter fest in den Blick. Er könnte jetzt eine goldene Nuss aus des hohen Rosses dampfenden Nüstern ziehen. Der Zauberer ließ es bleiben. Ruhig wartete er, was geschehen würde.

      Die Ruhe des Atarkaniers übertrug sich auf sein Publikum, das nun ganz stille stand. Kaat hielt die Kinder an sich gedrückt und wisperte ihnen was Tröstliches. Aller Augen waren auf des Großmeisters Boten gerichtet.

      Denn das war er, sein mi-parti in den Farben Herigolds gehaltenes Gewand verriet es wie das klerikale Wappen auf seiner Brust und der samtene Hut mit der Hahnenfeder und die schwere Goldkette mit dem Kreuz, die von der Heiligkeit seiner Erscheinung kündete.

      Ohne die schweren ledernen Reithandschuhe abzustreifen nahm jetzt der Bote ein Pergament aus seiner Satteltasche. Langsam entrollte er das feste, spröde Dokument. Einmal ging sein scharfer Blick ganz über die Menge, ehe er mit schneidender Stimme zu sprechen begann.

      „Hört und vernehmt, oh Volk, was Unser Verehrter Großmeister, der Heiligen Kirche Gesegneter Sendbote, der Gottgeliebte Herigold, Euch zu vermelden hat: Das Böse – DAS BÖSE – ist unter uns. Unter Euch. Unter Euch ist es, oh Ihr Menschen, nahe, ganz nah…“ Der fahrende Zauberer erkannte den Tonfall. Der Großmeister verwendete ihn in seinen Predigten. Er selber verwendete ihn, wenn er Eindruck machen wollte. Nabilayn dachte an die goldene Nuss und schnaubte leise.

      „Eine Hexe verbreitet ihr unseliges Gift in unserem Land. Lautlos hastet sie umher, gehetzt, gejagt, und wen sie anrührt, den reißt sie mit sich in den Abgrund. In die HÖLLE! Seid wachsam, liebe Brüder und Schwestern! Seid WACHSAM …“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause.

      „Und woran, oh Edler, erkennen wir sie?“, sagte Nabilayn endlich gehorsam in das lastende Schweigen, um die Sache abzukürzen. Seine Stimme war sicher und klar. Der Bote lächelte ihm zu, dankbarer als er es beabsichtigt hatte. Nabilayn neigte den Kopf.

      „Hört und vernehmt, oh Menschenvolk, was Unser Verehrter Großmeister, der Weiseste unter den Weisen, Euch über die verderbte Hexe zu sagen hat. Hört und merkt auf und seid wachsam. Denn in aller Unschuld erscheint sie Euch, die Unselige. Im Gewand einer Nonne erscheint sie, die ausgefeimte Teufelsbrut, um Euch zu täuschen, zu betrügen, in Sicherheit zu wiegen. Tage schon treibt sie ihr hässliches Unwesen im Land und sie ist mal hier und mal dort und niemand – NIEMAND – ist sicher vor ihr!“ Die Menge auf dem Marktplatz wogte irritiert durcheinander. Eine Nonne. Sicher hatten sie eine Nonne gesehen. Und mehr als eine. Doch welche war’s? Und wen hatte sie angerührt? Wer würde zur Hölle fahren? Wer? Lieber Himmel hilf, wer?

      Kaat stieß die Frau mit der schrillen Stimme in die Seite, weil jetzt der Herold des Großmeisters weitersprach.

      „Und nun vernehmt, Brüder und Schwestern, was der Verehrte Großmeister Euch in seiner Unendlichen Gnade befiehlt: Seht und fühlt und lasst Euer Herz sprechen, wann immer Ihr etwas Unfrommes bemerkt, und meldet es der Heiligen Kirche. Es soll Euer Schaden nicht sein, denn mildtätig und von großer Güte ist die Heilige Kirche und erlässet alle Sünden dem, der der Hexe Treiben uns entdeckt, und reicht wohl auch so manchen Goldflorin dazu…“ Ein Raunen erhob sich. „MELDET ES!“, polterte des Großmeisters Herigold dazwischen, dass alles sogleich verstummte. „Und gebt gut acht: Längst mag die kleine Hexe das fromme Gewand getauscht haben. Bedenkt, sie ist gerissen. Doch hört und gehorchet, so wird Euch nichts geschehen. So spricht Herigold: Redet nicht mit ihr. REDET NICHT! Legt keine Hand an sie und rührt sie nicht an. RÜHRT SIE NICHT AN, AUF DASS KEIN SCHADEN EUCH GESCHEHE UND SIE UNVERSEHRT UND HEIL VOR DES HERRN ANGESICHT TRETE, UM IHR GERECHTES URTEIL ZU EMPFANGEN! - - - Und nun merket auf“, sprach er rasch weiter, weil sich Fäuste ballten und ein Murren aus der Menge aufstieg, da sie der Hexe mit eignen Händen nicht habhaft werden durften. „Drei Dinge sind’s, die Euch zu ihr führen. DREI DINGE. Und so merket auf, oh Menschen, merket auf…“ Das Murren erstarb. Andächtig entrollte der Bote einen weiteren Abschnitt des langen Pergamentes und fuhr mit den Augen über die energisch hingetuschten Buchstaben, von Herigolds eigener Hand geschrieben. Nabilayn sah den harten, schwarzen Tintenstrich, der durch das brüchige Blatt schimmerte, und wie es leise zitterte. „Wir hören voll Demut, oh Edler“, sagte er ruhig.

      „So spricht Herigold“, hob der Bote an. „Zum ersten. Zart ist die Frau und klein, sie misst mit Mühe wohl fünf Fuß. Zum zweiten…“ Nabilayn sah den Adamsapfel des Mannes auf und nieder gehen. „Jung, blutjung ist sie und hübsch von Angesicht und ihr Haar, wiewohl geschoren nach der Nonnen Art, ist schwarz wie Ebenholz.“ Die Menge tuschelte aufgeregt, doch er sprach weiter, eilig. „Zum dritten. Auf der Wange…“, er schluckte, „…auf der Wange trägt sie ein Mal. Ein Teufelsmal. Der Beelzebub…“, er suchte nach seiner Stimme und fand sie endlich wieder, „… der Beelzebub selber hat’s ihr gebissen in das… in das weiche Fleisch… dass ein jeder es sehe… für alle Zeit…“, er ließ das Pergament sinken.

      Nabilayn schlug die Augen nieder, in denen grell die Erkenntnis aufflackerte. Er hat’s ihr selber zugefügt, wie Männer in Ekstase tun. Graf Ganiweyll rang um Fassung dort oben auf seinem Ross. Ich hab’s ihr selber zugefügt, ich Unseliger, in einem Moment der Wonne; des Wahnsinns; der Sünde. Ich selber. Noch weiß es niemand. Die Hexe muss brennen.

      „Die Hexe muss brennen!“, rief er jetzt sehr laut, und „Brennen!“ schrien Fien und Marieke aufgeregt, dass der Mutter Hand auf sie niederfuhr und nur im letzten Augenblick über der Kinder Köpfe verhielt. „Schweigt!“ zischte sie und riss die Kleinen fort und zog sie durch die Menge und stürzte heimwärts. Unterwegs fand sie Joris und nahm ihn auf den Rücken, obwohl er protestierte, und rannte, rannte, rannte, bis sie zu Hause waren.

      Sie konnt’s aber nicht verhindern, dass er abends, als das Nachtmahl genommen und die Kinderschar zu Bett gebracht war, der Taverne zustrebte, wie er’s bisweilen tat, wenn er ratlos war und unruhig. Wütend starrte Kaat ihm nach, die Hände auf dem runden Bauch, und verriegelte dann fest die Tür.

      An der Ecke wartete Zand. Der Henkerssohn nickte Eijckhout zu und nahm ihn hoch. Sie hatten nicht viel Zeit. Nach Einbruch der Dunkelheit musste ein jeder in seinem Hause sein oder, wenn er auf der Durchreise war, in seinem Nachtquartier in einer der Schänken oder bei einem Verwandten oder Freund. Wen die Wachen des Nachts draußen antrafen, den steckten sie ins Verlies, bis Zeit und Muße und ein Verantwortlicher sich fanden, den Fall zu klären. Lange.

      Schon hob sich blauviolett die Dämmerung hinter den abendroten Giebeln empor. Jeremiah beschleunigte seinen Schritt. Die Garden patrouillierten bereits durch die Gassen und maßen, wem sie begegneten, mit mürrischem Blick. Zand und Joris und die Wachen kannten einander und oft genug hatten die alten Haudegen freundlich weggesehen, wenn die beiden zu später Stunde noch unterwegs waren. Nun aber waren neue Männer hinzugekommen, fremde; auch tagsüber sah man sie jetzt häufig, wie sie in ihren schwarzen Kapuzenmänteln durch die Straßen strichen; Joris und der Bader suchten vergebens ein vertrautes Gesicht und wandten den Blick von den dunklen Gestalten und eilten weiter.

      Wo auch immer sie den Tag über gewesen sein mochten – nicht einer war unter den Gästen der Rosen-Taverne, der heute nicht die Botschaft des Großmeisters vernommen hatte. Sie brauchten nicht lange, um das festzustellen, als sie sich um die groben Tische drängten, weil es aus einem jeden sogleich herausbrach, was er gehört und gesehen hatte. In den Weilern


Скачать книгу