Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


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schrie.

      „Stop it! Stop it! No! No! No! NOOOO!!!!“

      Er wusste nicht, dass er mit Fäusten hieb, wie er sich jetzt zum Ausgang kämpfte. Von draußen hatten sie das Portal aufgestemmt und strömten nun herein, und er schlug, wen er treffen konnte, denn da draußen war Joris Eijckhout und sie würden ihn zu Tode trampeln. For nothing at all. Joris.

      Neuntes Kapitel

      Mit dem Glockengeläut war eine Schlägerei entbrannt auf dem Platz vor dem Gotteshaus und die Handvoll Männer der Klerikergarde, die das Portal zu bewachen hatte, war eingeschritten, ihrer Pflicht getreu. Der Weg war frei. Der Sturm begann.

      Als er sah, was geschehen würde, barg Joris Eijckhout den Kopf unter die sehnigen Arme und befahl seine Seele dem Herrn.

      Das Geld… es würde nicht mehr da sein, wenn sie ihn zu Kaat bringen würden – das, was von ihm übrig war. Kaat. Stark und lustig und schön, oh so schön… so schön… wie Feuer fuhr’s ihm bei dem Gedanken durch die Leisten, dass er nach Luft schnappte. Leb wohl, Kaat. Du wirst einen andern finden, der dir gefällt. So Gott will. So Gott will. Der dir beisteht. Dir und den Kindern. Das neue Kind… nun werd ich’s nicht mehr sehen. Erzähl ihm von mir, Kaat. Oder ihr. Erzähl! Erzähl, dass es schön war mit uns. Dass es immer schön sein wird… wenn man dran glaubt… Ich hab dran geglaubt. Immer. S’war ein schönes Leben. Hart auch. Der Hunger. Beim Meister im Farbbottich mit der vergorenen Pisse rühren, Tag um Tag um Tag. Der Geruch… er ging niemals weg… bis das mit dem Ochsenkarren… und dann kam Kaat… Kaat… Kaat…

      Ausgerechnet auf einem Begräbnis zu sterben, dachte er noch. Dann traf ihn der erste Fuß.

      „Hol’s der Henker!“, rief da wer über ihm und mit einem Schwung fühlte er sich emporgehoben und fand sich auf dem Rücken eines Maultiers wieder. „Bin ein bisschen spät – der Zahn, der verfluchte, der wollt’ zum Teufel nochmal nicht raus…“

      Zand.

      Zand!, wollte er rufen, aber es kam kein Ton. Tränen kamen ihm und Zand hielt ihn fest, ganz fest, und wollt’ mit ihm fort, als wer laut nach Joris rief und er innehielt.

      „Joris! Joris! Is he all right? Is he all right?” schrie Doctor Cornelis, während er, links und rechts Hiebe austeilend, sich durch die Masse mähte. „I guess he is. Doesn’t talk though“, sagte der Henkerssohn, der Freude an Flüchen und fremden Sprachen hatte.

      „Thank you… thank you…“, stammelte Cornelis, heiser vom Schreien und zu erschöpft, um seine Fäuste weiter zu gebrauchen. Alles tat ihm weh. Er war ein alter Mann.

      Schon wurde der Physikus fortgerissen, abgetrieben, zurück in die Kathedrale, im unerbittlichen Strom der Hunderten, die einander durch das Tor schoben, stießen, drängten. „… killing… horror…. please…“, hörte man noch Fetzen seiner Schreie. Jeremiah Tobit Zand drückte den reglosen Bettler an sich und zwang mit festem Fersendruck das Tier durch die Menge in die Kathedrale hinein, dem Physikus hinterher. Von drinnen hörte man jetzt Hörnersignale.

      „Rechter Flügel vorwärts!“ Zand, der alle Arten von Musik liebte, entzifferte mühelos die in die Luft gestanzten Tonreihen. Nicht umsonst war er bei einem Militärarzt in die Lehre gegangen. „Linker Flügel still gestanden!“ – „Reihen schließen!“ Zum Henker, was für ein Tag. Zand fletschte seine prächtigen weißen Zähne und spornte das Maultier an.

      Ein schimmernder Ritter stellte sich vor ihn. „Ich bin Arzt – lasst mich durch!“ schrie Zand von oben herunter durch den Lärm, außer sich, und trieb sein Tier dichter heran. „Er auch. Lasst ihn!“, ergänzte er, als er Cornelis sah, der vor einer Wand aus polierten Rüstungen stand.

      Mühevoll rang Cornelis nach Atem. Thank God, they stopped it. They stopped it. „Seid gegrüßt, Robrecht van Thorebrandt“, sagte der Medicus matt gegen einen zimirgeschmücken Helm. „Ich bin’s, Cornel. Er gehört zu mir“, und sie durften passieren, die gestaute Masse hinter sich lassend, selbst das Maultier ließen sie ein.

      Schritt für Schritt lenkte Zand sein Tier in das sonnendurchflutete Kirchenschiff.

      Der Silberglanz der Harnische, Helme und Hellebarden blendete ihn. Ritter, Leibwächter, Garden; Dutzende waren in der wogenden Menschenmasse verteilt wie Wellenbrecher. Er hörte weitere Hornsignale. Und dann sah er ihn.

      „Andurkan“, sagten Cornelis und Zand im Chor.

      Der König stand auf dem Altar, ruhig stand er zwischen Kelch und Kerzen, Krug und Patene, deren keines gefallen war. Vor dem Altar hatte Unak sich aufgebaut, die Hand am Schwert und Eisen im Blick. Der König blies in das Silberne Horn des Herrn Aller Südländischen Truppen; über den Lärm und die Schreie drangen des Kriegsherrn klingende Befehle zu den Kämpfern. „Umzingeln und splitten“, hörte Cornelis das Horn sagen. Atemlos verfolgte der groß gewachsene Arzt, der auf den Schlachtfeldern zu Hause war, das Schauspiel, sah, wie die gerüsteten Krieger die kopflose Masse einkreisten, aufspalteten und schließlich zum Stehen brachten wie man eine vom Gewitter aufgebrachte Herde bezähmt.

      Taktik der Römer. Taktik der Hirten. Behutsam entließ Cornelis die angehaltene Luft.

      „Anführer zum Rapport“, gebot jetzt das Horn, sanft über der neu entstandenen Stille. Andurkan rutschte in die Arme Unaks, keiner Haltung mehr bedürfend noch fähig, und erwartete, auf den Altar gestützt, die Berichte der Truppen, die nun durch die Menschenmenge zu ihm kamen. Kreuzlein und Münzen knirschten unter ihren Stiefeln. „Habt Dank, König Andurkan“, sagte Herigold, der sich aus seiner Starre gelöst hatte, und verneigte sich tief.

      Gebrochene Rippen, Arme, Beine. Verrenkte Glieder. Platzwunden. Cornelis schickte nach seinem Material. Zand war abgesessen und hatte sein Tier einem Pagen übergeben. Immer noch trug er den Bettler im Arm, wie einen Säugling, Brust an Brust, dass er seinen Atem sicher fühlen konnte, während er nun die Reihen der Verwundeten abschritt. Plötzlich schlug Joris die Augen auf. Er starrte an die vergoldete Decke der Kathedrale, unter der Wolken von Weihrauch schwebten. „Bin ich im Himmel?“, flüsterte er. „Nein, verflucht… tut dir was weh?“, sagte Zand. Joris sah ihn lange an. „Verstehe“, sagte er endlich. „Nein.“ Sogar sein Geld war noch da. „Diese Tücher hier, die sollte man wohl zu Binden reißen?“, fragte er. Zand setzte ihn sacht auf den Boden und nickte. „Einen Spann breit, zwei Ellen lang“, sagte der Bader, „Mit sauberen Händen“, und brachte eine Schüssel mit Essigwasser.

      Jeremiah Tobit Zand rief die anderen Straßenheiler zu sich und wählte einige aus. Er wusste, wem er vertrauen konnte. Cornelis und der Bader verteilten Aufgaben und Material und sie begannen die Verwundeten zu versorgen. Mit einem Mal erhob sich ein unwirklicher Klang, zauberisch schwebte er über die Menschen hin, dass sie ihr Stöhnen vergaßen und lauschten. Der Knappe Matthies hatte seine Hirtenflöte herausgeholt und saß vor Gabriels schwarzem ebenhölzernem Sarg auf dem Boden, ernst und verloren, und spielte. Nach einer Weile setzte er das kleine Instrument ab und begann weich und melodisch zu sprechen. „Mein Herrscher ist tot“, sang er und begann wieder die Flöte zu spielen und plötzlich fiel der König ein, drüben am Alter, in Unaks Armen geborgen. „Er ist tot, oh er ist tot“, klang Andurkans schöne, klare Stimme, von Matthies’ Flöte sacht umflort. Zand und der Leibarzt sahen sich an. Khudhirjah-Gesänge. Atarkanisch. Matthies’ Mutter stammte von dort, wie die des Königs. Alle Bewegung in dem großen Kirchenraum war erstorben. „Wir weinen…“, improvisierte jetzt der Knabe und entlockte der Flöte neue, klagende Töne – „Heiße Tränen weinen wir“, gab Andurkans Stimme zurück. „Doch die Himmel sind groß“, sang Matthies. „Sie tun sich auf, weit tun sie sich auf“ – „Ihn zu empfangen“ – „In Ewigkeit….“, Andurkans Stimme brach und er barg sein Gesicht an des Leibwächters Schulter. „Amen“, vollendete der Knabe und sandte sein ganzes Weh in einer letzten klagenden Tonfolge zum Allmächtigen empor. Dann steckte er die Flöte ein und stand auf und küsste den Sarg und verschwand.

      Langsam ließ der Bann des Khudhirjah nach. Die


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