Der Krieg. Barbara E. Euler

Der Krieg - Barbara E. Euler


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Blick. In Anbetung ruhten seine ebenholzdunklen Augen auf dem strahlenden Präziosum, während er rhythmisch zu sprechen begann.

       Simili modo postquam cœnatum est, accipiens et hunc præclarum Calicem in sanctas ac venerabiles manus suas: item tibi gratias agens, benedixit, deditque discipulis suis, dicens:

      Kaum merklich fiel Herigold in einen sanften, betörenden Sprechgesang. Wie weiche Wellen pulsten seine Worte durch den weiten Raum der Kathedrale.

       Accipite, et bibite ex eo omnes. Hic est enim calix sanguinis mei, novi et aeterni testamenti: mysterium fídei: qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum. Haec quotiescuumque feceritis, in mei memoriam facietis.

      Endlich setzte Herigold den Kelch nieder und hielt noch einen Augenblick lang die schönen Hände wie einen Segen über den Wein. Dann trat er zurück und sprach das Vaterunser. Seine klare, reine Stimme schwebte über ihren Köpfen.

       Pater noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum.

       Adveniat regnum tuum.

       Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra.

       Panem nostrum cotidianum da nobis hodie.

       Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.

       Et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo. Quia tuum est regnum et potestas et gloria in saecula.

       Amen.

      Wiederum umhüllte der Oberpriester den Altar mit heilbringendem Weihrauch. Die würzigen Wolken dämpften den Glanz des Weinkelches, bis Herigold ihn wieder feierlich ergriff und aus den Nebeln hob und vor sich hielt. Kurz nur tauchte der bescheidene Priester die eigenen Lippen in das kostbare Nass und reichte den Kelch dann dem Oberpriester, der andachtsvoll trank. Der Großmeister nahm sodann den Kelch wieder entgegen, sehr achtsam nahm er ihn und begann damit das Rund der harrenden Würdenträger abzuschreiten. Der Oberpriester folgte ihm mit dem Krug. Es war guter, starker Wein.

      Herigold hielt den Kelch an aller Lippen. An aller Lippen hielt er ihn, dass der heilbringende Trunk sie stärke und verbinde. Galant schenkte der Oberpriester nach, dass keiner darben musste. Als der Großmeister den Kelch von der Königin Lippen nahm, rann ein Tropfen ihr vom Kinn, rot wie Blut. Herigold zog ein Seidentüchlein aus dem Ärmel seiner weiten Stola und tupfte den Tropfen ihr vom Kinn, väterlich tat er’s und barg das Tüchlein wieder weg und fuhr mit Austeilen fort. Jolanthe zog den Schleier vors Gesicht.

      Dann durften sie aufstehen. Andurkan bot der Königin den Arm und half ihr auf. Der Physikus lächelte, weil es so überzeugend aussah. Unaks Werk. Sie hatten geübt.

      Während die Notablen sich wieder in das eichengeschnitzte Halbdunkel des Chorgestühls zurückzogen, richtete Herigold das Festmahl für alle. Wieder ließ er feine Hostien auf die silbergold glänzende Platte rinnen, wieder kniete er, erhob sich, hielt segnend seine Hände über die fragile Kost, betete still. Als er mit dem reich beladenen Teller nach vorne trat, setzte die Orgel ein, leise und feierlich.

      Auf ein Zeichen des Oberpriesters erhoben die Menschen sich von dem kühlen Steinboden. Von der Empore perlten jetzt wie Morgentau die umschleierten Edelfrauen mit den hohen, spitzen Hennins herab. Alle Gläubigen stellten sich in einer langen Reihe auf. Herigold, der Segensreiche, würde ihnen die Kommunion erteilen. Der Heilbringende. Der Größte. Geduldig reihten sie sich auf. Sie waren das Warten gewohnt. Alle waren sie das Warten gewohnt, ob nieder oder hoch, ob Knecht oder Kriegsherr, ob Fürstin oder Fischweib. Warten, dass Regen käme oder dass er endlich aufhöre. Warten, dass die Saat aufgeht oder der Sauerteig oder dass das Fieber fällt. Dass das Korn reift, das Kindlein genest; warten auf den Mann, der in die Schlacht gezogen ist, auf die Mutter, die bald vom Markt zurückkehren wird, auf eine Audienz bei Hofe, auf die Geburt eines Erben oder dass die Nacht vorüber geht. Warten. Wahrlich, sie waren es gewohnt und dass es oft vergebens war auch. Aber nicht hier. Nicht heute!

      Schüchtern taten sich die ersten Lippen auf und sanft bettete Herigold die zarten Hostien auf vorsichtig herausgeschobene Zungen. All diese Münder. All diese Lippen. Rosige, blasse, glänzende, rissige, frische und faltige, schmale und breite, sie alle öffneten sich vor Herigold, und der Großmeister beschenkte sie mit der segnenden Gabe. Mund um Mund tat sich vor ihm auf, unabsehbar die Reihe, und mit ruhiger Geschäftigkeit sorgten die Männer am Altar – Messdiener, Kanoniker, Priester –, dass der reiche Fluss der Hostien nicht versiege. Wieder und wieder reichten sie Herigold eine wohl gefüllte Schale und voll unermüdlicher Demut teilte der verehrte Großmeister die Heiligen Hostien aus. Mit geöffneten Lippen und geschlossenen Augen harrten die Menschen des großen Geschenks.

      Auf einmal hielt Herigold inne. Dieser Mund da, der tat sich nicht auf, und die Augen sahen ihm ins Gesicht, freundlich.

      Herigold kannte dieses Lächeln. Der Engländer. Der, der sich an heiligen Körpern verging, der sie aufschnitt, der sie schändete. Herigold starrte auf die breiten Schlachterhände, die sich zu einer Schale geformt hatten. Englische Sitten. Erwartungsvoll sahen die graublauen Augen ihn an. Es war erlaubt, das wussten sie beide. Rasch senkte Herigold eine Oblate in des Engländers Hände und wandte sich den nächsten zu.

      Sorgsam barg Cornelis die Hostie in der hohlen Hand, während er zurückging. Ganz bis nach hinten ging er, dorthin, wo die standen, die sich keine Mühe gaben, ein Teil der Wartenden zu werden. Die, für die die Heilige Gabe nicht gemeint war. Sie waren wegen der Almosen hier, sonst wären sie nicht gekommen. Die Huren und die Fahrenden, die Wanderärzte, Kesselflicker, Köhler, die Getriebenen, die Gezeichneten; Gauner und Gesindel oder was man dafür hielt. Für sie war das alles hier nicht bestimmt. Sie hatten zu wenig gespendet, gebetet, gebeichtet, gebadet… Irgendetwas war immer. Cornelis grüßte und hing den Hut, den er unter dem Arm gehalten hatte, über einen steinernen Säulenvorsprung. Langsam begann er die Hostie in winzige Stücke zu brechen. Eins tippte er mit dem Finger auf und nahm es in den Mund und stand ganz still, mit geschlossenen Augen. Dann hielt er die andern den um ihn herum Stehenden hin. Verwundert streckten sie ihre Hände danach aus, knorrig, knotig, schmutzig, rau; viele. Geduldig fischten sie die kleinen Stücke aus der ruhig hingehaltenen Chirurgenhand und aßen sie, unbesorgt; sie taten so vieles, auf das Strick und Scheiterhaufen standen. Aber ihr alter Bader, der hatte was zu verlieren. Sie grinsten ihn an.

      Der Bader grinste zurück, weil er froh war.

      Und weil er seit jenem Tag vor zwanzig Jahren nichts mehr auf dieses Leben gab.

       Nothing. Nothing at all.

      Dann kamen endlich die Almosen. Beleibte Mönche schleppten riesige Körbe heran, aus denen mit Rosinenkreuzen verzierte Gedenkbrote quollen, üppig wie der satte Klang der Glocken, der jetzt über ihren Köpfen anschwoll und sich über die Gaben legte.

      Weitere Körbe kamen, voll mit scheppernden Münzlein, die das Konterfei Herigolds trugen. Sie hatten ein Loch, damit man sie an einer Schnur um den Hals tragen konnte. Und dann waren da noch die Körbe mit heilkräftigen Bildchen, bunt gedruckt auf kleine Pergamentstückchen, und mit Blechkreuzlein, in deren Arme heilige Zeichen geprägt waren. GLORIA PATRI ET FILIO ET SPIRITU SANCTO SICUT ERAT IN PRINCIPIO ET NUNC ET SEMPER ET IN SAECULA SAECULORUM AMEN. Man trug sie in der Tasche, wenn man sich auf den Weg machte, sie brachten Glück. Und sie verkauften sich gut.

      Cornelis nahm seinen Hut und trat beiseite, dass die Leute an die Almosen kämen. Die Mönche reichten den Menschen, um was sie baten, Brot und Münze, Bildchen und Kreuz, und blieben ruhig und freundlich, als man sie drängte und stieß. Bald wogte das Kirchenschiff von Geben und Nehmen, denn überall hatte man die Körbe verteilt und überall schob die Masse sich und gierte, dass die Gläubigen sich aneinanderschmiegten und sich fortwünschten. Zank entbrannte; ein zorniges Summen wie von Hornissen lag in der Luft.

      Der kräftige Physikus hatte seinen Platz im hinteren Teil des Kirchenschiffs behauptet. Goodness. For nothing at all. Ungläubig starrte er auf den anschwellenden Tumult, in dem Mönche hin und her schwankten. Schon entriss man ihnen die Körbe.


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