Die Wiedergeburt. Uwe Siebert

Die Wiedergeburt - Uwe Siebert


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Brocken zu fassen. Mit einer raschen Bewegung fuhr seine rechte Hand nach vorn und schmetterte dem Banditen den Stein gegen die Schläfe.

      Lautlos fiel der Glatzkopf vornüber. Mit einem Ausdruck von Überraschung und Schmerz sah er zu Larkyen auf. Larkyen hob den Stein und schlug erneut zu, immer und immer wieder, bis das Gesicht des Banditen zu einer blutigen Masse verschmolz.

      Larkyen war außer Atem, und sein Herz raste. Er blickte panisch um sich, doch zu seiner Beruhigung hatte ihn niemand gesehen. Nie zuvor hatte er einen Menschen getötet, dennoch verspürte er einen Hauch von Genugtuung.

      Nun aber musste er so schnell wie möglich verschwinden. Er wollte leben, um alles in der Welt.

      Geduckt schlich er zwischen den Jurten und mehreren Schafen hindurch zu den Pferden, die an ihrer Tränke am Seeufer standen. Die großen kedanischen Rösser boten ihm gute Deckung. Nicht nur, dass sie größer waren als die Steppenpferde der Nomaden, sie schienen auch die Aggressivität ihrer Herren angenommen zu haben. Schnaubend drängten sie mit ihren langen Hälsen die kleineren Artgenossen von der Wasserstelle.

      Die Banditen, die sich anscheinend in Sicherheit wähnten, hatten es nicht für nötig gehalten, Wachposten aufzustellen. Während der eine oder andere von ihnen die Leichen fledderte oder die Jurten noch immer nach wertvollen Gegenständen durchsuchte, hatten sich die meisten um das Lagerfeuer und Endrit versammelt.

      Larkyen konnte einen Blick aus nächster Nähe auf sie erhaschen. Es mochten fünfundzwanzig Mann sein. Die bauschigen Schafsfelle, die sie über die Schultern trugen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen, konnten ihre kräftige Statur nicht verbergen. Ihre straffen Muskeln zeichneten sich sichtbar unter der Kleidung ab, und die Narben auf ihren Gesichtern zeugten von ihren zahlreichen Kämpfen. Der arme Endrit war diesen Wilden ausgeliefert. Sein geschundener Körper war längst blutüberströmt. Die Banditen aus Kedanien schubsten ihn zwischen sich herum, und sobald er zu Boden ging, schlugen oder traten sie auf ihn ein.

      Larkyen hätte ihm gerne geholfen, doch was konnte er als einfacher Nomade gegen diese Horde ausrichten?

      Plötzlich sah Endrit zu ihm hinüber. Als sich ihre Blicke trafen, glaubte Larkyen, Hass darin zu erkennen. Dieser Hass galt ihm, weil er sich befreit und eine Möglichkeit zur Flucht gefunden hatte, während andere dem Tod geweiht waren. Der flinke Streich einer Schwertklinge enthauptete Endrit.

      Die Banditen jubelten und lachten. Auf einmal jedoch verstummten sie.

      Ein Mann von erschreckender Leibeshöhe trat zwischen ihnen hervor. Er überragte alle Kedanier, und angesichts seiner gewaltigen Muskeln schien sich keiner unter den Barbaren des Nordens mit ihm messen zu können. Sein schwarzes Haar trug er im Nacken zu einem dicken Zopf geflochten. Sein linkes Auge verschwand unter einer hässlichen Narbe. Die schwere Kettenrüstung, die er über seiner Fellkleidung trug, rasselte bei jedem seiner Schritte. Dieser Hüne ergriff Endrits Haupt am Schopf, hielt es demonstrativ über sich in die Luft, und ließ das herabtropfende Blut in seinen offenen Mund fließen.

      Larkyen erschrak, und eine lähmende Furcht überkam ihn.

      Der Einäugige war kein Geringerer als Boldar die Bestie, der aus den Weiten der kedanischen Taiga im hohen Norden stammte. Larkyens Adoptivvater Godan hatte abends am Lagerfeuer die grausigen Geschichten von Boldar und seinen Banditen erzählt, wie sie weit durch die Steppen zogen, um zu rauben und zu morden. Von Boldar jedoch hieß es, dass er nicht nur der Beute halber tötete, sondern auch wegen des Blutes seiner Opfer, das er trank, um sich deren Kraft zu bemächtigen. So war er zum stärksten aller Kedanier geworden, und nur ein perfekt ausgebildeter Krieger konnte es mit ihm aufnehmen.

      Damals, wenn Larkyen gespannt den Erzählungen seines Adoptivvaters gelauscht hatte, hätte er nie geglaubt, der Bestie eines Tages selbst zu begegnen. Nun aber stand sie direkt vor ihm.

      Nachdem der Einäugige genügend Blut getrunken hatte, ließ er den abgetrennten Kopf zu Boden sinken. Dann hob er triumphierend ein langes, prächtiges Schwert in die Luft, dessen Klinge in kühlem Eisblau erstrahlte. Mit donnernder Stimme brüllte er: „Nordar! Heil dem Kriegsgott unseres Volkes.“ Die anderen Kedanier stimmten in den Ruf ein.

      Larkyen schwang sich auf den Rücken eines Steppenpferdes. Beruhigend strich er der Stute durch die buschige Mähne und redete ihr gut zu. Dann ritt er geradewegs los.

      Er war ein ebenso guter Reiter, wie auch die anderen Nomaden es gewesen waren, denen das Reiten von Kindesbeinen an im Blut lag. Er hatte sich bereits einen guten Vorsprung erarbeitet, als die Banditen seine Flucht bemerkten. Während der kalte Wind seine Ohren peitschte, sich aber auch lindernd über den heißen Schmerz seiner Wunden legte, blickte er zurück.

      Acht Reiter folgten ihm. Sie mochten die weiten Grasebenen ebenso gut kennen wie Larkyen, dennoch hoffte er, dass sie sich nicht allzu lange von ihren Gefährten entfernen würden.

      In der Ferne ragten die Ausläufer des Altoryagebirges als graue, leicht bewaldete Hügel auf. Dahinter erkannte er bereits die gezackten Berge, die sich beinahe schwarz vor dem Himmel abzeichneten. Spätestens im Gebirge würden die Banditen seine Spur verlieren.

      Ein paar Pfeile sausten erschreckend nahe an Larkyens Kopf vorbei.

      Wieder drehte er sich um, und abermals schoss einer der Banditen während des Galopps mit seinem Bogen. Da spürte Larkyen einen kräftigen Ruck in seiner linken Schulter, ein stechender Schmerz folgte und raubte ihm fast den Atem. Die Wucht des Pfeils hatte seinen Leib durchschlagen, und dicht neben seinem Kinn ragte die metallene Spitze hervor. Der weiße Stoff seines Hemdes sog sich voll mit Blut. Larkyens linker Arm baumelte herab, und während der Schmerz bis in seinen Oberarm hinab kroch, breitete sich in Unterarm und Fingerspitzen Taubheit aus.

      Benommen und mit nur einer Hand an den Zügeln, wurde es für Larkyen immer schwieriger, das Pferd bei vollem Galopp im Zaum zu halten. Der Weg wurde steiler, der Boden immer fester und steiniger.

      Nun stellte Larkyen zu seiner Erleichterung fest, das die Banditen die Verfolgung eingestellt hatten und zurück zum Kharasee ritten, der nur noch als großer glänzender Fleck im Tal zu erkennen war.

      Rauch stieg von dort auf. Wahrscheinlich brannten die Banditen die Jurten nieder. Dort unten lagen sie, seine Familie, seine Freunde, und mit ihnen alles, was ihm so vertraut gewesen war. Er fragte sich, ob er je über diesen Verlust hinweg kommen würde.

      Langsam ritt Larkyen weiter, und je mehr Blut er verlor, umso erschöpfter fühlte er sich. Er ließ das Pferd entscheiden, wohin der Weg führen sollte; er war zu schwach, um noch die Kontrolle behalten zu können. Fest krallte er sich in die Mähne des stämmigen Pferdehalses und ließ schließlich den Kopf sinken, während ihn tiefe Bewusstlosigkeit umfing.

      Kapitel 2 – Im Schatten kalter Berge

      Heiseres Kriegsgeschrei erklang, ausgestoßen von kräftigen Nordmännern, die wie im Blutrausch tobten. Mit tödlicher Präzision geführte Schwerter schnellten durch die Luft. Blut spritzte, und Godan, Larkyens Adoptivvater, sank mit zerfetztem Brustkorb zu Boden, wo seine Frau und sein Sohn bereits in ihrem Blut lagen. Larkyens Weib Kara flehte auf Knien um Gnade, bevor auch ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes durch den kalten Stahl ein Ende fand. Larkyen sah in ihre Augen, deren Glanz langsam erlosch.

      „Kara ...“, flüsterte er. „Kara ...!“

      Hilflos schweiften seine Blicke über die blutigen Leiber.

      „Ihr dürft nicht sterben“, flehte er sie an.

      Der Tod war etwas Endgültiges. Es gab kein Zurück von dort, und alles was blieb, waren erbarmungslose Schmerzen.

      Als Larkyen die Augen öffnete, fand er sich im Schein eines knisternden Kochfeuers wieder, in dicke flauschige Schafsfelle gehüllt. Sein Oberkörper war nackt. Die Wärme der Flammen tat ihm gut, und wenn auch seine Schulter noch schmerzte, fühlte er sich doch besser. Die Luft war von Kräuterduft erfüllt, der tief in seine Atemwege drang. Er stellte fest, dass er im Inneren einer Jurte lag. Jemand flößte ihm heißen Milchtee ein, und Larkyen trank so hastig, das er sich beinahe


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