Die Zeitlinie. Carolin Frohmader

Die Zeitlinie - Carolin Frohmader


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Elternhaus mit 18 verlassen und nach Köln gezogen war, schlug ich mich mehr schlecht als recht durch und teile mir die Wohnung mit zwei weiteren Studenten. Um mir das kostspielige Leben eines Medizinstudenten leisten zu können, trat ich bei den meisten Freizeitaktivitäten auf die Bremse. Die Zuschüsse meiner Eltern waren mir selten recht. Sie hatten damals aber darauf bestanden mir zur Volljährigkeit wenigstens ein Auto schenken zu dürfen und der Scirocco erfüllte mehr als nur seinen Zweck.

      Beinahe raste ich den Korridor hinunter, Richtung Innere Medizin.

      Visite. Station B.

      Wahrscheinlich sah er mich, bevor ich ihn gesehen hatte, oder er hatte meinen Schweiß gewittert. Obwohl ich ihm keine übernatürlichen Fähigkeiten zuschreiben wollte, besaß er eine verdammt gute Beobachtungsgabe um die ich ihn bereits beneidete: Professor Rieck und er sah nicht erfreut aus. Ich war zu spät - natürlich. Er stand bereits in einer Traube von Assistenzärzten und Studenten. Die Visite mit Professor Rieck war begehrt. Allerdings nur die Teilnahme. Wenn man in die Verlegenheit kam einen Patienten vorstellen zu müssen, wurde man ausgequetscht wie eine Zitrone. Er stellte unzählige Fragen und schweifte gern ab. Der Umgang mit dem Patienten lag ihm zwar nicht all zu sehr am Herzen, jedoch mussten auch Patientenfragen ausführlichst beantwortet werden. Wobei ich jedoch berechtigten Zweifel hegte, dass jeder Patient es so genau hatte wissen wollen.

      «Welch eine Ehre Mister Harris», sagte der Professor trocken, ohne mich auch nur anzusehen. Eh ich zu einer lächerlichen Entschuldigung ansetzen konnte, erstickte er sie im Keim.

      «Wenn Sie also so freundlich wären und uns die nächste Patientin vorzustellen», sagte er und Thomas, ein Kommilitone, streckte mir dankbar die Patientenakte entgegen. Sein Gesichtsausdruck und der Schweiß, der auf seiner Stirn glänzte, ließ keinen Zweifel an seiner Erleichterung.

      Die Vorstellung der Patienten, Anamnese und das Schreiben eines Therapieplanes gehörten zu den Hauptaufgaben eines PJ-lers. Nebst den Dingen wie Zugänge und Drainagen zu legen oder zu entfernen. Höhere Schwesternarbeit nennen das einige. Allerdings konnte ich dem nicht ganz zustimmen. Das waren immerhin die Grundlagen auf welchen man stetig aufbaute.

      Wahrscheinlich musste ich das auch so sehen. Immerhin hatte ich an diesem Morgen keine andere Wahl und setzte zu meinem gequälten Monolog an.

       ***

      Im Bereitschaftsraum stapelten sich Patientenakten links von mir und ein paar meiner Bücher für die Uni rechts auf dem Tisch. Keiner der beiden Stapel hatte irgendeine anziehende Wirkung auf mich. Ausharrend nippte ich an meinem Kaffee, rutschte auf meinem Stuhl hin und her als hätte ich den Tag einfach aussitzen können.

      «Selbststudium macht einen großen Teil des Ganzen aus!», ermahnte mich eine bekannte Stimme vom Flur her. Oberschwester Martha stand mit verschränkten Armen in der Tür zum Bereitschaftsraum, doch ihr Gesichtsausdruck verriet mir nichts über ihren Gemütszustand. Für gewöhnlich war sie stets professionell und um keinen Rat für Studenten oder auch Assistenzärzte verlegen. Mit Privatem hielt sie eher hinter dem Berg. Dies konnte ich ihr aber nicht verübeln. Ein Krankenhaus ist ein Hexenkessel, wo täglich an der gärenden Gerüchtesuppe gekocht wurde und nicht selten gab jemand mehr Zutaten hinein, als nötig gewesen wäre.

      Ich brachte ihr nur ein verhungerndes Lächeln entgegen. Sie trat in den Raum und steuerte auf die Kaffeemaschine zu, doch sie hielt inne, eh sie nach der Kanne greifen konnte.

      «Das ist ernst Linus!», sagte sie, drehte sich wieder zu mir und sah mich direkt an

      «Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mir Dir los ist und es interessiert mich auch nicht. Aber sieh zu, dass Du das schnell in den Griff bekommst.»

      Sie drehte sich weg und schenkte sich Kaffee ein. Ohne sich wieder umzudrehen sprach sie weiter und schaufelte sich Zucker in ihren Becher.

      «Es gibt einige hier, die sehr viel von Dir halten und denken, Du könntest einer der Besten deines Jahrgangs werden.» Ich musste schlucken.

      «Reiß Dich zusammen!», warf sie scharf hinterher und verließ dem Raum ohne eines weiteren Blickes.

      Mein Augen hatten ihr durch den Raum gefolgt, als wäre sie eine attraktive 20jährige, statt einer zerknitterten kleinen Frau. Ende vierzig wie ich schätzte. Zerknittert und klein, aber voller Kompetenz und Selbstbewusstsein.

       ***

      «Mensch Linus, hättest Du die letzten Stunden nicht noch ohne Schnitzer hinbekommen?» feixte Thomas während wir uns in der Umkleide der Krankenhausklamotten entledigten. Wollte er seine Erleichterung verbergen, dass ich ihm die Vorstellung erspart hatte, so gelang es ihm nicht besonders gut.

      «War schon im Wochenende. Immerhin habe ich diesmal eins», murmelte ich.

      «Wenn Du wenigstens eine Freundin hättest, Linus. Aber so mach ich mir schon fast Sorgen.» Er boxte mich gegen den Oberarm und grinste. Normalerweise würde mir das auch nichts ausmachen, denn ich gehörte nicht zur mageren Fraktion, sondern hätte mich als fit und kräftig bezeichnet, ohne übertreiben muskulös zu wirken. Diesmal jedoch, brachte mich der Boxhieb beinahe zum taumeln.

      «Dann lass Dich mal von Mutti verwöhnen, Weichei!» witzelte Thomas weiter und schüttelte verständnislos den Kopf.

      Seit sich drei Wochen zuvor Julia von mir getrennt hatte, hing ich etwas neben der Spur. Ich war noch nicht bereit mir selbst einzugestehen, dass die Trennung das einzig Vernünftigste war. Sie war nach Hamburg umgezogen, weil sie ihren Studiengang gewechselt hatte und sie war es auch, die das Thema Trennung schließlich ansprach und bis der letzte Hoffnungsschimmer gestorben war, ausdiskutierte. Schließlich hatte ich zu dem Zeitpunkt einfach klein-bei gegeben, denn ich konnte weniger Gründe finden die für uns sprachen als gegen uns. Wohl hoffend, dass sie es sich noch anders überlegen würde. Doch da lag ich falsch, drei Wochen hatte ich nichts von ihr gehört. Sie hatte zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie nach Hamburg wollte, doch ich war mir nicht sicher, ob ich den Wink einfach übersehen oder schlichtweg ignoriert hatte. Womöglich konnte ich zu Hause die Ruhe finden um mit meiner gescheiterten Beziehung endgültig abzuschließen. Julia selbst hatte dies wohl schon vor unserer Trennung geschafft.

      Zuletzt streifte ich in der Umkleide meine Lederjacke über und Thomas ging bereits eilig zur Tür hinaus ohne sich zu verabschieden.

      «Und lass deine Pechsträhne in dem Kaff da! Ich brauche Konkurrenten und keine Untertanen», drang Thomas' Stimme von der Tür. Er grinste noch kurz auffordernd durch den Türrahmen, eh er endgültig verschwand.

      Es ärgerte mich, dass es noch nochmal ausgesprochen hatte, aber leider hatte er nicht ganz unrecht. Seit der Trennung war ich nicht mehr in Höchstform und das ärgerte mich selbst schon genug. Es erinnerte mich an den Präp Kurs im 4. Semester. Das präparieren der Leichen war der reinste Reinfall. Die anonymem Leichen, die bäuchlings auf den Bahren lagen, wurden in Sektionen eingeteilt. Es standen sechs bis achte Studenten um die Tische und präparierten die vorbereiteten Leichen. Sarah Kingston und ich teilten und den linken Unterschenkel, welcher rasiert und beinahe unwirklich vor uns lag. Eine Stunde zuvor hatten Julia und ich Schluss gemacht. Sie hatte mir leid getan, doch es machte keinen Sinn mehr an unserer Beziehung festzuhalten, wenn man keine Zeit mehr für einander hat und allmählich das Interesse schwindet. Deshalb war ich überhaupt nicht bei der Sache und hätte Sarah beinahe verletzt. Zudem war der Unterschenkel nicht mehr zu gebrauchen.

      Mir Schwung schepperte die Tür meines Spindes zu und ich konnte meine müde Erscheinung im Spiegel an der Wand sehen. Meine graugrünen Augen schienen tief in den Höhlen zu liegen, zumindest vermittelten de dunklen Ränder diesen Eindruck. Die Haare, Straßenköter Blond, zerzaust. Ich machte mich gar nicht erst die Mühe sie in Form bringen zu wollen. Wachs hatte ich keines dabei und dorthin wo ich fahren würde, machte es keinen Unterschied ob ich perfekt gestylt war, oder eben so aussah, wie ich es tat. Ich strich mir noch kurz über das stoppelige Kinn, aber an rasieren verschwendete ich erst recht keinen Gedanken mehr.

      Der Rucksack landete mit einem dumpfen Klong auf dem Rücksitz meines weißen Sciroccos, direkt neben einer kleinen schwarzen Reisetasche. Trotz der offensichtlichen


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