Die Zeitlinie. Carolin Frohmader

Die Zeitlinie - Carolin Frohmader


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eingesteckt. Völlig entnervt stieg ich schließlich ein. Ich ärgerte mich über die Leiche, über Sarah, über Thomas, über Professor Rieck, natürlich über Julia und schließlich auch über mich selbst. Verdammt ich war so verdammt wütend, dass ich am liebsten ins Lenkrad gebissen hätte. Stattdessen knurrte ich wie ein Hund bis ich vor lauter Wut zu schwitzen begann und aufs Gas trat.

      Dabei hatte ich gar nicht gemerkt wie die kleinen Regentropfen leise auf den Wagen trommelten und der Scheibenwischer begann zu wischen. Ich knurrte noch ein weiteres Mal das Lenkrad an, eh ich die Geschwindigkeit verringerte um mein Ziel noch lebendig zu erreichen.

      Allmählich färbte sich das Laub rot und braun, doch die Farben leuchteten nicht so, wie es mir zu den vergangenen Herbstzeiten vorgekommen war.

      Mein 90 minütiger Weg führte mich nach Althernau, in die Hocheifel. Ein kleiner Ort in der Mitte von Nirgendwo. Als Kind hatte ich es geliebt doch die Jugend dort schien mir gleich der Hölle zu sein. Bis auf Pit und meine Eltern hatte Althernau dennoch nichts, was ich vermisste.

      Die obligatorische Kirche in der Dorfmitte konnte ich als Erstes hören, als ich Schlag 19 Uhr die Ortsgrenze passierte. Zwei alte Eichen nahmen sie in ihre Mitte, welche weniger durch ihre Höhe, sondern vielmehr durch die Breite ihrer Stämme bestachen. Unermüdlich läuteten die Glocken der Kirche zu jeder vollen Stunde, seit ich mich zurück erinnern konnte. Die Straßen wurden gesäumt von alten, weißen Fachwerkhäusern, mit den typischen schwarzen Querbalken. Schicke Gärten umrahmten einzelne Häuser, einige davon sogar mit roten Dachziegeln.

      Trotz Fachwerk sah jedes Haus anders aus und mittlerweile fanden sich auch einige neuere Bauten zwischen den mir so vertrauten Straßenzügen.

      Obwohl ich zuerst mein Elternhaus ansteuern wollte, bog ich zwei Straßen früher ab und hielt vor einem der älteren Fachwerkhäuser mit einer kleinen Bäckerei im Erdgeschoss. Dernbachs Backstube stand in kursiven Lettern in der Mitte des Schaufensters.

      Inzwischen war es dunkler geworden, Wolken hatten den Himmel verdeckt und starker Wind fegte durch die Baumwipfel. In der Bäckerei brannte noch Licht und es zog mich an wie eine Motte. Ich fischte meinen Reisetasche vom Rücksitz und trat anschließend auf die Schwelle der Eingangstür.

      Ich hielt kurz inne, mit erhobener Faust zum klopfen bereit. Zuerst holte ich tief Luft und lies sie ganz langsam aus meinen Lungen wieder entweichen. Es lag etwas darin, etwas, was ich womöglich auch vermisste. Petrichor. Kaum noch wahrnehmbar, längst nicht so intensiv wie im Sommer. Der Duft von Regen auf trockener Erde. Ich lächelte unwillkürlich und schüttelte es direkt wieder ab. Wie an einem Stück alte Heimat, klopfte ich schließlich an die dünne Glasscheibe in der Tür. Lange musste ich nicht warten, als die Tür aufgerissen wurde.

      «Man, Du siehst scheisse aus, Alter.» Pit winkte mich mit einer kurzen Armbewegung rein und wir umarmten uns zu einen kurzen Gruß.

      Pit würde mich nicht fragen, warum ich dieses Wochenende kam. Er würde mir ein Bier nach dem anderen in die Hand drücken und einfach abwarten, ob ich die Worte fand, oder eben nicht.

      Eigentlich hieß Pit auch nicht Pit, sondern Eric. Eric Peterson. Für mich jedoch, seit ich mich zurück erinnern kann, war er Pit.

      Miranda würde nicht so zurückhaltend sein. Sie und Pit waren schon seit einige Jahren zusammen und wohnten gemeinsam über der Bäckerei, in der Pit arbeitete.

      Er ging vor durch den Verkaufsraum und die Treppe rauf, die sich hinter einem roten Vorhang verbarg. Ich sah mich unwillkürlich nochmal um, knipste das Licht aus und folgte ihm dann hoch in die warme Wohnküche der zwei Zimmer Wohnung. Dabei fiel mir auf, dass Pit deutlich runder geworden war.

      «Und was ist das?», fragt ich ihn belustigt und kniff ihn in den deutlich anschwellenden Rettungsring.

      «Das nennt man Arbeitseinsatz», konterte er und winkte ab. «Seit der alte Dernbach gestorben ist...», fügte er hinzu. Dabei ließ er den Kopf fallen und schob sich auf einen Stuhl am Küchentisch.

      «Bier?», fragte Pit. Und er meinte es ernst. Allerdings war ich noch nicht breit für die Bier-Offenbarung.

      «Ging es ihm zuletzt nicht besser?»,fragte ich schnell um der Getränkefrage auszuweichen.

      «Es war einfach alt, Linus. Er ist 92 geworden und...»

      «92?», wiederholte ich überrascht und schnitt Pit somit das Wort ab. «Die Zeit rast. Das ist ja der Wahnsinn.» Eifrig rieb ich mir über die Augen.

      «Allerdings. Omi wird doch dieses Jahr auch noch 89 Jahre. Sie macht aber einen fideleren Eindruck als Chefchen es gemacht hat», sagte Pit und wieder überraschte er mich. Er nannte meine Oma Ludovika Harris, ebenfalls Omi, das hatte sie ihm vor vielen Jahren angeboten, weil Pit keine Großeltern hatte. Somit war meine Oma, unserer beider „Omi“. Er war lange Zeit sehr stolz darauf und nun wusste ich, dass er es noch immer war.

      «Sie wird sich freuen!», fügte er hinzu.

      «Worüber?», fragte ich und rieb mir diesmal die Schläfen.

      «Hm, ich bin zwar nicht so neunmal klug wie Du, aber ich hab mir schon gedacht, dass Du nicht ihretwegen kommst», teilte Pit zufrieden mit. Seine Zufriedenheit wandelte sich aber schnell in etwas zwischen Besorgnis und Neugier, als ich nicht sofort antwortete.

      «Hatte keine Ahnung, dass sie hier ist. Niemand hat es mir gesagt», stellte ich ernüchtert fest. Nicht nur, dass mir niemand gesagt hatte, dass sie meine Eltern, zwei Straßen weiter besucht, zudem stand mir plötzlich nicht mehr der Sinn nach einem Familienwochenende.

      «Warst du schon dort? Was gab's zu Essen?», fragte ich rhetorisch. Doch Pit verstand den Wink nicht und antwortet trotzdem.

      «Jup. Heut zum Mittagsessen. Deine Mutti hatte einen wirklich prima Hackbraten gemacht und Omi war ganz aufgeregt.»

      Jetzt hatte ich Kopfschmerzen.

      «Wo ist Miranda eigentlich?», wollte ich nun doch wissen, wo es jetzt einige Minuten still gewesen war. Miranda ist eine durchaus neugierige und interessierte Person. Hätte sie mich also bemerkt, wäre sie längst hier und würde mich mit Fragen löchern. Stattdessen war es mir vergönnt in aller Ruhe auf die hölzerne Tischplatte vor mir zu starren. Was ich aber am meisten an ihr schätzte, war die Tatsache, dass sie Pit glücklich machte. Vermutlich hätte sie alle Jungs der nächsten 20 Dörfer haben können, doch irgendwas fand sie an Pit. Sie selbst war zwar keine Schönheit im klassischen Sinne, doch sie war attraktiv und nicht dumm.

      «Zu ihren Eltern gefahren das Wochenende. Sie ist schon heute Morgen los.»

      Pit fragte nicht, aber er sein Blick war durchdringender als die Fragen von Professor Rieck jemals hätten sein gekonnt. Eine Prise Vorwurf las ich aus dort heraus, denn ich war länger schon nicht hier gewesen. Hatte weder meine Eltern noch ihn und Miranda besucht.

      Wortlos stellte er mir ein Glas vor die Nase und schenkte Cola ein.

      «Das sollte ich auch nicht mehr trinken.» sagte er und hielt die Flasche hoch. «Das verdammte Zeug bleibt sofort kleben und bald kann ich mich durch die Backstube rollen.» Er runzelte die Stirn und stellte die Flasche weg.

      So dick war Pit nun auch wieder nicht. Seine jugendliche hagere Figur, hatte er allerdings tatsächlich abgelegt.

      «Konnte er nicht mehr backen?», hakte ich nach. Der alte Dernbach lebte früher nur für seine Backstube. Es war für mich unvorstellbar, dass er nicht mehr selbst backte.

      «Nein, gar nicht mehr.» seufzte Pit. «Er hatte den Betrieb bereits ganz mir überlassen. Allerdings...», stoppte er abrupt.

      «Was?»

      «Allerdings weiß ich auch nicht, wie lang ich noch backen kann. Die Großbäckereien schnappen mir die Kunden weg. Die Restaurants kürzen ihre Bestellungen oder geben erst gar keine mehr auf.»

      Ich hätte mich Ohrfeigen können. Klasse Freund war ich. Da war ich wütend wegen ein paar schlechten Wochen und Pit sorgte sich um seine Existenz.

      «Shit.» Brachte ich spontan


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