Die Zeitlinie. Carolin Frohmader
WG Mitbewohner in unserer Wohnung veranstalteten. An einem Sonntag. Fassungslos stand ich mit meinem Gepäck in der Tür und kämpfte mich zu meiner Zimmertür. Sie war unverschlossen und immerhin hatte es keiner betreten oder es räkelte sich gar ein nacktes Pärchen auf meinem Bett. Das war damals leider keine Fata Morgana gewesen als ich von einem Lehrgang aus München zurück kehrte. Immerhin hatte ich Fronten, mein Zimmer betreffend, klar machen können. Was den Rest der Wohnung anbelangte, konnten den die anderen aufräumen.
Gegen Mitternacht als auch endlich der letzte Partygast den Weg nach draußen gefunden hatte und die Wohnung zur Ruhe kam, wurden meine Augenlider schwer und ich schlief schließlich ein. Die herbeigesehnte Ruhe währte jedoch nicht lange. Mein Handy surrte in meiner Hosentasche auf dem Parkettboden und blinkte im Takt. Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte dran zu gehen verstummte es wieder, kurz darauf surrte es noch einmal. Mailbox. Und schon im nächsten Moment war ich wieder versunken und glitt mit Leichtigkeit zurück in den Tiefschlaf.
Kapitel 3
Obrigkeit
Das Krankenhaus an diesem Montag war genauso wie jeden Montag. Es wurde von kranken oder vermeintlich kranken Menschen überflutete. All jenen die zu gesund für einen Rettungswagen waren und zu krank um sich der langwierigen Prozedur eines Hausarztbesuches auszusetzen. Verdenken konnte ich es ihnen nicht, dennoch musste man wiederum zwischen jenen unterscheiden, die sich offenkundig langweilten, die häufigste Diagnose wenn es nach Oberschwester Martha gegangen wäre und jenen die tatsächlich ärztliche Hilfe benötigten.
Außer dass ich fast verschlafen hätte, tat mir der Alltag, die Schufterei für die Uni und die Plackerei fürs Krankenhaus dennoch gut. In diesen Momenten, war ich mir sicher, den richtigen Beruf gewählt zu haben. Denn ich wollte den Menschen helfen, ich wollte heilen, oder zumindest einen Teil dazu beitragen. Wer wusste das schon, ein Jahr im Ausland, Ärzte oder Grenzen vielleicht? Nein, ich war kein Weltverbesserer, aber ein bisschen naiv war das schon. Die Welt brauchte definitiv mehr als einen vierundzwanzig jährigen Studenten um gerettet zu werden. Falls da überhaupt noch irgendwas zu retten war. Selbst das, wagte ich zu bezweifeln.
Und nein, ich war auch kein hoffnungsloser Optimist, der jedem sein Mantra auf die Nase band und keine Rücksicht darauf nahm, ob derjenige überhaupt Interesse daran hatte oder vielleicht nur eine Kopfschmerztablette wollte.
«Bürschchen? Hörrense mal. Isch ahn nisch der janze Daach Zick. Hallo!», säuselte es mir entgegen.
«Ich weiß und es tut mir sehr leid, Herr... ähm», ich begann in der Krankenakte zu blättert, doch an der Stelle des Nachnamens stand nur ein Fragezeichen. Immerhin einen Vornamen hatte er. Walter.
«Also, Herr... ähm... W-Walter», setzte ich an.
«Ming Fründe sagen Waldi», sagte Waldi stolz und lächelte mich mit seinen Zahnlücken an. Die übrigen Zähne waren bräunlich verfärbt und sein Geruch war undefinierbar zwischen Urin und Erbrochenem.
«Es tut mir leid, aber offensichtlich haben sie keine schwerwiegende Verletzung, darum kann ich die leider nicht vorziehen. Haben Sie denn noch was anderes außer Kopfschmerzen? Ich kann Ihnen ein...» Doch Waldi winkte ah ich meinen Satz beenden konnte. Er zeigte auf eine volle Sitzgruppe, mit noch zwei freien Plätzen und torkelte darauf zu. Er stank zum Himmel, doch immerhin war er friedlich
«Nüscht im Kopf diese jungen Burschen», murmelte Waldi in seinen Bart.
Ernüchternd stellte ich schon an diesem Morgen fest, dass es bis zu Ärzte ohne Grenzen noch ein weiter Weg war, wenn ich nicht mal einem Obdachlosen helfen konnte.
Zumindest blieb mir die Überheblichkeiten in Person, Thomas und Professor Rieck heute erspart. Für beide war es mehr als unüblich sich in die Notaufnahme zu verirren. Dort war ich sicher. Sogar vor dem Arzt, dem ich an diesem Tag zugeteilt war. Dr. Robert Neubert war viel zu sehr mit den Krankenschwestern beschäftigt und riss einen Kalauer nach dem Anderen, welche durch eifriges Gekicher quittiert wurden.
«Mittagessen? Ich bin dran und Neubert sagt, ich soll Dich mitnehmen.» Die Stimme gehörte Sam Hansemann, eine Kommilitonin und sehr begabt, was ich nicht zu meinem Vorteil, gestehen musste. Sam hatte beherzt eingegriffen, als ich Sarah beim präparieren unsere unbekannten Leiche, fast das Skalpell in den Bauch gerammt hätte. Mitten im Präp Kurs.
Es ging mir nicht alleine so, man fühlte sich wenig vorbereitet, als man einen nackten Leichnam vor sich liegen hatte. Zuerst kamen Gedanken, ob der Mensch auch tatsächlich tot ist oder womöglich von oben aus zusieht. Doch diese werden schnell ersetzt durch die Frage wie tief man wo schneiden darf. Und es siegt eindeutig die Neugier wenn man entdeckt, dass sich ein Nerv wie eine Wäscheleine anfühlt, oder ein Muskel wie ein Stück Polster von einem Sofa - mit Riffeln. Diese Erfahrungen stärkten den Respekt. An die Toten sowie an die Lebenden.
Wenn man allerdings schlussendlich schneiden möchte, musste man die Haut des Leichnams zunächst vom Körper weg spannen, jedoch hielt ich die Pinzette derart verkrampft, dass meine Finger taub wurden und ich das Skalpell nicht mehr halten konnte. Eine unachtsame Bewegung mit der tauben Hand genügte Sarah um einen Satz zur Seite zu machen und ich stach vor Schreck mitten in den Unterschenkel des Toten. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Stattdessen zog Sam das Skalpell heraus und ließ es klirrend zu Boden fallen, täuschte ein Malheur vor und die Aufmerksamkeit galt nicht mehr mir.
«Danke. Das hätte ich früher schon mal sagen sollen», gab ich demütig zu.
«Wegen dem Skalpell?», nuschelte sie, während sie bereits zum nächsten Biss in ihr Thunfisch Sandwich ansetzen. Leider sind manchmal die warmen Mahlzeiten aus der Kantine schneller vergriffen als man gucken kann. Und wenn man nicht genügend Zeit hat und auf den Nachschub zu warten, dann musste man sich mit dem Salatbuffet anfreunden. In unserem Fall der Snack Automat im Erdgeschoss, welcher auch passable Sandwiches ausspuckte.
Wir saßen im Treppenhaus zwischen Erdgeschoss und Keller. Dort war es immer angenehm kühl und selten kam jemand auf die Idee statt des Aufzuges das Treppenhaus zu benutzen. Und schon gar nicht Richtung Keller.
«Egal Linus. Rette irgendwann mir den Arsch und dann sind wir quitt.»
Den Gefallen würde ich ihr gerne tun. So fern sie sich denn wirklich Fehler erlauben sollte. Genau da war ich mir nicht so sicher. Meine Ego hatte einen Knick davongetragen, also schwieg ich um nicht noch mehr Dellen zu verursachen.
Den Weg zurück zur Notaufnahme verlängerte ich, indem ich noch zu den Umkleiden zurück lief. Mein Handy hatte ich am Morgen hektischer weise in meiner Jeans vergessen. Als ich es aus der Hosentasche zog leuchteten mir bereits 5 Anrufe in Abwesenheit sowie 7 Kurznachrichten entgegen.
Fünf davon waren Mailboxnachrichten, die anderen beiden waren von Pit.
Alter! Meld Dich gefälligst!! Und Du hast Kram bei mir vergessen.
Hatte ich aber gar nicht.
Erst die letzte Mailbox Nachricht kam auf den Punkt.
«Linus, Schatz hier ist Mama. Du bist zwar eben erst los gefahren und ich hoffe Du bist jetzt schon zu Hause und sitzt. Das Wohnheim von deiner Oma hat eben angerufen. Man hat sie im Bett gefunden. Schatz, sie ist im Schlaf von uns gegangen. Bitte ruf schnell zurück.»
Es traf mich trotzdem wie ein Schlag. Bei alten Menschen muss man immer damit rechen, dass sie sterben könnten. Die, die Glück haben tun es plötzlich, am besten im Schlaf und bei bester Gesundheit. Die, die Pech haben, kämpfen einen langen Krankheitskampf, hoffen und bangen über einen langen Zeitraum um dann ernüchternd festzustellen, dass der Tod sich nicht aufhalten lässt. Gleich, wie sehr man gebetet, Lastern entsagt oder für Sünden gebüßt hat. Ich war der festen Meinung, dass der Tod keine Unterschiede machte. Er hinterfragt nicht, urteilt nicht und kennt auch keine Gnade.
Auch wenn ich einen Beruf gewählt und mich der Heilung und Hilfe für kranke Menschen verschreiben wollte, dachte ich nicht, dass ich damit wie selbstverständlich immer gegen den Tod