Die Zeitlinie. Carolin Frohmader

Die Zeitlinie - Carolin Frohmader


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verwirrte. Die glatte Oberfläche reflektierte schwach die Beleuchtung in der Wohnküche. Vielleicht hatte ich auch erwartet einen alten Gegenstand auszuwickeln, doch die Erscheinung des Kästchens war eher neuwertig. Pit zog die Stirn kraus und hing mit dem Gesicht unmittelbar vor der Kästchen, auf der gegenüberliegenden Seite.

      «Was soll das sein?», fragte er und das war die beste Frage überhaupt. «Eine Dose? Aber was tut man da rein, das Loch ist nicht sehr groß und einen Deckel scheint es auch nicht zu geben, obwohl...», doch ich unterbrach ihn.

      «Ein Loch?» fragte ich benommen?

      Anstatt das Kästchen umzudrehen, stand ich auf. Wackelig, aber es ging und kniete mich auf Pits Seite vor den Tisch.

      Ich musste feststellen, dass ich scheinbar auf die Rückseite oder Unterseite geschaut hatte, mit deren glatten Oberfläche. Die Pit zugewandte Seite hatte tatsächlich eine Öffnung. Maximal Grapefruit Groß, darum schloss ich eine Obstschale vorerst für mich aus.

      «Und was ist das? Deko? Das macht das Loch aber doch noch kleiner. Wie unpraktisch!», sagte Pit enttäuscht.

      Tatsächlich waren noch drei Ringe um die Öffnung herum angebracht. Sie schimmerten goldgelb, vielleicht ein wenig angelaufen und blass an manchen Stellen. Doch es waren drei Ringe, jeweils vielleicht breit wie ein Bleistift. Darauf waren Symbole, die ich nicht kannte. Extrem kleine, verschwommene Symbole, die ich auch mit zusammengekniffenen Augen nicht erkennen, geschweige denn deuten konnte. Nun hockte ich vor dem Kästchen wie zuvor Pit und starrte es an.

      «Und?», fragte Pit. Ich zuckte nur mit den Schultern.

      Ich stellte unser Fundstück so hin, dass die Öffnung nun nach oben zeigte. Alle anderen Seiten waren so, wie die Rückseite, die ich von der anderen Tischseite bereits bestaunt hatte. Glatt und schwarz. Mit beiden Händen fuhr in an den Seiten entlang, doch auch mein Tastsinn hatte unter dem Alkoholgenuss gelitten, denn ich konnte ad hoc nicht ausmachen, aus welchem Material das Kästchen war.

      «Eine ganz passable Blumenvase wäre es ja», lallte Pit und ihm fielen schon merklich die Augen zu.

      «Dann versuchen wir morgen, ob es wasserdicht ist», lallte ich zurück und kam kaum mehr auf die Füße.

      «Feierabend!», verkündete ich und ließ mich mit einem Seufzer auf mein grünes Sofa fallen. Wie Pit ins Bett verschwand, die Nacht vorüber ging und das Kästchen seinen Standort änderte, bekam ich alles nicht mehr mit. Wohlig befand ich mich in einem tiefen Schlaf, aus dem ich nur ungern wieder erwachte.

      Der Abend mit den Kindheitserinnerungen brachte mich im Traum zurück zu meinem 5. Geburtstag. Vielleicht war es auch der 4. Eifrig riss ich die Pakete auf, das Geschenkpapier flog durch die Luft, segelte sanft zu Boden. Schleifen lagen bereits dort in den buntesten Farben und vermischten sich zu einem bunten Brei. Aber Omi war dort, sie saß auf der Couch und überreichte mir ein weiteres Päckchen, dass ich ebenfalls aufriss. Es war ein kleiner Arztkoffer, mit Fieberthermometer, Pflaster, Blutdruckmessgerät, Stethoskop und Spritze. Er sollte mich die nächsten Jahre noch begleiten.

      Noch bevor ich die Augen öffnete und das zarte Sonnenlicht meine Netzhaut streifen konnte, bohrte sich bereits der stechende Schmerz in meine Schläfen. Die Geräusche aus der Backstube und dem Verkaufsraum waren nicht zu überhören, doch ich hörte nur Miranda. Beim genaueren hinhören, lief das Wasser im Badezimmer. Pit hatte sich bereits hoch gequält und ich versuchte auch meinen Oberkörper in die Vertikale zu bewegen. Der Kopf schmerzte und meine Glieder waren schwer, doch kein Zustand, den ich nicht kannte.

      Mein verschwommener Blick fiel auf den Tisch. Er war leer. Das Kästchen!, fiel es mir wieder ein. Das Eierschalenlaken war auch weg. Ebenso wie der Karton.

      «Miranda hats weggeworfen», krächzte Pit, als er mit Handtuch um die Hüften in die Wohnküche geschlappt kam. Unvermittelt sprang ich auf, ungeachtet der Kopfschmerzen und den Schwindels, der mich überkam.

      «Was?», krächzte ich ebenfalls.

      «Nur die Verpackung», sagte Pit und gähnte «Miranda meinte das Laken hätte total gestunken. Hab ich aber nicht gerochen. Du?», fragte Pit, während er sich einen Kaffee eingoss.

      «Nehm auch einen. Nen doppelten bitte», raunte ich. Wankend machte ich mich auf den Weg zum Küchentisch. Pit goss mir eine Tasse ein und warf der Wanduhr einen flüchtigen Blick zu.

      «Schon fast neun. Miranda wird mir den Hals rumdrehen.»

      Vorsichtig nippte ich an dem schwarzen Kaffee und spürte allmählich, wie wieder Leben in meinen Körper gelangte.

      «Du musst Dein Frühstück unten holen», sagte Pit und verschwand auch sofort wieder im Schlafzimmer, diesmal jedoch schnelleren Schrittes.

      «Und lass mich nicht all zu lang mit ihr allein, ok?», flüsterte er und zog sich ein weißes T-Shirt über. Seine nicht mehr weißen Socken standen dazu in einem komischen Kontrast. Seine grünen Boxershorts gab dazu den Rest.

      «Wo ist es?», wollte ich noch wissen, während Pit auf der Suche nach einer Hose war. Jedoch ohne entsprechende Bekleidung stand er plötzlich wieder neben mit in der Küche.

      «Immerhin nicht in der Spülmaschine. Wo es laut Mira hingehört.»

      Ich runzelte nur die Stirn. Offensichtlich hatte der Kaffee noch nicht mein Sprachzentrum erreicht. Ebenfalls wortlos öffnete Pit den Schrank unter dem Waschbecken. Und da stand es. Das schwarze Kästchen mit den goldgelben Ringen. Pit stellte es mir auf den Tisch und nun konnte ich mir die Zeichen auf den Ringen genauer ansehen. Aber so kryptisch wie ich sie in Erinnerung hatte, waren sie gar nicht. Ich war einfach nur zu besoffen gewesen.

      Es waren römische Zahlen.

      Auf dem äußersten waren die meisten Ziffern.

      I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII XXIII XXIV XXV XXVI XXVII XXVIII XXIX XXX XXXI

      Auf dem Ring in der Mitte waren es schon weniger.

      I II III IV V VI VII VIII IX X

      Auf dem äußersten Ring schließlich noch weniger:

      M D C X V I

      Und mit fortschreitend klarem Blick konnte ich auch erkennen, dass das Kästchen auch nicht leer war. Darin konnte ich eine ebenfalls Gelbgold und angelaufene Kugel erkennen. Beherzt griff ich hinein, doch der Schlag der mich versetzt wurde konnte unmöglich aus einer üblichen elektrischen Aufladung stammen. Kurzzeitig fühlte ich mich, als hätte ich in eine Streckdose gelangt. So schnell wie ich wollte bekam ich meine Hand dann auch nicht mehr aus dem Kästchen heraus, so dass ich es umstieß bei dem Versuch meine Hand so schnell es geht und ohne Brandlöcher zu befreien.

      «Was war das denn?» sagte Pit erstaunt. Auf der Schwelle zum Lachen.

      Nach kurzer Begutachtung meiner Hand und deren unversehrten Zustand stellte ich das Kästchen wieder aufrecht hin und wir beide beugten uns vorsichtig über die Öffnung.

      «Hats Dich etwa gebissen die Kugel?», fragte Pit belustigt.

      «Es hat mir auf jeden Fall eine verpasst.»

      «Dann greif nochmal rein, jetzt ist es ja wohl entladen. Oder?»

      «Eine Kugel wird’s kaum sein. Und es tut weh!», überrascht hielt ich meine Hand hoch, denn der Schmerz hatte tatsächlich zeitverzögert eingesetzt. Das zunächst aufgeschüttete Adrenalin hatte sich verflüchtigt.

      «Ich seh doch die Kugel», sagte Pit ungeduldig.

      «Sie rollte aber nicht», gab ich zum Besten und schubste den Kasten leicht an. Pit tat es ebenfalls. Anstatt etwas zu sagen kräuselte er nur die Lippen. Wie er es immer tat, wenn er nichts mehr zu sage wusste oder so tat als würde er nachdenken.

      «Dann mach ich es», sagte er schließlich und griff ohne weiteres Zögern in das Kästchen. Mir lieb somit überhaupt gar keine Zeit zum Protest. Immerhin bekam er keine verpasst, doch er hatte sich festgebissen.

      «Was ist?», fragte ich drängend.

      «Geht


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