ORGANE. Hannes Wildecker
war ein Mann, auf den Verlass war, da konnte man über das eine oder andere hinwegsehen, oder -hören Heute war Bresser alleine mit der Drehleiter zum Tatort gekommen. Es war Samstag, Wochenende, da musste man die Leute nicht unbedingt von ihren privaten Vorhaben weglocken.
„Festhalten, es geht aufwärts!“ Was mich betraf, war dieser Hinweis total überflüssig, denn ich hatte mich bereits mit beiden Händen an der Reling festgeklammert.
„Was nun?“, fragte Bresser.
„Ich möchte, dass sie den Korb so entlang an dem Felsen vorbeibewegen, dass wir jeden Zentimeter begutachten können“, kam Peters meiner Antwort zuvor. „Wir suchen nach Auf- oder Abstiegsspuren. Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Täter mit dem Toten zum Plateau aufgeseilt haben und wir wollen herausfinden, ob und wie das möglich war.“
„Natürlich ist das möglich. Kein Problem“, ließ sich Bresser vernehmen, während er den Korb von einer Seite zur anderen, Meter für Meter langsam höher fuhr. „Für Feuerwehrleute oder andere Hilfskräfte ist das kein Problem.“
„Das heißt, Sie könnten das auch?“
„Was für eine Frage. Bin ich Feuerwehrmann oder nicht?“
„Und wie?“
„Was: Und wie?“
„Ich meine, wie würden Sie es anstellen?“, fragte Peters äußerst interessiert.
„Es kommt darauf an, wie viele Leute wir sind und wie das, was da hochbefördert werden soll, geschützt oder geschont werden soll. Wenn es sich dabei um eine verletzte Person handelt, sind schon einige Leute erforderlich.“
„Wie viele mindestens?“
„Na ja, ich würde sagen, drei. Zwei oben zum Hochziehen und einer beim Verletzten.“
„Und bei einem…Toten?“
„Gut, wenn man ihn ohne Beschädigungen…ich meine, ohne Schrammen, da rauf bringen will, mit zwei kräftigen Männern würde das schon klappen. Einer oben, einer unten am Mann.“
Peters legte die Stirn in Falten und überlegte.
„Wenn nur einer oben steht, und der müsste ja vorher hochgeklettert sein, kann der nie die Kraft haben, einen Toten hochzuziehen. Nein, unmöglich.“
„Es sei denn, man bedient sich eines Hebels…oder eines Flaschenzuges.“
„Den man erst einmal dort hoch schaffen müsste. Wie schwer ist so ein Flaschenzug?“
Der Flaschenzug ist doch kein Problem“, meldete ich mich nun auch zu Wort. „Nachdem der Kletterer oben angekommen ist, zieht er ihn an einem Seil zu sich hoch.“
„Ich verstehe ja nicht viel von Technik.“ Leni zeigte in die Richtung des Plateaus, als sie nach erfolglosem Suchen wieder auf sicherem Boden standen. „Aber sag mir einer einmal, woran man den Flaschenzug befestigen soll? Soviel ich weiß, braucht man dafür eine Querstrebe oder so etwas Ähnliches.“
„Da hat Ihre Kollegin Recht“, sagte Bresser und schaute Leni von der Seite respektvoll an. „Ich sagte ja auch nur, dass ich weiß, wie es gehen könnte. Wäre es ein Rettungseinsatz, würden wir den Halt für den Flaschenzug herstellen, mit Fremdmitteln allerdings.“
„Das würde Spuren hinterlassen haben da oben, aber solche gibt es dort nicht.“ Peters schien zu resignieren.
„Ich würde es einmal auf der anderen Seite des Felsens versuchen, mischte sich Leni noch einmal in das eigentlich typische Männergespräch ein. „Vielleicht hat man die Leiche dort hochgezogen.“
Wie auf ein Kommando sahen die drei Männer Leni mehr oder weniger mitleidig an. So kann auch nur eine Frau denken! Dieser Satz war allen im Gesicht abzulesen.
„Auf der Rückseite ist der Aufstieg um ein Drittel höher, Leni.“ Meine Stimme klang leicht gequält. „Da hinaufzusteigen ist viel zu aufwendig.“
„Aber vielleicht gibt es dort eine Möglichkeit, einen Flaschenzug zu befestigen.“
„Da oben ist nichts, Leni! Du warst doch selbst mit auf dem Felsen!“
„Und wie sieht es mit einem…Baum aus? Einem starken Ast beispielsweise?“
„Da oben ist auch kein Baum, der…“
„Typisch Männer! Wollt Ihr nicht verstehen, was ich meine?“ Leni fuchtelte hilflos mit den Händen in der Luft. „Ich meine keinen Baum dort oben auf dem Felsen. Ich meine einen Baum, der auf der anderen Seite eventuell entlang des Felsens hochgewachsen ist und vielleicht die Möglichkeit bietet, dort einen Flaschenzug zu befestigen. Ist doch nicht so abwegig, oder?“
„Ich werde mal nachsehen“, meldete sich Bresser und war auch schon gleich hinter den ersten Bäumen verschwunden und am Knacken des Gehölzes konnte man hören, wie er sich den Hang hinab den Weg zur anderen Seite des Felsens suchte.
Es dauerte nur wenige Minuten, da stand der Feuerwehrmann ziemlich atemlos wieder vor der Gruppe.
„Die Lady hat Recht“, brachte er keuchend hervor. „Sie könnte tatsächlich Recht haben.“
Kurze Zeit später standen wir alle unterhalb des Felsens neben einer kräftigen Buche und sahen in die Höhe.
„Hier kann ich mit der Leiter nichts ausrichten.“ Bresser zuckte enttäuscht mit den Schultern.
„Hier sind Schleifspuren“, sagte Leni plötzlich und bückte sich zur Erde. Peters begutachtete die Stelle und deutete mit dem Zeigefinger eine gedachte Linie nach oben zum Wipfel.
„Ich bin sicher, dass es hier geschehen ist. Wie viele Leute, glauben Sie, waren es?“, wandte er sich an Esser.
„Zwei, höchstens drei, ich denke eher zwei Personen. Hier kann man ohne Klettergerät hochsteigen, wenn man im Klettern geübt ist.“
„Na, dann werde ich mich mal auf die Suche nach Spuren machen, obwohl, außer Schleif- und Wischspuren scheint hier aber nicht viel zu holen sein. Ihr könnt oben auf mich warten.“
„Ich werde ein paar der jungen Kollegen hierherschicken“, sagte Peters, als er nach einer knappen halben Stunde zurückkam. „Die können den Felsen hochkraxeln und noch ein paar Fotos machen. Fest steht, dass Leni Recht hat. Die haben den Toten an der Rückseite des Felsens nach oben gezogen. Vielleicht sogar bei Anbruch der Dunkelheit. Da werden wir kaum Zeugen ausfindig machen können.“
„Das ist aber mal ein gefälliger Feuerwehrmann, der Herr Bresser, Heiner“, sagte Leni, als wir gegen Mittag vor meiner Wohnung in Forstenau ankamen. „Könnte mir auch gefallen.“
„Ich kann ja mal ein Treffen für euch beide arrangieren…“ Ich hielt ein, als ich Lenis strafenden Blick auf mich gerichtet sah.
„Ich glaube, das würde ich selbst noch hinbekommen. Aber ich baggere keinen verheirateten Mann an. Also vergiss es einfach.“
Lisas Laune hatte sich etwas gebessert, als wir ins Haus traten. Als sie Leni sah, verflog ihr Restärger in einem Nu und sie nahm meine Kollegin zur Begrüßung in die Arme.
„Na. Ihr Feierabenddetektive, sehr erfolgreich seht ihr beide nicht aus.“
„Der Eindruck stimmt, antwortete Leni. „Keine Ahnung, wo wir beginnen sollen.“
„Ich würde sagen, wir beginnen mit einer Tasse Kaffee und dann ist für heute auch wirklich Feierabend. Der Tote läuft euch bis Montag nicht davon.“
5. Kapitel
Die Obduktion des Toten fand am Dienstag statt.
Professor Theodor Schneider stand am Eingang zur Leichenhalle des Brüderkrankenhauses, wohin die Leichenbestatter den Toten gebracht hatten und rauchte eine Zigarette.
Es war noch früh am Morgen und im Schatten der riesigen Kastanienbäume, die den