ORGANE. Hannes Wildecker

ORGANE - Hannes Wildecker


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noch einige Fotos schießen. Von der Leiche, nicht von Euch.“

      „Wir haben verstanden“, grinste ich. „Komm, Leni, lass diesen Ignoranten vorbei. Versuchen Sie mal, da unten jemanden anzusprechen der uns wieder auf festen Boden zurückholt“, rief ich Grothe zu, ohne mich einen Schritt weiter an den Felsenrand zu begeben.

      „Ist es so schlimm?“ Leni sah mich von der Seite her an. „Warum musstest du dann überhaupt mit hier rauf? Du glaubst, es geht nichts ohne dich? Ist das so?“

      Lenis Stimme erhob sich um einen Ton. „Der Herr Kollege glaubt, seine kleine Mitarbeiterin sei nur da, um ihm den Koffer zu tragen! Glaube mir Heiner, das was wir beide hier oben geleistet haben, das hätte die kleine Mitarbeiterin auch ganz alleine hinbekommen.“

      „Aber Leni…“

      „Doch, doch, ich muss es dir einmal sagen und jetzt ist doch ein guter Zeitpunkt, das musst du einsehen. Jede Ehefrau würde mich um diese Situation hier beneiden. Kein Weglaufen ist möglich, nur Zuhören. Lasst euch nur Zeit mit dem Korb da unten“, rief sie in Richtung des Felsabhangs und wusste genau, dass man ihr Anliegen kaum würde hören können, zumal sie so laut nicht gerufen hatte.

      „Du siehst das falsch, Leni“, nahm ich einen neuen Anlauf und schielte hinüber zu Peters, der sich offensichtlich ein Lachen kaum verkneifen konnte. Grothe hatte sich einfach nur in Richtung des Abgrunds gedreht und schien von alledem nichts mitzubekommen.

      „Du bist ein gleichwertiger Partner, das weiß ich. Und du sollst wissen, dass ich das genau so sehe. Aber Erkenntnisse aus zweiter Hand, das bin ich nun mal nicht gewohnt. Ich möchte selbst sehen, woran ich bin, möchte mir mit eigenen Augen ein Bild davon machen, was meine künftigen Ermittlungen bestimmt. Das hat doch mit dir nichts zu tun.“

      „Ich werde dich zu gegebener Zeit daran erinnern“, antwortete Leni und warf den Kopf in den Nacken und insgeheim bedauerte ich, dass sie ihre Haare heute nicht offen trug.

      Schließlich kam der Korb doch noch und es bedurfte einiger Anstrengungen, bis ich mich unter Zuhilfenahme aller freien Hände endlich in dem nach rechts und links schwankenden Korb wiederfand. Und gleichzeitig setzte er ein. Er kam immer dann, wenn es stressig zu werden begann: Mein Tinnitus. Es pfiff und rauschte um die Wette, als gäben Grillen und Vögel ein gemeinsames Konzert.

      Bresser sorgte zwar für einen ruckfreien Rückweg, aber irgendwie glaubte ich dennoch einen Hauch von Ironie auf seinem Gesicht festzustellen.

      Die beiden Leichenbestatter standen bereits parat, jeder einzelne die Schlaufen der mit einem Reißverschluss versehenen Kunststofftrage in der Hand haltend, so, als müssten sie den Toten jeden Moment darin liegend abtransportieren.

      „Ihr könnt jetzt nach oben.“ Ich zeigte mit dem Daumen über meine Schulter in die Höhe. „Den Toten bringt ihr bitte sofort nach Trier in den Sezierraum des Brüder-Krankenhauses. Wir kommen später nach, meine Kollegin und ich.“ Ich sah Leni, die zufrieden nickte, von der Seite an.

      „Wo sollen wir bloß mit den Ermittlungen beginnen?“

      Die Holzfäller-Mannschaft um Herbert Keller stand immer noch betreten an der Stelle, wo wir sie vorhin verlassen hatten. Die Kollegen der Spurensicherung hatten das Terrain großflächig mit einem Kunststoffband, auf dem die Aufschrift „Kriminalpolizei Trier“ zu lesen war, gesichert und waren dabei, jeden Zentimeter im Bereich des Felsensockels zu untersuchen.

      Theodor Heinen, der den Toten nach seiner Klettertour auf dem Plateau vorgefunden hatte, war offensichtlich mit der Berichterstattung an seine Kollegen fertig und wartete darauf, seine offizielle Aussage zu machen.

      „Wir sehen uns morgen. Auf der Dienststelle in Trier. 10 Uhr, okay?“ Heinen nickte und ich drückte ihm eine dienstliche Visitenkarte in die Hand.

      „Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, was für unsere Ermittlungen relevant sein kann, lassen Sie es uns wissen“, wandte sich Leni an die restlichen Personen in der Gruppe.

      „Ach ja, noch etwas.“ Ich hielt im Weggehen inne. „Ist Ihnen in den vergangenen Tagen irgendjemand aufgefallen, ich meine, hier im Wald. Jemand, der sich verdächtig verhielt, zu Fuß oder mit einem Fahrzeug.“

      Als Antwort ernteten die beiden nur Kopfschütteln.

      Der Leichenwagen fuhr an uns vorbei, auf dem unbefestigten Weg in Richtung Zerf, um von dort die Bundesstraße 268 nach Trier zu nehmen.

      Ich sah auf die Uhr, dann zu Leni hinüber. Was hältst du von einer Roulade mit Kartoffelpüree und Rotkohl?“

      „Hört sich nicht schlecht an.“

      „Dann auf nach Forstenau. Lisa wird uns etwas aufwärmen.“

      3. Kapitel

      Ich empfand es wie einen Fluch. Es war wieder einmal Samstag, und ich hatte mir so viel vorgenommen an diesem Wochenende. Lisa lag mir schon seit Wochen in den Ohren und machte ihr Recht auf Freizeit, Abwechslung und Urlaub geltend.

      Als ich nach der Tatortaufnahme mit Leni zu Hause auftauchte, hatte Lisa keinen Vorwurf auf den Lippen. Wir hatten zusammen zu Abend gegessen, denn Lisa hatte das Essen warmgehalten, so wie sie es versprochen hatte. Dass Leni mitgekommen war, darüber hatte sich Lisa gefreut. Die beiden verband seit einiger Zeit so etwas wie Freundschaft und Lisa tat es wohl, mit Leni zu reden.

      Aber das war gestern. Heute war Samstag, der Beginn des Wochenendes und draußen das herrlichste Mai-Wetter. Man hätte so viel unternehmen können. Aber nein, der Dienst hatte wieder einmal Vorrang. Und so war es nicht verwunderlich, dass bei Lisa der vielzitierte Kragen platzte.

      „Warum immer du? Gibt es sonst keine Kriminalbeamten beim Präsidium? Geht es nicht ohne dich? Oder ist der Herr froh, wenn er von zu Hause weg sein kann? Was soll ich denken? Das Wochenende gehört doch uns beiden, mindestens einmal im Monat. Ist das zu viel verlangt? Ja, ich weiß, letzte Woche warst du zu Hause. Und? Was war? Regen! Das ganze Wochenende war verregnet. Wir blieben zu Hause. Was blieb uns anderes übrig? Hat da deine Dienststelle angerufen? Nein, natürlich nicht.“

      „Lisa, wir werden…“

      „Was werden wir?“ Lisa räumte das schmutzige Geschirr in die Spüle und ich sah mit Unbehagen, dass dieser Vorgang sehr schnell vor sich ging. „Jetzt steigert sie sich in etwas hinein“, dachte ich sofort, denn ich kannte Lisa. Wenn sie begann, während ihrer Arbeit die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen zu forcieren und auch sonst ihre Gangart in der Wohnung einen Gang höher schaltete, dann war höchste Vorsicht geboten. In solch einem Moment war es das Beste, sich unsichtbar zu machen. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee und gerade, als ich die Tasse auf den Teller zurückstellte, klingelte das Telefon.

      „Hallo, Heiner, kommst du heute noch ins Präsidium?“

      Die Stimme von Heinz Peters klang auffordernd und erwartungsvoll zugleich.

      „Natürlich komme ich. Wenn es etwas Neues gibt.“ Mein Blick fiel auf Lisa. „Gibt es etwas Neues?“

      „Ja, das kann man wohl sagen. Ich warte auf dich.“

      „Tut mir leid, Lisa, ich muss. Es haben sich neue Anhaltspunkte im Felsenmord ergeben. Ich hoffe, ich werde bald zurück sein.“

      „Lass` dir nur Zeit. Aber wundere dich nicht, wenn ich alleine auf Abenteuerurlaub gehe!“

      Diese Antwort spürte ich noch in meinem Nacken, als ich bereits die Teppen des Polizeipräsidiums hinauf preschte, fünf Stockwerke, zwei Stufen auf einmal nehmend. An den Aufzug hatte ich erst gar keinen Gedanken verschwendet.

      „Was gibt es?“, fragte ich außer Atem, als ich das Büro von Peters betrat und ganz kurz kam mir der Gedanke, dass man in meinem Alter doch wohl einen Gang zurückschalten sollte.

      „Ich habe auf dem Felsen gestern etwas gefunden. Nein, bitte keinen Einwand! Ich hatte meine Gründe, es für mich zu behalten, bis jetzt.

      Peters kramte in einer kleinen Holzkiste, in der er einige Asservaten untergebracht


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