Roulett. Peter Schmidt

Roulett - Peter Schmidt


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..." Er wiegte nachdenklich den Kopf. "Meine Devise lautet: Niemals körperliche Gewalt anwenden. Gewalt erzeugt nur Gegengewalt, und zum Schluss werden wir auch noch um die Früchte unserer Arbeit gebracht. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber wir vergessen immer wieder, unsere Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir wollen nicht verstehen, dass wir früher oder später alle dem Untergang geweiht sind, wenn wir den alten Ratschlag Auge um Auge, Zahn um Zahn befolgen."

      "Das schafft ihn mir nicht vom Hals", sagte ich.

      "Sie müssen etwas mehr Geduld haben. Sie müssen nachdenken und Ihren Verstand einsetzen, Leo."

      "Lassen Sie uns das Wrack einfach in den nächsten Bach werfen, vielleicht ist er Nichtschwimmer."

      "Nein, dort würde man ihn finden. Die Agentur wird erst ihn und dann Sie finden. Ein Mord wäre nicht das, was Sie in Ihrer Lage brauchen können, Leo. Denken Sie mal nach."

      "Hm, ich muss ihn loswerden. Er hat mich hier aufgespürt, und wenn er wieder zu Bewusstsein kommt, wird er den Polizeiposten am Hafen verständigen. Sie werden mich in eine dieser winzigen Zellen werfen, die auf den Misthaufen und die Abtrittbuden blicken. Ich bin zu sensibel, um das auszuhalten. Ich brauche Sonne und frische Luft."

      "Und gutes Essen, nicht wahr? Sie sind ein Gourmet, Leo. Deshalb lassen Sie ja auch Ihre Krabbeltierchen laufen. Nach dem letzten Gang taucht so ein Teufelsbraten von Schabe aus Ihrer Trickkiste auf, läuft schnell wie ein Windhund durch das kalte Büfett, um sich an der Mayonnaise gütlich zu tun, und alle Gäste verlassen schreiend das Restaurant, ohne ihre Rechnungen bezahlt zu haben."

      "Sie übertreiben."

      "Zahlen Sie Ihre Rechnungen, Leo?"

      "Nur, wenn ich muss. Anders als ein paar hysterische alte Damen pflege ich immer an meinem Tisch sitzen zu bleiben, bis der Kellner kommt."

      "Mag sein, ja. Und aus welcher Terrine quillt ein ganzes Heer von Hausschaben, wenn man Ihnen die Rechnung präsentiert?"

      "Blatella germanica. Sie sind nur dreizehn Millimeter groß. Kein Grund zur Aufregung."

      "Aus Ihrer Terrine, Leo – immer aus Ihrer. Aus Ihren Salaten kraucht das Ungeziefer hervor. Hab ich die gleiche Geschichte nicht schon mal in einem Hollywood-Film gesehen?"

      "Das war nur ein schwacher Vorläufer", sagte ich missmutig. "Meine eigene Idee ist viel ausgefeilter. Ich habe den Film erst später gesehen. Er war wirklich nicht der Rede wert."

      "Natürlich wollen Sie das Recht des Erfinders für sich reklamieren?"

      "Ruhm ist mir schnuppe, ehrlich gesagt. Ich würde kein Copyright dafür verlangen. Ich habe zu lange an diesem Trick gearbeitet, als dass ich mir darüber Gedanken machen sollte. Vielleicht werde ich eines Tages ein Lehrbuch über die Dressur von Kakerlaken schreiben, das in alle großen Sprachen übersetzt wird. Am dressurfreudigsten ist die Amerikanische Schabe, Periplaneta americana, rotbraun, dreiundzwanzig bis zweiunddreißig Millimeter lang. Bei guter Pflege wird sie sogar viereinhalb Zentimeter groß, ohne Fühler, versteht sich. Sie braucht viel Wärme und Zuneigung und dunkle, feuchte Plätze. Ein hellbeleuchtetes Büfett mit tellerklappernden Gästen ist nicht der Platz, an dem sie sich besonders wohlfühlt, aber man kann sie daran gewöhnen. Es sind sehr verständige Tierchen. Man muss nur wissen, wie man sie zu nehmen hat."

      "Und jetzt sind Sie pleite und abgebrannt? Sie sind hier untergekrochen, weil kein Kellner in Europa mehr auf ihre Blatella germanica hereinfällt?"

      "Blatta orientalis – die Hauptarbeit macht die Orientalische Schabe."

      Nachdem wir seinen Zimmerschlüssel (Innentasche, Jackett) hatten, setzten wir ihn in den alten Frankfurter Ohrenbackensessel, den Goethe auf seiner Italienreise im Hotel vergessen haben musste, ein wurmstichiges Monstrum aus dampfgebogenem Eschenholz und dunklem Rindsleder, aus dessen Sitzpolster zwei stählerne Spiralen ragten.

      Wie zum Beweis seiner Authentizität sah man darüber an der Wand auf einem Stich den Dichter malerisch hingeflegelt in fast dem gleichen Sessel mit Mütze und geknotetem Schal. Entweder stellte Kramer sich tot, oder die Spiralen waren weniger spitz als sie aussahen. Er verzog keine Miene. Die Bläue seiner Lippen hatte eine beängstigend dunkle Färbung angenommen.

      "Glauben Sie, dass er noch mal zu sich kommt, Ernie?“, fragte ich skeptisch.

      "Beten Sie zu den Urkräften des Universums dafür. Mord ist eine entscheidende Zäsur im Leben des Menschen. Sie werden nie wieder derselbe sein wie früher. Alles erscheint von da an im Lichte, fremdes Leben ausgelöscht zu haben.

      Ich rede nicht davon, dass Sie nachts aus dem Schlaf aufschrecken. Die Wirkungen sind subtiler. Auf subtile Weise gefährlich. Ihre Blickweise verändert sich. Sie müssen sich rechtfertigen. Sie werden sich selbst gegenüber entweder Ihre Schuld bekennen und daran zugrunde gehen oder aber Ausflüchte gebrauchen, die Ihre Seele verhärten und Sie zum Zyniker und Menschenverächter werden lassen – weil das, was Sie zerstört haben, unbedingt in ihrer Wertschätzung verkleinert werden muss."

      "Weil die Schuld sonst nicht zu ertragen wäre?"

      "Das ist der springende Punkt."

      "Haben Sie selbst schon mal jemanden umgelegt, Ernie?"

      Er saß auf der Couch und schlug seine Beine übereinander. Die Bügelfalten seines hellgrauen Sommeranzugs waren so scharf, dass man damit Papier schneiden konnte. Ein unmerkliches Lächeln ging über sein Gesicht.

      "Nun, sagen wir mal – ich war leider dazu gezwungen, in jungen Jahren."

      "Aber jetzt sind Sie, wie man so schön sagt, sauber?"

      "Ich habe dafür bezahlen müssen, Leo. Ich habe für mein Gewissen einen hohen Preis bezahlt. Ich habe die Bürde auf mich genommen, über mich und das Leben nachzudenken, und das ist kein leichtes Geschäft, wenn man es professionell betreiben will. Ein Haufen kleiner und großer Narren hat sich daran schon blutige Nasen geholt."

      Ernie versprach mir, er wolle die Sache in Ordnung bringen. Er sagte, er habe eine Idee, wie man Kramer loswerden könne. Am frühen Abend kam er mit einer Sofortbildkamera zurück, um ein Passbild von ihm anzufertigen. Seine echten Papiere verbrannten wir im Waschbecken.

      Unser Meisterdetektiv war wieder zu sich gekommen. Bis auf seinen Hinterkopf, an dem sich zwei mittelgroße Beulen gebildet hatten, sah er aus wie jemand, der zwar verzweifelt durch die Nase zu atmen versuchte (wegen der beiden weißen Handschuhe, die in seinem Mund steckten), aber ohne deswegen auch nur für einen einzigen Augenblick seine gesunde Gesichtsfarbe zu verlieren. Er verfolgte mit weit aufgerissenen Augen unsere Vorbereitungen.

      "Und wenn er herzkrank ist?“, fragte ich, während wir ihn im Schutze der Dunkelheit zu Ernies amerikanischem Straßenkreuzer zu bringen versuchten (aber das war im Indianerland leichter gesagt als getan), einem weinrot lackierten Unikum von Wagen mit Fenstervorhängen und Ladeklappe, auf dessen Kotflügeln kleine blaue Grablaternen montiert waren.

      "Sie meinen ...?"

      Neben meinem Kopf schlug einer von Amarillos Saugpfeilen in die Scheibe der Hoftür ein – der dazugehörende Indianer war nirgends zu entdecken, deshalb trugen wir Kramer eilig ins Treppenhaus zurück.

      "Halt, setzen wir ihn mal ab ... ist das da oben im Fenster nicht Francesca?“, fragte ich, als wir den zweiten Versuch starteten, um Kramer zum Wagen zu bringen.

      "Sie sollten jetzt lieber keine Gedanken an die Frauen verschwenden, Leo. Wir haben ernstere Probleme."

      "Ich glaube, sie hat uns beobachtet."

      4

      Wir fuhren die Küstenstraße entlang. In den Tunneln nebenan verlief die Eisenbahnlinie nach Marseille, und manchmal hörte man die schrillen Warnpfiffe der Lok, weil ein Bahnübergang aus den Bergen zum Meer hinunterführte. Um diese späte Stunde, kurz nach Mitternacht, war die Grenzabfertigung bloß noch eine Farce.

      Der


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