Sinja und die Zaubergeige. Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige - Andreas Milanowski


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      Sie war in einer fremden Welt, in der sie sich überhaupt nicht auskannte.

      Sie wusste ja nicht einmal, welche Früchte auf den Feldern und in den Wäldern essbar waren und welche giftig. Sie wäre verhungert. Sie wusste nicht, wo sie hätte übernachten sollen.

      Sie wäre überfallen oder von wilden Tieren angegriffen worden.

      Wie sollte sie sich kleiden, wo zur Schule gehen. Schule?

      Gab es in dieser Welt Jahreszeiten, Sommer, Winter?

      Wie kalt wurde es in der Nacht? Sie würde erfrieren.

      Wie sollte sie wieder nach Hause kommen?

      Was hatten die Elfen gesagt? Dorémisien sei nicht so friedlich, wie es aussieht?

      All diese Überlegungen führten Sinja schließlich zu dem Ergebnis, dass sie alleine in dieser Welt wohl kaum länger als zwei bis drei Tage überleben würde. Es gab also nur eine Möglichkeit: was immer die `Sache´ der Elfen war, sie musste es mit ihnen zusammen durchstehen und dann zusehen, dass sie diese unfreiwillige Reise beenden und so bald wie möglich wieder in ihr gewohntes Leben zurückkehren konnte.

      Überhaupt: zuhause – was würden ihre Eltern denken, wenn sie auf einmal verschwunden war? Eben noch quietschte sie missmutig auf ihrer Geige herum, im nächsten Moment war das Wohnzimmer leer, die Geige verstummt - keine Sinja, keine Töne - arme Mama, armer Papa. Heute Abend würden sie niemanden zum Kuscheln haben.

      Ach, irgendwie geschieht ihnen das ja auch recht. Warum mussten sie sie immer zum Üben zwingen. Sinja fühlte so etwas wie Genugtuung.

      „Dann müssen sie jetzt mal ohne mich zurechtkommen – das ist schon ganz in Ordnung so – selbst schuld“, dachte sie und war auf einmal wieder zufrieden mit sich und der Welt.

      „Okay, dann mal los“, rief sie ihren drei Freundinnen zu.

      „Juhuhhh!!!! Sie ist wieder bei uns“, kam die Antwort aus drei Kehlen gleichzeitig. `Allegro´ ließ ein kräftiges Schnauben hören.

      6 Sinjas peinliche Vorstellung

      Nachdem Sinjas Entscheidung nun endgültig gefallen und der Streit beigelegt war, wurden die Vorbereitungen für die Reise fortgesetzt.

      Aus ihrem Lager hinter dem Felsvorsprung, wo sich eine kleine, von außen nicht sichtbare Höhle befand, zauberten die Elfen noch so manches Nützliche zutage.

      „Die Jungs haben ganze Arbeit geleistet“, stellte Amandra zwischendurch fest.

      Neben zwei Ponys als Lasttieren war da noch ein ansehnlicher Vorrat an Nahrungsmitteln, Wasser, sowie Kleidung, Decken und Schlafsäcken zum Vorschein gekommen. Außerdem bekam jede einen Bogen, einen Köcher voller Pfeile und ein Messer zur Verteidigung.

      „Kannst du damit umgehen, Sinja?“, fragte Emelda und deutete mit einem Blick auf den Bogen auf ihrer Schulter.

      „Keine Ahnung“, antwortete Sinja, „ich hab‘s nie probiert.“

      „Mannomann, was lernt ihr eigentlich in eurer Schule?

      Wir kriegen Bogenschießen in der Prim beigebracht, gleich in der ersten Klasse. Selbstverteidigung ist Teil unseres Unterrichtes.

      Noch ehe ein junger Elf richtig Lesen und Schreiben kann, kann er mit einem Langbogen aus dreißig Metern Entfernung einen Apfel vom Baum schießen.

      Da gibt es auch keinen Unterschied zwischen Jungs und Mädels.

      Das Lesen von Büchern und Texten und das Schreiben ist bei uns nicht ganz so wichtig, wie bei euch. Eher das Fährtenlesen und das schnelle in-den-Baum-Ritzen von Zeichen und Nachrichten. Die musst du natürlich nicht nur ritzen, sondern auch entziffern können.“

      "Klar!"

      Sinja schaute wohl so entsetzt bei dem Gedanken, mit dem Bogen auf andere Lebewesen schießen zu müssen, dass Emelda schnell noch hinzufügte:

      “Keine Angst, diese kleinen Bögen, die wir jetzt mitnehmen, sind eigentlich nur zur Verteidigung. Du kannst damit normalerweise nicht töten, nur, wenn du genau das Herz oder die Schlagader triffst. Am besten zielt man damit auf die Beine, um den Gegner kampfunfähig zu machen oder zu verhindern, dass er einen verfolgen kann. Ich denke, das wird für unsere Zwecke reichen.“

      „Na, das sind ja schöne Aussichten“, stellte Sinja trocken fest, „gestern war ich noch eine friedliche Schülerin, die beim Brennball keinen anderen abwerfen konnte, weil sie Angst hatte, ihm weh zu tun und heute soll ich anderen Leuten mit Pfeil und Bogen in die Beine schießen?“

      Um nicht schon wieder mit Emelda aneinander zu geraten, zwinkerte sie ihr betont lässig zu. Ganz wohl war ihr bei der Sache aber keineswegs.

      Außerdem wusste sie immer noch nicht, wie so ein Ding überhaupt funktionierte. Emelda schien Sinjas Gedanken erraten zu haben.

      „Das mit dem Reiten hat ja bei dir viel schneller hingehauen, als ich befürchtet hatte. Wenn du beim Bogenschießen genauso schnell kapierst, dann sind wir bald bereit.“

      Sie kam zu Sinja herüber, gab ihr mit einem festen Griff den Bogen in die Hand und einen Pfeil dazu.

      „Siehst du den kleinen Spalt hier am Ende des Pfeils?“

      „Ja!“

      „Hier legst du die Sehne ein!“

      „Etwa so?“

      Sinja legte die Sehne ein. Der Pfeil zeigte himmelwärts.

      „Wenn du unsere schönen Wölkchen vom Himmel schießen willst, dann lass jetzt los“, sagte Emelda scherzhaft, „aber dann kriegst du Ärger mit mir.“

      „Ups!“, rutschte Sinja heraus, als sie sah, wohin sie mit ihrem Pfeil zielte, „die armen Vögel….!“

      Die hatten zu ihrem Glück noch nichts von dem drohenden Unheil bemerkt.

      Dann begann Emeldas Grundkurs (für Rechtshänder) im Bogenschießen:

      „Die Füße stehen etwa schulterbreit fest auf dem Boden, der linke vorne, der rechte hinten. Der Rücken ist gerade, der Oberkörper zur Seite gedreht, rechte Schulter nach hinten. Mittel-und Zeigefinger der rechten Hand spannen die Sehne, der rechte Daumen fixiert mit leichtem Druck den Pfeil. Der Pfeil liegt ganz eng am Bogen auf dem Daumen der linken Hand und dann ziehst du die Sehne, bis sie deine Lippen und die Nasenspitze gleichzeitig berührt. Der linke Arm muss dabei gerade und ausgestreckt bleiben. Um besser zielen zu können, kannst du den linken Daumen auch leicht abwinkeln. Dann hat der Pfeil mehr Halt. Danach zielst du über die Pfeilspitze und lässt die Sehne los. Bitte nicht den Bogen, sonst klatscht dir das Ding ins Gesicht und das ist ziemlich schmerzhaft. Soweit die Theorie“, sagte Emelda und forderte Sinja mit einem anfeuernden Nicken auf, einen Schuss zu wagen.

      „Volle Deckung!“, rief Sinja begeistert, visierte den einzigen Baum an, der in erreichbarer Entfernung stand, kniff die Augen zusammen und ließ die Bogensehne schnalzen.

      Die Sehne schnarrte und machte ein Geräusch, das ungefähr wie „Grrrrrrfffff“ klang. Der Pfeil blieb sekundenlang exakt dort liegen, wo er lag, nämlich auf Sinjas linkem Daumen und kippte dann, wie in Zeitlupe langsam nach unten, um direkt vor ihren Füßen ins Gras zu plumpsen.

      Amandra, die in diesem Moment mit einer schweren Satteltasche für die Ponys um die Ecke bog, sah das Schauspiel, ließ die Tasche von der Schulter rutschen und zu Boden fallen und brach in schallendes Gelächter aus.

      „Hahahaha, …..hihihi….!!!!

      Im nächsten Augenblick kam auch Gamanziel herbeigeeilt und fragte gespielt vorwurfsvoll:

      „Habt ihr wieder mal ohne mich mit der Party angefangen?“

      Amandra, die


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