Sinja und die Zaubergeige. Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige - Andreas Milanowski


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schaute noch einmal zu Amandra und Gamanziel hinüber und rief den beiden zu:

      „Mädels! Ich glaube, sie ist soweit. Die Spiegelnummer?“, turnte eine Rolle rückwärts an einem besonders schönen und starken Lichtbogen und verschwand mit einem Schwung aus Sinjas Blickfeld.

      „Schon wieder der Spiegel? Muss das sein?, maulte Gamanziel.

      „Na ja“, antwortete Amandra, „ich denke hier geht nichts anderes.“

      „Na gut, dann halt der Spiegel!“

      2 Eine unfreiwillige Reise

      Paff!

      Das Lichtspektakel war zuende. So unerwartet, wie es begonnen hatte, so plötzlich war es jetzt in sich zusammengebrochen. Mit einem Geräusch, das man nicht hören konnte.

      "Hä?"

      Dieses unhörbare Geräusch entstand, als die Lichtfäden in sich zusammenstürzten und plötzlich der Spiegel im Raum schwebte.

      „Aha!“, dachte Sinja, „die Spiegelnummer! Das war damit gemeint.“

      Der Spiegel war gerade groß genug, dass Sinja ihr eigenes Gesicht darin sehen konnte. Die drei Elfen schwirrten um ihn herum und versuchten mit aufgeregten Gesten, Sinja dazu zu bewegen, sich ihr Bild genauer zu betrachten.

      Sie schienen plötzlich keine Worte mehr zu haben und genau genommen gab es in diesem Moment auch nichts zu sagen.

      "Oh Mann! Jetzt hab‘ ich’s! Das Ding mit dem Spiegel.....das ist die `Alice im Wunderland´ - Geschichte!", ging es Sinja durch den Kopf, "was soll das denn jetzt? Was wollen die von mir?"

      Scheu und immer noch etwas verstört kam sie langsam näher.

      "So, da soll ich jetzt wahrscheinlich reingucken und dann macht´s `flutsch´.....!"

      Sie versuchte, ihr Gesicht deutlicher zu erkennen, doch immer, wenn sie dem Spiegel nahe genug gekommen war, um darin etwas Genaues sehen zu können, verschwamm ihr Bild wieder und es wurden schemenhaft die Umrisse einer traumhaften Landschaft erkennbar.

      Zudem bemerkte Sinja natürlich bald, dass die Oberfläche des Spiegels keineswegs glatt war und hart wie Glas, sondern zähflüssig zu sein schien und sich immer wieder ganz leicht kräuselte und wellte.

      „Hm! Das haben sie aber sehr hübsch nachgebaut. Das ist ja wie im Buch, nur etwas kleiner!“, staunte Sinja über die perfekte Nachbildung.

      Nach einigem Betrachten ließ sie ihre Vorsicht fallen und versuchte, die Spiegelfläche zu berühren. Sie konnte hineingreifen.

      Zunächst versuchte sie, mit dem Zeigefinger der rechten Hand ihre Nase zu treffen. Das wäre ihr fast gelungen, doch die Oberfläche des Spiegels gab nach.

      Der Teil ihres Fingers, der durch die Fläche hindurchgeflutscht und nun nicht mehr sichtbar war, erschien in einer anderen Welt, doch das konnte Sinja zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Die Sache wurde immer aufregender.

      Erst das Lichterspektakel, die Elfen und jetzt das: ein Spiegel, der kein Spiegel war, durch den man hindurchgreifen konnte.

      Plötzlich war alles etwas Anderes, als es zu sein schien.

      Es war exakt so, wie sie es in dem Buch von Lewis Carroll gelesen hatte.

      Wer konnte schon wissen, was auf der anderen Seite wartete und was noch alles passieren würde. Alice war es mit den Spiegeln genauso ergangen.

      Es war unheimlich, aber Sinjas Neugier war nun endgültig geweckt.

      Jetzt hörte sie auch die Elfen wieder leise miteinander tuscheln.

      „Sieht so aus, als würde sie es hinkriegen“, war der letzte Satz, den sie aufschnappte.

      Sinja wurde mutiger.

      Sie griff in den Spiegel hinein und spürte auf einmal, wie auf der anderen Seite etwas an ihr zog. Sie wollte ihre Hand wieder herausziehen, aber das war gar nicht so einfach. Sie zog und zerrte und musste all ihre Kraft aufbieten, um dem Sog des Spiegels zu entkommen.

      Schließlich schaffte sie es und mit einem hellen Blubbern und Plätschern schloss sich die Spiegelfläche und gab ihre Hand frei.

      „Puh, das war knapp!“

      Sinja war erleichtert, aber auch ein wenig enttäuscht.

      „Nochmal!“, hörte sie in diesem Moment Emelda rufen und auch die beiden anderen Elfen wurden auf einmal wieder laut und sparten nicht mit Anfeuerungsrufen.

      „Du musst es nochmal versuchen. Du warst schon fast drüben!“

      „Was ist denn da drüben und warum soll ich da rüber?“

      Sinja wurde es auf einmal wieder mulmig in der Magengrube.

      Konnte sie den Elfen wirklich trauen?

      Sie wollte es jetzt wissen.

      „Es ist Mut, wenn man‘s trotzdem tut“, dachte sie und griff noch einmal in den Spiegel hinein. Diesmal noch tiefer, mit dem gesamten Unterarm.

      Sie versuchte, etwas zu greifen, tastete nach etwas Festem.

      Stattdessen wurde sie selbst gegriffen.

      Der Sog erfasste ihren ganzen Arm bis hinauf zur Schulter.

      Sinja konnte sich nicht mehr dagegen wehren und sie wollte es jetzt auch nicht mehr. Sie sah noch aus dem Augenwinkel, wie die Elfen sich jubelnd abklatschten. Dann hörte sie ein lautes Schlürf- und Zischgeräusch und wurde in den Spiegel hineingesogen. Dass die drei Elfen direkt hinter ihr hersprangen, bekam sie schon gar nicht mehr mit.

      Sie hatte das Gefühl, durch einen langen, schmalen Tunnel zu fallen.

      Es war dunkel, aber die Wände des Tunnels waren warm und weich, wenn sie sie berührte. Sie hörte Stimmen, die durcheinanderriefen und als Echos aus der Tiefe wieder hallten. Sie erkannte einzelne Wortfetzen, Schreie, aber keine zusammenhängenden Worte und schon gar keine Sätze. Plötzlich, als hätte jemand irgendwo ein Licht angeknipst, sah sie Farben, alle Farben des Farbkastens und noch viel mehr. Feuerrote Flecken. Tief meeresblaue Kleckse. Helle, sonnengelbe Punkte. Türkisfarbene Blasen und grasgrüne Streifen und Bögen.

      Sie sah orange Wölkchen und kleine braune und beigefarbene Bällchen oder eher Dinge, die aussahen wie kleine Smarties.

      Dies alles passierte in einem solch wahnwitzigen Tempo, dass sie nur die Hälfte davon mitbekam. Sie wurde von links nach rechts geschleudert und wieder zurück. Plötzlich jedoch wurde ihr Fall spürbar abgebremst und sie konnte feste Formen wahrnehmen.

      Wie in einem Kinofilm sah sie Bäume und Sträucher, konnte sogar einzelne Äste und Blätter erkennen und mit einem Mal hörte sie auch die drei Elfen wieder, die mit großem „Juchheeehh!!!“ hinter ihr hergepurzelt kamen. Für die drei schien dies ein riesiger Spaß zu sein wie eine Karussellfahrt auf dem Jahrmarkt.

      „Tunnel-Rafting“, dachte Sinja, als sie die drei hinter sich hörte.

      Sie hatte so etwas Ähnliches mal im Fernsehen bei einer Action-Show auf KIKA gesehen. Da waren ein paar Leute in einem Schlauchboot durch eine Eisrinne gesaust, wo sonst Bobfahrer und Rennrodler runterdonnern. Mit achtzig Stundenkilometern, fast so schnell wie ein Auto. Ganz schön irre. Oder Leute auf der Achterbahn. Die hatten genauso gekreischt, wie die drei Flatterwesen hier im Tunnel. Sinja empfand eine andere Art von Aufregung.

      Sie war gespannt, was noch passieren würde.

      Genießen konnte sie die Tunnelfahrt nicht.

      „Mal sehen, wo es hingeht….. und….. wird schon schiefgehen,“ sausten ihr noch einige Gedankenfetzen durch den Kopf als sie auf einmal unsanft auf ihrem Hinterteil landete.


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