Sinja und die Zaubergeige. Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige - Andreas Milanowski


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Griff. Die Elfe schrie kurz auf und rutschte seitlich ab. Mit einem dumpfen Schlag landete sie auf dem Boden und überschlug sich mehrmals wie ein Springball.

      „Gamanziel“, rief Sinja voller Verzweiflung. „Oh Gott!“

      Sie nahm an, ihre Freundin hätte sich alle Knochen gebrochen und sei tot. Allerdings hatte sie wenig Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment stieß erneut der Nauron auf sie herab. Er wollte Sinja endgültig in seine Gewalt bringen. Bevor die Panik oder der Nauron sie überwältigen konnte, erinnerte sich Sinja daran, dass sie bewaffnet und durchaus nicht wehrlos war. Sie griff nach dem Bogen auf ihrer Schulter, legte einen Pfeil ein, dachte kurz an Emeldas Lektion, zog die Sehne mit aller Kraft durch und jagte einen Pfeil los.

      „Hier, du Mistvieh, der ist für dich….!

      Der Pfeil bohrte sich in den Hals des Monsters, gerade in dem Moment, als die ersten Bäume vor ihnen auftauchten. Der Drache warf seinen Kopf nach hinten um das lästige Geschoss loszuwerden, verlor dabei die Kontrolle über seinen Flug und machte in vollem Tempo eine Rolle vorwärts. Sein Reiter krachte gegen den Stamm des ersten Baumes, der ihm im Weg stand. Sein Körper verdampfte auf die gleiche Weise, wie der des anderen getöteten Reiters. Der Nauron stürzte wenige Meter hinter seinem Reiter in den Wald und starb röchelnd.

      „Hohhh, `Allegro´“, rief Sinja noch im selben Moment.

      Der Hengst wendete sofort. Er wusste, was zu tun war. Sie mussten zurückkehren um Gamanziel zu suchen. Eine traurige Pflicht. Was sollte jetzt werden?

      `Allegro´ war zwar ein kluges Tier, aber, auch wenn es jetzt bald wieder richtig hell würde - ohne Gamanziel hätten sie wohl kaum eine Chance, die Wälder von `Adagio´ ungefährdet zu durchreiten, abgesehen davon, dass Sinja keine Ahnung hatte, wie sie zu `Jambus´‘ `Fermata´ kommen sollten.

      Während all dieser trüben Gedanken und Grübeleien fiel die Anspannung der Verfolgungsjagd von Sinja ab und sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte aus Trauer um ihre Freundin und aus Verzweiflung über ihre Lage. `Allegro´ spürte den Schmerz seiner Reiterin und auch er trauerte. Auch er hatte eine Freundin verloren.

      So schlichen sie, mehr, als dass sie gingen, weinend und mit gesenkten Köpfen zurück zu der Stelle, an der sie Gamanziel verloren hatten.

      10 Nach dem Kampf - Emelda ringt um ihr Leben

      Währenddessen versuchte Amandra, Emelda von den Folgen ihrer Schussverletzung zu befreien. Der Pfeil war in Emeldas Schulter stecken geblieben. Amandra hatte ihn zwar sofort entfernt, doch das Pfeilgift hatte schon zu wirken begonnen. Emelda wurde immer stiller. Ihr Körper gab immer weniger Geräusche von sich.

      „Das ist das Gift Morendos, das Nichtklingen. Das ist nicht die Stille, das gesunde Schweigen der inneren Stimmen, wie man es beim Meditieren erfährt, sondern das ist die Abwesenheit von Klang, das Nichtsprechen, das Nichtmusizieren – die große, ungewollte Generalpause. Und dieses `Nicht´ hast du jetzt in dir, Emelda“, erklärte Amandra, die sich in medizinischen Dingen auskannte.

      „Ich versuche, das Heldenkraut zu finden und dann probieren wir, ob der Kristall von Königin Myriana noch hilft. Das geht nur, wenn das Gift noch nicht zu weit im Körper ist.

      Das scheint mir bei dir noch nicht der Fall zu sein, aber wir werden sehen.“

      Emelda verlor langsam ihre Sprache. Über ihre Lippen kamen nur noch einzelne gurgelnde Laute. Das Gift wirkte.

      Sinja und `Allegro´ kamen unterdessen nur langsam voran. Ihre Schritte waren schwer von Trauer und Müdigkeit nach den Erlebnissen der letzten Stunden. Sinja hatte keine Hoffnung mehr, Gamanziel lebend wieder zu sehen. Der Sturz war zu tief und der Aufprall zu hart gewesen, als dass sie diesen hätte überleben können.

      Immer und immer wieder sah Sinja die Szene vor sich. Immer und immer wieder liefen ihr Tränen der Trauer und der Wut über die Wangen.

      „Hätte ich doch stärker zugepackt“, machte sie sich Vorwürfe.

      `Allegro´ schaute Sinja von der Seite an, schüttelte ganz sachte den Kopf und blinzelte Sinja zu, was so viel heißen sollte wie:

      „Du kannst nichts dafür. Du hast alles versucht.“

      Sie waren jetzt schon einige Zeit und ein gutes Stück des Weges zurückgelaufen, als sie auf einmal Spuren von Gamanziel Absturz entdeckten.

      „Hier muss es gewesen sein“, stellte Sinja fest.

      Der weiche Boden war an einer Stelle aufgewühlt, das Gras, das hier eigentlich etwas höher stand, fehlte dort. Es sah aus, als hätte jemand die Wiese umgepflügt. Ganze Grasbüschel waren herausgerissen. Einige Meter weiter fanden sie Spuren des Aufpralls eines Körpers, mehrere kleine Mulden, gebrochene Halme eine regelrechte Schneise im hohen Gras.

      Sie suchten und fanden noch andere Hinweise darauf, dass dies die Stelle war, an der Gamanziel Sturz stattgefunden haben musste. Was sie nicht fanden, war Gamanziel selbst, weder ihren leblosen Körper, den Sinja zu finden erwartete, noch irgendwelche Teile ihrer Ausrüstung. Kein Bogen, keine Tasche, kein Pfeil, nichts was darauf hindeutete, dass Gamanziel hier unsanft gelandet war.

      „Hmmmm,…..!?“

      Sinja überlegte. Wenn Gamanziel hier gelandet, aber nicht zu finden war, dann bedeutete das, dass sie entweder jemand aus Gründen, die ihr nicht bekannt waren, mitgenommen oder sie sich selbst fortbewegt hatte und das würde bedeuten, dass sie vielleicht noch am Leben war. Sinjas Herz schlug schneller. Plötzlich kehrte die Hoffnung und das Leben in sie zurück.

      „Gamanziel, bist du hier irgendwo“, rief sie leise.

      Sie durfte nicht zu laut sein, um sich nicht zu verraten. Wenn jemand Gamanziel mitgenommen hatte, dann war es durchaus möglich, dass dieser Jemand noch in der Nähe war und das konnte unangenehm werden. Die Elfen hatten von Moroks gesprochen, die eventuell in der Gegend sein könnten. Sinja hatte zwar keine Ahnung, was das sein sollte, aber die Bekanntschaften, die sie bislang in Dorémisien gemacht hatte, ließen eine gewisse Vorsicht angebracht erscheinen.

      „Gamanziel“, flüsterte sie daher noch einmal.

      „Wen suchst du?“, fragte auf einmal eine junge männliche Stimme aus dem Dunkel heraus.

      Sinja zuckte zusammen, als hätte sie ein Stromschlag getroffen. Diese Stimme kannte sie nicht.

      „Wer…, äh.... wer will das wissen?“, fragte sie zitternd.

      "Wer bist denn du?", fragte die fremde Stimme zurück, "ich kenne dich auch nicht."

      "Ich bin Sinja und ich suche Gamanziel, die wir hier verloren haben."

      „Ah, du bist Sinja mit `Allegro´, der Suchtrupp? Gestatten, Cichianon, das C, Krankentransporte aller Art“, sagte die Stimme und kicherte ein wenig albern.

      „Moment, du bist der Elfenkerl Cichianon, von dem Emelda erzählt hat?“

      Sinja war überrascht.

      „Ah, Emelda hat von mir erzählt? Dann bin ich genau der…!“

      Plötzlich teilte sich, einige Meter entfernt das Gras.Vor Sinja stand auf einmal ein Elfenjüngling mit schulterlangen, blonden Haaren, schlanker Gestalt, in das Waldläuferdress der Elfen gekleidet. Er besaß einen Langbogen, den er lässig mit einer Hand neben seinen rechten Fuß gestellt hatte. Der wunderschön geschwungene Bogen überragte seinen Besitzer um einige Zentimeter. Auf dem Rücken trug er einen Köcher voller Pfeile.

      „Und was machst du hier und wo ist Gamanziel?“, wollte Sinja wissen.

      „Viele Fragen auf einmal, Sinja Wagemut. Ja, es wird dich vielleicht überraschen, aber ich weiß, wer du bist. `Seriosa´, die Beraterin von Königin Myriana hat die Nachricht eures `Glissando´ erhalten und uns daraufhin benachrichtigt. Sie meinte, es sei wohl sinnvoll, euch entgegenzureiten.


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