Sinja und die Zaubergeige. Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige - Andreas Milanowski


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      Amandra suchte einen etwas größeren, flachen Stein und einen kleinen, runden, legte die Kräuter auf den flachen Stein und begann, sie mit dem kleinen zu einem Brei zu zermahlen.

      Dazu sang sie ein Lied in der alten Elbensprache, dass sie in der Quarte von ihrer Lehrerin gelernt hatte.

       En Yalúme vanna andave

       Lúce tulya túre

       Enta vasse qanta ar poica

       Minna hroa qanta nwalma

       Yoménie nir engie alya

      Amandras Stimme klang fremd, hoch und sehr weit weg, wie eine Flöte, die in einem lichtdurchfluteten Sommerwald gespielt wurde, als sie die alten Verse sang.

      Schon in lang vergang´nen Zeiten

      Konnte Zauberkraft geleiten

      Diese Blätter voll und rein

      In den Körper voll von Pein

      Heilend wollte die Begegnung sein

      Gifte haben ihn betrogen

      Leben aus dem Leib gesogen

      Fließe Blättchen voller Saft

      Gib der Müden wieder Kraft

      Dass sie bald den Weg zur Heilung schafft

      Amandra kannte alle vierundzwanzig Strophen des Liedes und sie sang sie alle.

      "Der Rhythmus ist genauso wichtig wie die Melodie und der Klang deiner Stimme, wenn du Kräuter zu Heilpflanzen singen willst", hatte ihr Analuna, die Lehrerin eingeschärft.

      "Du musst mit der Musik die Pflanzen in ihrer Seele treffen. Das verändert sie und setzt ihre heilenden Kräfte frei."

      Amandra war eine gelehrige Schülerin gewesen.

      Sie hatte bald alle Bücher über "das geheime Leben der Pflanzen" gelesen und durch viel Übung den richtigen Klang gefunden.

      Die Pflanzen gehorchten ihr.

      „So, dann wollen wir mal“, sagte sie, als sie den Kräuterbrei soweit hatte, dass er als Medizin brauchbar war.

      Emelda hatte sich bis dahin mit dem Kristall befasst um ein wenig zu Kräften zu kommen. Dennoch war klar, dass das Gifts des `Morendo´ – Pfeils aus ihrem Körper herausmusste und das ging nur mit Hilfe von Amandras Kräutermixtur. Sie ging mit dem Kräuterbrei, den sie auf dem Stein angerührt hatte, zu Emelda und gab ihr den Brei nicht etwa zu essen oder zu kauen, sondern hielt ihr den Stein unter das rechte Ohr.

      „Das wird jetzt heftig“, warnte sie Emelda, „aber da musst du leider durch.“

      Emelda brummte etwas, das sich anhörte wie „ich weiß“.

      Sie lauschte aufmerksam und konzentrierte sich mit aller Energie, die ihr noch zur Verfügung stand auf das, was auf dem Stein lag. Sie hatte Angst vor dem, was kommen würde, wusste aber, dass es keinen anderen Weg gab.

      Der Brei vibrierte und blubberte, als würde er kochen. Langsam löste er sich auf und wurde zu einem Gas. Das Gas begann zu klingen und zu singen wie vorher der Kristall von Königin Myriana, drang langsam durch Emeldas Ohr in ihren Körper ein und breitete sich aus.

      In Emelda begann nun ein wilder Kampf zwischen dem heilenden Klang der Kräuter und dem Gift des Schweigens. Ihre Arme und Beine begannen, wild zu zucken, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Sie wurde von Krämpfen geschüttelt.

      Amandra hatte, weil sie wusste was passieren würde, Emelda in die Arme genommen und hielt sie fest umklammert. Noch einmal sang sie das alte Lied, diesmal, um Emelda zu beruhigen und ihr das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein. Emelda begann zu schwitzen und zu fiebern und träumte einen schrecklichen Traum.

      Zwei Heere fürchterlicher Krieger marschierten aufeinander zu.

      Alle waren schwarz gekleidet und als das Kampfgetümmel begann und beide Armeen aufeinander einschlugen mit Schwertern, Äxten, Speeren und Schilden, da konnte man nicht mehr unterscheiden, wer zu wem gehörte und wer gegen wen und worum kämpfte. Es war ein furchtbares Gemetzel und am Ende brannte der Boden unter den Füssen der Krieger und riss alles mit in den Tod, Tiere, Pflanzen, Menschen, Elfen. Kein Zauber konnte das Land mehr retten. Es war verdorrt und verkohlt und nur die verbrannten Knochen der Krieger und die Reste ihrer zerschmolzenen und zerschlagenen Rüstungen zeugten davon, dass auf diesem Feld einmal lebendige Wesen umhergelaufen waren. Als dies alles vorüber war, begann ein gewaltiger Regen, das Feuer zu löschen. Es regnete viele Tage lang und alles, was vorher verbrannt auf dem Feld gelegen hatte, wurde in einem breiten, reißenden Fluss aus Regenwasser fortgespült. Der Fluss ergoss sich in ein tiefes, weites Meer und aus dem Meer stieg eine Gestalt empor, die durch die Kraft ihrer Gedanken Kontakt aufnahm zu Emelda und ihr befahl, das verbrannte Land neu zu bestellen. Eine riesige Wasserhand strich über das verkohlte, gereinigte Land und alles, was sie berührte, wurde augenblicklich bunt und begann, zu blühen. Auf dem schwarzen Land wuchs wieder Gras, auf der Wiese wuchsen Bäume, die Bäume bekamen Blätter und Äste, es wuchs Korn, das die Vögel ernährte, die sich am Himmel zeigten und sangen und ein warmer Wind ging sanft durch die Ähren. Zwei Sonnen gingen auf über dem dunklen Land und tauchten es in eine warme Dämmerung. Zuerst sah Emelda nur einen einzigen, winzigen Strahl, dann ein Bündel aus Licht und schließlich eine Explosion, die so hell war, dass sie es kaum ertragen konnte.Sie blinzelte und öffnete langsam ihre Augen.

      „Du hast den Traum gehabt?“, fragte Amandra als Emelda aus ihrem Fiebertraum und aus ihren Krämpfen erwachte.

      Sie war derart erschöpft, dass sie kaum noch atmen konnte.

      Ihr Herz raste, ihr Blut schoss durch ihre Adern und ihre Kleider waren völlig durchnässt von Schweiß.

      "Ja!", brachte sie mit letzter Anstrengung hervor.

      Der Kampf gegen das Gift des Pfeils war gewonnen. Es hatte ihren Körper als kleines schwarzes Wölkchen still verlassen. Emelda hatte überlebt.

      11 `Adagio´ - der Zauberwald

      Cichianon und Sinja hatten sich auf `Allegros´ Rücken geschwungen und waren auf diese Weise sehr flott vorangekommen.

      Von außen, vom Waldrand her hatte `Adagio´ für Sinja noch wie einer der Wälder ausgesehen, die sie von zuhause kannte. Ein wenig Gestrüpp und Büsche am Rand, ein kleiner, schmaler Graben, dann kamen die ersten kleineren Bäume, die aufgrund ihrer geringeren Größe dem Wind besser standhielten und dahinter wurden die Stämme dann allmählich höher und breiter. Was sie jedoch einige Weggabelungen weiter im Inneren dieses Waldes zu sehen bekam, das sprengte all ihre Vorstellungskraft und stellte alles, was sie bislang von Wäldern gesehen und gehört hatte auf den Kopf. Jeder Baum, jede Pflanze schien ein eigenes, lebendiges Wesen zu sein.

      Der Weg, den sie ritten, war sehr ordentlich angelegt und gepflegt wie in einer großen Gartenanlage. Längs des Weges standen kelchartige Pflanzen, aus deren Mitte etwas wuchs, das aussah, wie Wasserstrahlen. Von Ferne konnte man den Eindruck gewinnen, es handele sich um kleine Springbrunnen, zumal es auch entsprechend rauschte und plätscherte.

      Erst beim Näherkommen erkannte Sinja, dass dort wirklich eine Art Kaktus mit dicken, fleischigen Blättern und einem Spross stand, der aus seiner Mitte wuchs. Wie die Pflanze das Geräusch fließenden Wassers erzeugte, blieb Sinja verborgen.

      Einige hundert Meter weiter verengte sich der Weg und wurde von einem riesigen Baum versperrt, dessen gewaltiger, rotbrauner Stamm das Aussehen eines viel zu groß geratenen mürrischen, alten Gesichtes hatte.

      „Wie sollen wir an dem vorbeikommen?“, dachte Sinja, da links und rechts des Baumes das Gelände steil anstieg und der Wald so verwachsen war, dass ein Ausweichen nicht möglich schien. Doch als sie sich dem Baum näherten, öffnete sich in der Mitte des alten


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