Pataphysikalische Geheimpapiere. Jules van der Ley
Aus den Papieren des PentAgrion
Schwarzes Netz verdichtet sich
Wahrer Bericht von einer Forschungsreise und zurück
Einleitung
Im August 2010 fuhr ich mit dem Fahrrad von meiner neuen Heimatstadt Hannover nach Aachen, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Die Länge der einzelnen Etappen hatte ich nicht geplant, wie auch die genaue Reiseroute nicht festlag. Denn ich wollte unterwegs an Haustüren klopfen und um ein Nachtlager bitten. Im Gegenzug würde ich aus den pataphysikalischen Geheimpapieren lesen. Mein Plan ließ sich leider nicht in dieser Form durchsetzen, denn es hat tagelang geregnet, so dass die Chance, einen Gastgeber zu finden mir zu gering erschien. Auch war ich meistens froh, mir rasch eine Unterkunft besorgen zu können, denn der ständige Regen zehrte an meinen Kräften. Drei Termine standen vorab schon fest. Nachdem ich meinen Plan im Teppichhaus Trithemius kundgetan hat, lud mich Klar-a, eine Blogfreundin aus Essen, spontan ein, in Aachen organisierte Thomas Haendly eine Lesung im Kerstenschen Pavillon, und das Ehepaar Perplies war sofort von der Idee angetan, mich in ihrer Galerie lesen zu lassen. Diese Pataphysikalische Lese- und Forschungsreise ist in der vorliegenden Buchveröffentlichung dokumentiert. Hier sind die Texte des Leseprogramms sowie die Reisedokumentation versammelt, im Anhang ergänzt um die Texte, auf die in der Blogveröffentlichung durch Links verwiesen wird. Die Reisedokumentation wird in der Blogfassung komplettiert durch die Leserkommentare, die ich aus Platzgründen nicht abgedruckt habe, obwohl sie anregend und lesenswert sind.
Meine Forschungsreise war ein Schnitt durch halb Deutschland. Bei einer solchen Reise mit dem Fahrrad ist man langsam genug, viele Einzelheiten zu beachten. Über meine Eindrücke habe ich willkürlich geschrieben, subjektiv und somit pataphysikalisch. Trotzdem ist die Reisedokumentation eine ethnologische Bestandsaufnahme der Lebenswelt der Deutschen zwischen Hannover und Aachen. Der Blogger Graphodino schreibt in einem Kommentar: „Wer hätte das gedacht, wer hätte das zusammen gebracht (meine Güte: auch ich dichte just ganz unwillkürlich!) - Internet und wandernder Seher und Sänger! Wieder einmal der Beweis, dass „neue“ Medien nie alte tot machen, sondern sie „wiederholen“ auf einer höheren Stufe.“
Jules van der Ley, alias Trithemius
Aachen/Hannover im November 2010
Einladung zur pataphysikalischen Forschungsreise – Hannover – Bad Oeynhausen
Mit meinem neuen Fahrrad war ich kaum gefahren, und wie es sich verhält, wenn es mit Gepäck beladen ist, wusste ich noch gar nicht. Aber als ich kurz hinter meiner Haustür in Hannover-Linden schon mal gut um die erste Ecke kam, fasse ich Mut, und tatsächlich erwies sich das Fahrrad während der Fahrt nach Aachen als zuverlässiger als ich, fuhr ohne zu Murren über die übelsten Hindernisse, fädelte sich stabil durch dichten Verkehr, hat sich sogar bewährt, als ich einmal versehentlich auf eine Mountainbike-Strecke geriet, und vermutlich kann ich mich rühmen, der erste Idiot zu sein, der das steinige Steilgelände mit Gepäck befuhr. Ich entschuldige mich keinesfalls für die Länge des Satzes, denn eine Fahrradtour hat leider solche Passagen, die sich ziehen und ziehen, und wenn man glaubt, bald am Ziel zu sein, ist man meistens doch noch nicht da – wie hier.
Glücklicherweise verbirgt sich schon bald die Sonne, und kurz hinter Hannovers Stadtgrenze kommt der versprochene Regen auf. Das nimmt mir die Sorge, ich würde Wind- und Regenjacke nur spazieren fahren, was unser Verhältnis ein bisschen belastet hätte. Ich habe auch eine kurze Hose im Gepäck, und die spazieren zu fahren, ist weniger schlimm, denn sie wiegt nicht viel. Einmal sieht sie das Licht der Sonne, aber sie muss warten, nämlich bis zum Ruhrtal, und da sind wir noch lange nicht. Auf die Etappe nach Bad Oeynhausen habe ich mich gefreut. Schon oft bin ich mit dem Zug durch Porta Westfalica gefahren, wo die Weser das steil aus der Ebene aufsteigende Weser- und Wiehengebirge durchschneidet. Aber sitzt man in einem rasenden Zug, fliegt man rascher durch, als ein Hund auf den Bürgersteig köttelt. Da habe ich mir jedes Mal gewünscht, ein wenig länger zu verweilen, damit ich in Ruhe gucken kann, also nicht auf den Hund, sondern auf die landschaftlich faszinierende Porta Westfalica.
Vorher fahre ich durch Bad Nenndorf, wo ich auf der Kundenbank vor einem geschlossenen Autohandel pausiere. Da zweifele ich, ob es gut war, an einem Sonntag zu starten, denn ich habe zwar so manchen Schnickschnack bei mir, aber die Tasche mit dem Flickzeug klemmt noch gut in Hannover unter dem Sattel meines alten Fahrrads. Vermutlich scheute ich mich, das arme Ding so einfach zu berauben. Man wird mir wieder nachsagen, ich wäre zu blauäugig, wenn ich mir einen Platten fahre und kann es nicht selber richten. „Typisch“, werden sie sagen, wenn ich erzähle, ich hätte mitten in der Walachei im strömenden Regen einen Platten gehabt und stundenlang schieben müssen. Auch schleift irgendwas an meinem Fahrrad, und was es genau ist, kann ich nicht lokalisieren. Ich habe die Hinterradbremse in Verdacht. Aber sie ist es nicht, wie ich erst in Bad Oeynhausen herausfinde. Der Regenschutz für mein Gepäck drückt das dünne Plastikschutzblech auf den Reifen. Das kann man ohne Werkstatt beheben, ist nur ein Handgriff, wenn man weiß, woran es liegt. Die Aussicht auf kluge Sprüche jedenfalls macht mir die Beine ein bisschen schwer.
In Bückeburg halte ich erneut, stehe aber nur kurz unter einer Arkade in der Fußgängerzone, rauche und schaue in den Regen. Hier war der Heidedichter und Journalist Hermann Löns von 1907 bis 1909 Chefredakteur der Schaumburg-Lippischen Landes-Zeitung. Er wird wohl ab und zu besseres Wetter gehabt haben. Mehr kann ich über Bückeburg nicht sagen, allenfalls, dass ich ein junges Paar anspreche und nach dem Weg frage. Die Frau zuckt mit den Schultern, aber er weiß bescheid und erklärt mir freundlich und recht ausführlich, wo ich langfahren muss. Man kann sich das natürlich schlecht merken, wenn einem der Weg zu genau beschrieben wird. Nach fünf Wegmarken, hat man den Anfang schon vergessen. Das geht einem beim Lesen nicht anders, weshalb hier der erste Abschnitt endet. Ich trete die Kippe aus, bedanke mich und rolle über das nasse Kopfsteinpflaster der Fußgängerzone hinaus aus Bückeburg.
Ein Engländer gibt auf – Sonntag bei Frau Sonntag – Zwei Millionen schwule Väter
Bis Minden trotzen meine Schuhe dem Regen, dann geben sie auf und lassen das Wasser durch, gleichzeitig links wie rechts, als hätten sie sich abgesprochen. Vermutlich hat es etwas mit Quantenphysik zu tun. Da bin ich erleichtert, denn eine Regenfahrt wird erträglich, wenn man endlich durchnässt ist. Dann fügt man sich seinem Schicksal. Tatsächlich bin ich schon immer gern bei Regen gefahren, wenn dieser Zustand erreicht ist. Die Reifen zischen, es rollt gut, beinahe mühelos geht es leichte Steigungen hinauf, denn die Luft ist zum Saufen und enthält auch mehr Sauerstoff. Von Minden sehe ich nicht viel, bin gleich am Bahnhof und setzte mich unter ein Schutzdach. Die Bahnhofshalle ist auf der anderen Seite, aber da will ich nicht hin, suche nur ein wenig Trost. Den bekomme ich, denn ich höre die Lautsprecherdurchsagen, die Bahn fährt noch, es ist also weniger apokalyptisch als ich befürchtet habe.
Aber ich muss mir eingestehen, dass mein Konzept kaum aufgehen wird. Die Straßen sind leer, und wer doch vor die Tür muss, duckt sich unter den Regenschirm und hastet vorbei. Wer wird dann einen triefenden Internetdichter aufnehmen. „Ja, kommen Sie herein, mein Teppich muss sowieso mal wieder gewässert werden“, diese Rede erscheint mir unwahrscheinlich. Es gibt selbstlose Menschen, zweifellos. Aber sie zu finden, wird vielleicht eine Woche dauern. Ich hätte