Die Sonne über Seynako. Sheyla McLane

Die Sonne über Seynako - Sheyla McLane


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Meister, sagst du, überträgt seinen Opfern einen Teil seiner Kraft.“, wiederholte Darius. „Wenn es uns also gelänge, jene zu töten, die von ihr besessen sind, bevor er es tut – „

      „Bei allem Respekt!“, rief Allan aus. „Ihr meint doch nicht etwa, gegen ihn ins Feld ziehen zu können? Wir haben es mit schwarzer Magie zu tun, Majestät. Eine Macht, deren Abgründe selbst mir unbekannt sind.“

      „Wenn das so ist, woher nimmst du dann das Recht, mir zu widersprechen?“

      „Die Prophezeiung besagt, dass Waffen uns nicht weiterhelfen, sondern großes Unheil anrichten werden.“

      „Soweit ich mich entsinne, kamen diese Worte aus deinem Mund, Allan.“, konterte der König. „Und das, obwohl du selbst erbärmlich wenig darüber weißt. Beim Sonnengott, man kann einen Gegner nicht bekämpfen, ohne dabei ein Schwert in die Hand zu nehmen!“

      Bevor der Seher widersprechen konnte, klatschte Darius in die Hände und verlangte, man solle sofort General Raghnal rufen.

      Der Mann ließ nicht lange auf sich warten und verneigte sich kaum merklich. Das Gewicht der goldenen Schulterpanzer und sein korpulenter Körperumfang hinderten ihn an einem tieferen Knicks. Das lange, hellblonde Haar war struppig und bildete eine beinahe übergangslose Einheit mit seinem Bart, was ihm eine nicht von der Hand zu weisende Ähnlichkeit mit einem Löwen verlieh.

      „Ich habe beschlossen, unsere Truppen aufzustocken.“, erklärte König Darius. „Wie lange braucht Ihr, um tausend Mann zu rekrutieren?“

      Dem General gingen fast die Augen über. „Wenn Ihr einen ordentlichen Sold bietet und wir uns ranhalten… in frühestens fünf Tagen.“

      „Sehr gut. Dann werdet Ihr auch zweitausend Mann in einer Woche schaffen. Je eher unsere Armee kampfbereit ist, desto besser.“

      Raghnal geriet ins Stottern. „Eine Woche… aber Majestät, das ist… fast unmöglich. So viele Rekruten zu gewinnen ist eine Sache, doch sie auszubilden dauert Monate!“

      Der Seher trat nervös von einem Bein aufs andere, während die beiden Männer sprachen. Hatte er nicht vorausgesagt, dass der, der sich gewaltsam gegen den Feind auflehnte, viele Unschuldige mit sich in den Tod reißen würde? Wie konnte der König diese Warnung ignorieren?

      „Wenn ich Euch richtig verstanden habe, ist es also nicht vollkommen unmöglich. Am besten Ihr fangt sofort an. Durchstreift alle Wirtshäuser und die Gutshöfe. Eine Woche, General Raghnal. Ich verlasse mich auf Euch. Ihr dürft nun gehen.“

      „Majestät, es ist nicht mein Wort, das Ihr missachtet. Es ist Sols Wort.“, begann Allan aufgeregt, doch Darius brachte ihn mit einer unwirschen Geste zum Schweigen.

      „Es steht dir nicht an, mich zu belehren.“, wies er den Seher zurecht. „Du hast auch prophezeit, dass dieses Mädchen die Rettung für unser Volk sein wird. Doch bisher war das stumme Bauernweib uns so nützlich wie ein löchriger Hut beim Bäumefällen.“

      Alec schluckte trocken. „Aber Vater, Azur hat… Visionen und sie…“

      „Schlechte Träume. Ich will nichts mehr davon hören. Und kommt mir bloß nicht auf den Gedanken, ihr von dem zu berichten, was wir besprochen haben.“

      Irina war, was die Technik betraf, keine sehr gute Kämpferin, doch die Leichtigkeit, mit der sie ihre Gegner besiegte, bescherte Alefes ein Hochgefühl. Jeden Tag setzte er ihr neue Widersacher vor und alle, selbst die erfahrensten Ritter, konnte sie in die Knie zwingen. Er entwickelte eine Sucht danach, sie siegen zu sehen. Selbst als er, um sie auf eine besonders harte Probe zu stellen, einen Mann schickte, der Irina im Schlaf überraschen und töten sollte, war es der erfahrene Meuchelmörder, der den Kürzeren zog. Das Mädchen schien durch Alefes‘ Energie unbesiegbar geworden zu sein und er sehnte sich danach, selbige auf erwachsene, von Grund auf mit einem viel größeren Maß an Körperkraft ausgestattete Männer zu übertragen.

      Allerdings wollte er sie noch einer letzten Prüfung unterziehen, bevor er den Vorstoß nach Seynako wagte…

      Mit einem selbstzufriedenen Lächeln entfernte Alefes den blauen Samt von beiden Käfigen und ließ den Anblick der zwei im Schmutz zusammengekauerten Gestalten auf Irina wirken. „Kannst du es mit denen aufnehmen, meine Schöne?“

      Zuerst schweifte ihr Blick über Phelan, der bei ihrem Anblick scheu die Augen niederschlug und seine Arme um die eigenen Rippen schlang. Kurz betrachtete sie ihn ohne merkliche emotionale Regung. Dann musterte sie das Häufchen Elend, das Enya hieß. Irinas Augen weiteten sich erschrocken und reflexartig stürmte sie los, um an den Gitterstäben zu zerren, die sich trotz ihrer Stärke keinen Millimeter bewegen wollten. Endlich gab sie diese kräftezehrenden Bemühungen auf und ließ sich mit einem Ausdruck größter Fassungslosigkeit auf die Knie sinken. Schwer atmend lehnte sie ihre Stirn gegen das Metall, die Augen immer noch starr und geweitet auf Enya geheftet, die dalag, als würde sie schlafen.

      Energisch zog der Halbgott Irina auf die Füße – und stieß sie daraufhin bestürzt zurück. Das Mädchen unternahm nicht einmal den Versuch, ihre hemmungslosen Tränen vor Alefes zu verbergen. „Was erlaubst du dir.“, fauchte er wütend und packte sie bei ihren blond gelockten Haaren. „Warum heulst du! Sag mir, warum du heulst!“, verlangte er und kramte gleichzeitig in seinem eigenen Gedächtnis fieberhaft nach einer Lösung für das Problem. Nein, Problem war untertrieben, es war eine Katastrophe, denn theoretisch dürfte Irina nicht weinen. Ebenso, wie er dazu nicht in der Lage war. Es entweihte und schwächte. Er verachtete jegliche Form von Gefühl, das sich nicht kontrollieren ließ.

      „Hör sofort damit auf!“, brüllte er Irina an. Das Wasser, das über ihre Wangen floss, brannte auch schmerzhaft auf seinen, verseuchte ihn, als sei er es selbst, der Tränen vergoss.

      „Oh, Meister.“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. „Sie ist tot.“

      „Was faselst du da?“

      Er ließ von Irina ab und schlug mit der flachen Hand so kräftig gegen die Gitterstäbe, dass die gesamte Konstruktion erbebte. Er suchte Enyas Gedanken, um ihr den Befehl zu erteilen, sie solle auf der Stelle herauskommen. Vergeblich. Ohne, dass er es wollte, hatte Enya die dunkle Macht für immer ausgehaucht. Sie lebte nicht mehr.

      Kapitel 10

      Am Tag darauf wurde Irina krank. Alle Kraft hatte sie verlassen. Sie war blass und schwächlich, sprach kaum, blickte aus leeren Augen um sich und bei einem Übungskampf brach sie endgültig zusammen. Die Streitaxt, die sie sonst mit Leichtigkeit hob, war ihr plötzlich zu schwer und schon nach einem einzigen Schlag mit dem Übungsschwert ging sie bewusstlos zu Boden.

      Alefes erschrak, als er sie auf ihrem Lager liegen sah, umsorgt von seinen Bediensteten. Alle Farbe war aus ihren eingefallenen Wangen gewichen, unter den Augen zeichneten sich tiefe Ringe ab. Aber er war weniger besorgt als verärgert. „Was ist passiert?“, fragte er barsch, sobald sie zu sich kam.

      „Meister, ich fühle mich so schwach.“, hauchte Irina und musste um jedes einzelne Wort ringen, damit es ihr nicht in der Kehle erstarb.

      „Ich ließ dich die dunkle Macht kosten und empfing dich mit offenen Armen in meinem Land. Alles, was ich von dir verlange, ist Gehorsam. Du betrügst mich um meinen Preis.“

      „Gnade, Meister.“, stammelte sie, bevor ihr wieder die Augen zufielen.

      Alefes wartete nicht, bis sie erneut die Kraft aufbringen konnte, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er schloss sich ein und befahl dem Gargoyle, jeden zu zerfetzen, der sich auch nur in die Nähe der Tür begab, hinter der er die Sitzungen mit seiner göttlichen Herrin abzuhalten pflegte.

      „Du hast mich lange warten lassen.“, sprach Trivia ohne Begrüßung, als ihr Sohn endlich das für ihre direkte Kommunikation vorgesehene Dimensionstor öffnete, das flach wie ein Spiegel an der Wand prangte. Zwischen den blau schimmernden Schwaden konnte er ihr Gesicht erkennen. Ein Gesicht menschlicher Gestalt, das sie bevorzugte.

      „Ich hatte meine Gründe.“, antwortete Alefes und berichtete ihr, was geschehen


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