Der Wüstensklave. J. D. Möckli
von seinem Vater aufbewahren. Da Yari etwa dessen Größe hat, könnten ihm die Sachen so halbwegs passen. Außerdem ist alles besser, als diese verschlissene Tunika.
Bepackt mit zwei Hosen und zwei Hemden geht Kai wieder nach unten ins Badezimmer. Ohne anzuklopfen betritt er den Raum, was Yari erschrocken hochfahren lässt.
»Keine Sorge, ich bin es nur. Ich habe dir hier ein paar Sachen rausgesucht. Vermutlich sind sie dir etwas zu groß, aber sie werden ihren Zweck erfüllen, bis wir dir etwas Neues besorgt haben.«
Kai versucht möglichst ruhig zu sprechen, weil er merkt, dass ihn Yari misstrauisch beobachtet. Dabei legt er die Sachen auf den kleinen Hocker, der neben der Toilette an der Wand steht.
Mit ruhigen Schritten geht er nun zu dem Schrank neben der Tür, nimmt eines der großen Frotteetücher heraus und legt es neben der Wanne auf den Boden. »Komm bitte ins Wohnzimmer, wenn du fertig bist. Das ist die Treppe hoch, der Raum auf der rechten Seite. Ich zeige dir dann dein Zimmer.«
Erst als Kai wieder weg ist, kann sich Yari ein wenig entspannen. Trotzdem beeilt er sich, will er doch die Geduld seines neuen Besitzers nicht zu sehr belasten.
Bedauernd steigt er schließlich aus dem warmen Wasser und nimmt sich das bereitgelegte Handtuch. Schnell trocknet er sich ab und schlüpft in eine der braunen Hosen. Sie ist wirklich ein wenig zu groß, rutscht ihm aber zum Glück nicht runter. Dann greift er zu einem der beigen Hemden. Auch das ist etwas zu groß, aber wenn er die Ärmel hochkrempelt, geht es. Außerdem kann er sich kaum noch daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas anderes als die Sklaventunika getragen hat, daher ist er froh und freut sich sogar etwas. Kurz überlegt er, ob er das Halsband wieder anziehen soll, legt es dann aber mit einem Anflug von Mut zu den restlichen Sachen, die er sich unter den Arm klemmt.
Barfuß verlässt er das Badezimmer und geht wie befohlen die Treppe nach oben und dann in den Raum auf der rechten Seite.
Dort wird er schon von Kai erwartet: »Das ging aber schnell. Dann kann ich dir ja gleich dein Zimmer zeigen.« Er deutet Yari an, dass er ihm folgen soll und geht voraus.
»Das Badezimmer kennst du ja schon. Wenn du es benutzt, dreh einfach das kleine Schild an der Tür um. Das ist unser Zeichen, dass es besetzt ist. Die Küche ist genau unter dem Wohnzimmer und neben dem Badezimmer. Den Laden kennst du ja schon. Und dann gibt es noch das Lager, aber das werde ich dir zeigen, wenn du dich ausgeruht hast. Hier oben sind das Wohnzimmer, die Tür zum Dachboden«, er deutet auf die rechte Seite, »und die Schlafzimmer von Großvater und mir. Das da auf der linken Seite ist seines und das hier neben dem Wohnzimmer ist meins.«
Kai führt Yari durch die Tür in sein Zimmer. Es ist relativ geräumig und bietet genug Platz für das große Bett auf der rechten und den Schrank auf der linken Seite. Unter dem Fenster steht ein Tisch mit einem Stuhl davor. Neben dem Schrank befindet sich noch eine Tür, die Kai nun öffnet.
»Das hier ist mein früheres Kinderzimmer.« Er deutet auf das schmale Bett und den kleinen Schrank. »Ich will dich nicht im Stall schlafen lassen und dachte daher, dass du das Zimmer haben kannst. Leider gibt es nur diese eine Tür, die in mein Zimmer führt. Vermutlich haben sie das damals so gemacht, damit wir Kinder nachts nicht abhauen konnten.« Entschuldigend sieht Kai Yari an. »Ich hoffe, das stört dich nicht.«
Yari geht in den kleinen Raum und legt das Kleiderbündel auf den Tisch, der ebenfalls mit einem Stuhl unter dem Fenster steht. Dann dreht er sich nervös zu seinem Besitzer um. Nach einem Moment entscheidet er sich dann dazu, noch einmal das Risiko einer Strafe einzugehen und offen zu sprechen: »Es ist toll. Ich hoffe nur, dass ich Sie nicht störe, wenn …« Plötzlich wird ihm schwindlig. Er glaubt schon zu stürzen, als sich zwei Arme um seinen Oberkörper schlingen und ihn stützen, bis er sich mit wild schlagendem Herzen aufs Bett setzen kann.
»Komm, leg dich hin.«
Schwerfällig kommt Yari der Aufforderung nach und ist auch schon fast eingeschlafen, als er von Kai zugedeckt wird. Er spürt nicht mal mehr, wie dieser ihm die Hand auf die Stirn legt.
Besorgt mustert Kai den Schlafenden. Natürlich ist das Fieber in den letzten Stunden nicht gesunken. Er überlegt, ob er Yari noch einmal aufwecken soll, entscheidet sich dann aber dagegen. Wie sagte seine Mutter immer? Die beste Medizin ist Schlaf. Bestimmt weiß sein Großvater, was zu tun ist.
Leise verlässt Kai das Zimmer und zieht die Tür hinter sich zu. Dann geht er runter in den Laden.
Ren ist gerade dabei Halstücher zu sortieren, als Kai reinkommt. Überrascht sieht ihn der alte Mann an. »Nanu, wo hast du denn Yari gelassen?« Die Tücher zur Seite legend, wendet er sich zu seinem Enkel um, der sich neben ihn auf den Tresen setzt.
»Er schläft. Ich wäre froh, wenn du später mal nach ihm sehen könntest. Mir ist nämlich schon auf dem Markt aufgefallen, dass er Fieber hat. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.« Besorgt sieht er seinen Großvater an, der ihn nachdenklich mustert.
»Ist dir an ihm sonst noch etwas aufgefallen?«
»Na ja, er ist auf dem Markt wohl zusammengebrochen, darum habe ich ihn überhaupt erst bemerkt und dann habe ich an seinen Beinen relativ frische Blutspuren gesehen und er scheint länger nichts zu trinken bekommen zu haben – zumindest hat er auf dem Heimweg fast zwei Flaschen Wasser leer getrunken.«
»Hat er denn auch Wunden an den Beinen?«
»Ähm, nein … zumindest habe ich keine gesehen.«
»Dann kannst du dir ja denken, was das bedeutet.«
»Ja, leider, aber was hat das mit seinem jetzigen Zustand zu tun?« Verwirrt sieht Kai seinen Großvater an, während er nervös an einem der Halstücher herumfingert.
»Ich würde mal sagen, dass er mindestens in den letzten Tagen mehr durchgemacht hat, als sein Körper verkraften konnte. Darum glaube ich nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Sorge einfach dafür, dass er genug zu trinken hat und heute Abend stellen wir ihm eine gute Suppe hin, die er auch noch kalt essen kann, wenn er bis dahin nicht aufgewacht ist.« Um zu verhindern, dass Kai das Halstuch noch komplett zerknittert, nimmt Ren es ihm aus den Händen und legt es zu den anderen in den großen Weidenkorb. »Er braucht jetzt vermutlich einfach nur Ruhe. Wenn er sich wieder erholt hat, besorgen wir ihm richtige Schuhe und anständige Kleidung.«
Kai ist etwas beruhigt. »Gut, dann stelle ich ihm ein paar Flaschen mit Wasser neben sein Bett und gehe in den Stall.«
»Ja, mach das, mein Junge.« Ren sieht seinem Enkel lächelnd nach und hofft, dass seine Theorie stimmt.
Kapitel 3: Ein erster Schritt
Nach dem Abendessen geht Kai mit einer Öllampe und einer Schüssel Suppe für Yari die Treppe hoch zu dessen Zimmer. Es ist ziemlich unpraktisch, dass er durch sein eigenes Zimmer gehen muss, um in das von Yari zu gelangen. Vielleicht sollte er für ihn eine zusätzliche Tür einbauen lassen, die direkt in den Flur führt. Aber eins nach dem anderen, jetzt muss Yari sich erst mal erholen.
Leise betritt Kai sein ehemaliges Kinderzimmer und stellt Suppe und Lampe auf dem kleinen Tisch ab. Als er zum Bett sieht erkennt er, dass Yari wohl mal wach gewesen sein muss: Eine der beiden Wasserflaschen ist leer. Trotzdem macht er sich immer noch Sorgen, weshalb er sich auf die Bettkante setzt und seine Hand prüfend auf die Stirn des Schlafenden legt. Er kann nicht sagen, ob das Fieber etwas zurückgegangen ist, aber immerhin scheint es nicht weiter gestiegen zu sein.
Gerade als er die Hand zurückziehen will, bemerkt er, wie sich Yari zu regen beginnt. Es dauert einen Moment, doch dann fixieren ihn die himmelblauen Augen. Kai ist sich nicht bewusst, dass er immer noch seine Hand auf Yaris Stirn liegen hat, bis er den misstrauischen Ausdruck in dessen Blick und die angespannten Muskeln bemerkt. Sofort nimmt er seine Hand weg, um Yari nicht noch mehr zu beunruhigen.
»Na, wie geht es dir?«
»Es geht so.« Mehr sagt Yari nicht, da er nicht sicher ist, wie er seinen neuen Besitzer einordnen soll.
Yaris vorsichtige Antwort veranlasst