Der Wüstensklave. J. D. Möckli
Hand dort liegen: »Großvater hat Suppe gekocht. Möchtest du etwas essen oder willst du lieber noch warten? Dann wird die Suppe aber kalt.«
Es dauert einen Moment, doch dann richtet sich Yari langsam auf, was Kais Hand von dessen Schulter auf den Arm rutschen lässt, weshalb er sie schließlich ganz zurückzieht.
»Ich habe schon etwas Hunger.« Yari bleibt zurückhaltend und äußerst vorsichtig, obwohl ihm Kais Lächeln ehrlich vorkommt.
»Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen. Kannst du aufstehen oder soll ich dir die Suppe herbringen?« Um Yari nicht weiter zu bedrängen, steht Kai auf.
Abschätzend sieht Yari zum Tisch. Er fühlt sich zwar schwach, aber die paar Schritte traut er sich zu. Außerdem hat er seit dem gestrigen Morgen nichts mehr gegessen und wirklich großen Hunger. Entschlossen schlägt er die Decke zurück und setzt sich auf die Bettkante. Inzwischen spürt er die Spuren der Stockschläge ziemlich deutlich, was vermutlich daran liegt, dass sein Adrenalinspiegel in den letzten Stunden wieder gesunken ist. Er weiß zwar nicht, woher er dieses Wissen hat, aber darüber macht er sich schon lange keine Gedanken mehr.
Nachdem er sich vorsichtig davon überzeugt hat, dass seine Beine ihn tragen werden, steht er langsam auf.
Da Yari leicht schwankt, greift Kai nach dessen Arm und lässt ihn auch nicht los, als er dessen erschrockenen Blick sieht. »Ich helfe dir.«
Gemeinsam gehen sie die wenigen Schritte zu dem kleinen Tisch. Nachdem Yari sich gesetzt hat, zögert er, also schiebt ihm Kai die Schüssel hin.
»Hier, iss so viel du magst.« Auffordernd blickt er Yari an, der ihn seinerseits prüfend ansieht, bevor er nach dem Löffel greift.
Am Anfang isst er noch zögerlich, doch unter den freundlichen Blicken Kais entspannt er sich und erkennt, dass das Angebot ehrlich gemeint ist. Mit großem Appetit macht er sich über die Suppe her.
Um Yari etwas mehr Raum zu geben, setzt sich Kai aufs Bett, der einzigen anderen Sitzgelegenheit außer dem Stuhl. Unauffällig beobachtet er seinen neuen Mitbewohner beim Essen. Offenbar ist Yari extrem erschöpft und scheint seine Maske der Gleichgültigkeit, die er auf dem Sklavenmarkt noch getragen hatte, nicht mehr aufrechterhalten zu wollen oder zu können. Je länger Kai ihn ansieht, desto mehr wird ihm bewusst, dass es Zeit und Geduld erfordern wird, bis Yari ihm wirklich vertraut.
Es dauert eine Weile, bis Yari den Löffel zur Seite legt. Zum ersten Mal seit … seit er sich erinnern kann, hat er das Gefühl, wirklich satt zu sein, was sich gut und irgendwie vertraut anfühlt. In den letzten Minuten hat er seinen Besitzer komplett ausgeblendet gehabt, nun wird er sich jedoch wieder dessen Anwesenheit bewusst. Im Augenwinkel sieht er Kai vom Bett aufstehen, blickt aber dennoch nicht von der leeren Suppenschüssel hoch. Wird er jetzt für das Essen bezahlen müssen? Unwillkürlich verspannt er sich, als er sich vorzustellen versucht, was sein Besitzer nun von ihm verlangen könnte.
»Du hast ja alles aufgegessen!« Überrascht mustert Kai Yari. »Hattest du genug oder soll ich dir noch eine Portion hochbringen?« Fragend sieht er Yari an, der den Blick jedoch nicht erwidert und auch sonst keine Regung zeigt.
Vorsichtig greift Kai unter Yaris Kinn und zwingt ihn so, zu ihm aufzusehen. »He, ich beiße nicht.« Seufzend lässt er ihn wieder los. »Schau, ich weiß nicht, was dir alles passiert ist. Mir ist bewusst, dass du mich nicht kennst und auch nicht freiwillig hier bist, aber ich habe trotzdem eine Bitte an dich: Versuche einfach, mir zu vertrauen. Nur ein wenig. Mehr verlange ich gar nicht.«
Es dauert einen Moment, in dem ihm Yari einfach nur schweigend in die Augen sieht, als würde er versuchen, in ihnen zu lesen. Gelassen erwidert Kai den Blick, auch wenn er sich zusammenreißen muss, nun nicht seinerseits wegzusehen, hat er doch das Gefühl, als würde Yari durch seine Maske dringen und ihn ohne Probleme lesen können.
Schließlich nickt Yari zögerlich. »Okay.« Mehr sagt er nicht, aber in diesem einen Wort ist ein ganzer Schwall an Sätzen verborgen und dessen ist sich Kai bewusst.
»Gut. Also … willst du noch mehr essen?«
Yari blickt wieder auf die leere Suppenschüssel, um dann erneut zu Kai hochzusehen. »Nein, danke. Ich bin satt. Allerdings müsste ich mal ins Bad.« Gespannt sieht er seinen Besitzer an. Wird es jetzt mit der Freundlichkeit vorbei sein?
»Dann geh ruhig. Denk einfach daran, das kleine Schild umzudrehen. Rot bedeutet besetzt.«
Kai nimmt das benutzte Geschirr vom Tisch, die Lampe lässt er stehen. Immerhin brennen im Flur momentan je eine Öllampe oben und unten bei der Treppe. Er folgt Yari aus dem Zimmer. »Ich weiß nicht, ob ich es schon gesagt habe, aber du kannst dich im Haus und auch im Hinterhof frei bewegen. Wenn du ganz raus willst, gib einfach kurz Bescheid und denk dann an das Halsband.«
Wieder sieht ihn Yari mit diesem Blick an, als würde er in ihm zu lesen versuchen. »Okay.«
Bevor sie sich am Fuß der Treppe trennen, dreht sich Yari zu ihm um, sieht ihn aber nicht an. Stattdessen fixiert er die Öllampe an der Wand. »Danke für das Essen und für … alles.« Er wirkt immer noch vorsichtig, scheint aber einen Entschluss gefasst zu haben.
Während Kai nur überrascht nickt, wendet sich Yari zur Badezimmertür um. Er dreht das Schild auf rot, bevor er das Badezimmer betritt und wagt es sogar, die Tür hinter sich zu schließen.
Glücklich geht Kai in die Küche. Yari hat geredet, ohne dass er ihn vorher etwas gefragt oder ihn dazu aufgefordert hat.
»Ah, Kai, mein Junge. Hat ihm die Suppe geschmeckt?« Ren sitzt am Tisch und liest im Licht einer Öllampe in einem Buch.
Da die Küche der wärmste Raum im ganzen Haus ist, sitzen sie gerne hier zusammen, wenn es draußen kühl ist.
»Ja, sogar so gut, dass er die ganze Schüssel geleert hat.«
Er spült die Schüssel ab und stellt sie weg, dann setzt er sich zu seinem Großvater an den Tisch.
»Wie geht es ihm?« Ren legt ein Stück Stoff als Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er das Buch schließt und seinen Enkel aufmerksam ansieht.
Seufzend reibt sich Kai übers Gesicht. »Schwer zu sagen. Das Fieber ist jedenfalls nicht gestiegen und nach dem Essen schien es ihm deutlich besser zu gehen.« Bedrückt fixiert Kai einen Kratzer in der hölzernen Tischplatte.
»Das hört sich nach einem Aber an.«
Traurig lächelt Kai. »Ich glaube, ich habe ihn vorhin ohne Maske gesehen und er hat wohl ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht. Jedenfalls scheint er immer zu befürchten, dass ich ihm eine Falle stelle. Was soll ich nur machen, damit er merkt, dass er mir vertrauen kann?«
Ren überlegt ziemlich lange, bevor er schließlich antwortet: »Gib ihm Zeit und sei du selbst. Sklaven können sehr gut in Menschen lesen. Vermutlich, weil das ihr einziger Schutz ist. Außerdem hängt vieles davon ab, wie lange er schon ein Sklave ist.«
Verwirrt blickt Kai ihn an. »Wie meinst du das? Wie lange er schon ein Sklave ist?«
Mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht lehnt sich Ren zurück. »Na ja, er scheint mir nicht als Sklave geboren worden zu sein. Kein geborener Sklave hat so eine Haltung und so einen Ausdruck in den Augen, also nehme ich an, dass er irgendwann versklavt worden ist. Weißt du vielleicht etwas über seine Vergangenheit?«
Eine Weile ist es still in der Küche, während Kai über die Worte seines Großvaters nachdenkt. »Er sagte, dass er sich nur an die letzten fünf Jahre erinnern kann. Er weiß noch nicht einmal, wie sein richtiger Name lautet. Und er sagt, dass er mehre Sprachen beherrscht. Außerdem kann er lesen und wohl auch schreiben …« Kai stockt ein paar Sekunden und redet dann weiter. »Und er hat auf meine Frage, was er kann, nicht so geantwortet, wie man es von einem Sklaven erwarten würde. Im Gegenteil, er hat gefragt, was er denn antworten soll, denn wenn er die falsche Antwort gäbe, würde er bestraft werden.«
»Hmmm …« Ren reibt sich nachdenklich das Kinn. »Also leidet er an Gedächtnisverlust. Ich sage dir jetzt mal was ich denke: Yari hat meiner Meinung nach eine