Secret of Time. Joachim Koller
einige Wörter stehen.“
Doch Leon war selbst etwas neugierig geworden. Er nahm sein Tablet und schaltete es ein.
„Was hast Du vor?“
„Wir können nicht Latein, aber es gibt eine Suchmaschine, die auch übersetzen kann“, meinte er grinsend und tippte die Wörter der Reihe nach ein. Aber als er das Ergebnis sah, konnte er nur die Augenbrauen hochziehen und erneut den Kopf schütteln.
„So ein Schwachsinn, sieh her.“
Repertori - Entdecker
Inperfecto familia – Unvollendete Familie
Oculi obviam in – Treffen sie die Augen
Duobus rectis – Zwei rechts
Aperit quadratum in – Öffnet auf dem Quadrat
Ad Descensum – Der Abstieg
ultra tempus – Jahreszeit
„Das ergibt keinen Sinn“, meinte Julia.
„Ganz genau. Was auch immer mein Vater damit vorhatte oder sich dabei gedacht hat, ich erkenne keine Logik und keinen Sinn dahinter.“
Er nahm das Metallquadrat, wischte es ab und warf es in die Holzschachtel hinein. Dabei fiel ihm auf der Innenseite des Deckels eine eingestanzte Zeile auf.
Picture ostendit viam - Duo ex me - Aurea quadratum Antoni
„Nicht noch so ein …“, stöhnte Leon auf und ließ auch diesen Satz übersetzen.
„Das Bild zeigt den Weg. Zwei von mir, das goldene Quadrat von Antoni. Was soll ich damit nun anfangen?“
Er schloss die Schatulle und blickte zu Julia.
„Vielleicht ist er auf seine alten Tage hin etwas verrückt geworden“, überlegte er laut.
„Leon, es war Dein Vater, da kannst Du nicht so reden.“
„Du weißt schon noch, dass es mein Vater war, der Dir erklärt hat, Du bist nicht gut für mich, weil Du unbedingt Karriere machen willst. Mein Vater war derjenige, der mir erklärt hat, ich soll meinen Job hinschmeißen und Architektur studieren, damit die Tradition der Familie Sagnier weiter bestehen bleibt. Der Mann, der, anstatt sich auf die Hochzeit seines einzigen Sohns zu freuen, anruft und mir empfiehlt so eine unwürdige Frau mit neumodischen Ansichten nicht zu heiraten.“
Leon wurde etwas lauter, er verspürte keine Trauer, sondern nur dieselbe Wut, wie damals nach seinem letzten Telefonat mit seinem Vater. Julia schwieg und legte einen Arm um ihn.
„Ist schon okay. Wir werden diese Schatulle irgendwo hinstellen und damit ist die Sache erledigt. Einverstanden?“
Leon nickte, drehte sich dann zu seiner Frau und küsste sie.
Die Schatulle wurde verstaut und schon nach einigen Tagen war sie vergessen. Leon lebte sein Leben weiter, glücklich verheiratet mit Julia und verschwendete keine Gedanken mehr an seinen Vater oder das ominöse Geheimnis der seltsamen Worte.
Teil 2 - Sightseeing
Fünf Monate später
Samstag, 9 Uhr
Ruhig, fast wie auf Schienen, flog das Flugzeug im langsamen Sinkflug über die spanische Küste. Leon lehnte mit dem Kopf an der Kabinenwand und wurde durch die Ansage der Stewardess munter. Von seinem Fensterplatz sah er die Großstadt Barcelona vorbeiziehen. Deutlich war der Hafen zu erkennen, unweit davon ein Grünstreifen, der sich durch das dicht besiedelte Stadtgebiet zog. Ein Stadtteil mit quadratischen Häuserblocks stach ebenfalls deutlich hervor. Aus diesem ragte eine gewaltige Kirche heraus. Die Sagrada Familia, die unvollendete Kirche, wie er aus seinem Reiseführer wusste. Für Leon war es der erste Besuch in Barcelona, der Urlaub war sehr kurzfristig zustande gekommen.
Julia hatte vor zwei Monaten ihren Job gekündigt und zu einer großen Hotelkette gewechselt. Gleich nach einigen Wochen hatte man ihr einen Auftrag in Berlin zugeschanzt. Deshalb war sie noch zwei Wochen in Deutschland. Bislang waren sie nie länger als ein paar Tage voneinander getrennt gewesen, nun aber waren es schon drei Wochen, die seine Frau in Berlin verbrachte. Eine Stadt, die Leon schon öfters besucht hatte, was ihn zuerst überlegen ließ, sie zu besuchen. Da sie aber meistens bis abends im Hotel zu tun hatte und von einer Sitzung zur nächsten dirigiert wurde, entschied er sich dagegen. Um dennoch nicht nur daheimzusitzen und auch wieder einmal alleine etwas zu unternehmen, suchte er nach einem billigen Städtetrip für mehrere Tage. Das günstigste Angebot, das ihm unterkam, war ein Aufenthalt in Barcelona für eine Woche. Zuerst sträubte er sich noch, aber als ein Kunde bei ihm seinen Barcelona-Trip, samt Besuch eines Fußballmatches des FC Barcelona im Champions League - Spiel gegen Bayern München, stornierte, nutzte er die Gunst der Stunde. Als großer Fußballfan wollte sich Leon nicht die Chance entgehen lassen, dieses hochklassige Aufeinandertreffen live mitzuerleben. Außerdem war er der Meinung, dass er lange genug, nur wegen seines Vaters, die Stadt gemieden hatte, von der er schon viel gelesen hatte und die für ihn immer interessanter geworden war. Und da war noch diese Holzschatulle, die er vererbt bekommen hatte. Er hatte sie, seit sie in seinem Besitz kam, nicht mehr beachtet, bis sie ihm, einen Tag vor seinem Abflug, wieder einfiel. Vielleicht würde er in der Stadt jemanden finden, der mit diesem Quadrat aus Gold etwas anfangen konnte, zum Beispiel diesen Pater Adrián.
Die Erde kam immer näher, inzwischen flog das Flugzeug nicht mehr über dem Meer. Er sah unter sich einen dunkelgrünen Fluss und war sehr glücklich darüber, dass sie in wenigen Minuten aufsetzen würden. Somit löste sich auch Leons Anspannung, die er auf jedem Flug spürte. Er bekam leicht Platzangst, weshalb er die Enge eines Flugzeuges als ziemlich anstrengend empfand. Mit einem kräftigen Rumpeln kam die Maschine auf der Landebahn auf. Im nächsten Moment war die Kraft der Bremsen zu spüren, die ihn gegen den Sicherheitsgurt drückten.
Nur noch ein paar Minuten, dann komme ich aus dieser Konservendose heraus, dachte er erleichtert und holte seinen Reiseführer aus der Ablage.
Leon war bei Nieselregen und kühlen Temperaturen abgeflogen, hier empfing ihn strahlender Sonnenschein. Keine Wolke war am Himmel zu sehen, und für Ende Oktober war es selbst für Barcelona sehr warm. Auf dem Weg zum Bus, der ihn mitten ins Stadtzentrum bringen sollte, streifte Leon seine Cordjacke ab und rollte die Ärmel seines Hemdes hoch.
Die halbstündige Fahrt durch den morgendlichen Stau nutzte Leon, um seine Reiseunterlagen zu sortieren und sich darüber Gedanken zu machen, womit er seinen Aufenthalt beginnen sollte.
Neben einem günstigen Flug hatte Leon auch eine sehr preisgünstige Unterkunft bekommen. Ein Hostel, keine fünf Gehminuten von der Sagrada Familia entfernt, einfach aber es genügte ihm. Von seinem Chef hatte er zusätzlich noch den Auftrag bekommen, sich ein, demnächst ins Programm aufgenommenes, Hotel genauer anzusehen. Das Luxushotel am Hafen von Barcelona sollte bei einer der nächsten Gruppenreisen als Unterkunft dienen und Leons Aufgabe lautete, sich zu versichern, dass die hohen Zimmerpreise dem Hotel gerecht wurden.
Zuerst aber wollte er sich die Stadt näher ansehen, die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten kennenlernen und alle Punkte seine „To-See“-Liste abhaken.
Inzwischen hatte er schon viel über Barcelona gelesen, unter anderem auch, dass das U-Bahn-System sehr zuverlässig war und nahezu überall hinführte. Einer der Knotenpunkte war der Plaça Catalunya, die Endstation des Flughafenbuses. Mit seinem Koffer im Schlepptau und einem kleinen Rucksack auf dem Rücken ging er los, ohne sich großartig umzusehen. Leon wollte zunächst sein Gepäck loswerden, bevor er durch die Straßen ziehen würde. Weder das große achtstöckige Einkaufszentrum „El Corte Inglés“, das direkt vor ihm am Plaza Catalunya stand, fand Beachtung, noch hatte er einen Blick für die Ramblas, die hier ihren Anfang nahmen. Nur ein rotes Schild mit einem großen, weißen „M“ interessierte ihn,