Secret of Time. Joachim Koller

Secret of Time - Joachim Koller


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wenn er schon viele Bilder der Sagrada Familia gesehen hatte, als er nun direkt davor stand, war er fasziniert. Rund um den Haupteingang und den Seiteneingängen waren verschiedenste Szenen mit detaillierten Figuren in Stein gemeißelt. Eine deutsche Reisegruppe neben ihm bekam gerade eine ausführliche Erklärung, der Leon mit einem Ohr lauschte. So erfuhr er, dass diese Fassade den drei theologischen Tugenden gewidmet war. Die Liebe, der Glaube und die Hoffnung, dargestellt durch Jesus, Maria und Josef. Weiteres wurden die unterschiedlichen Musikengel beschrieben und einige Szenen genauer erklärt. Zum Beispiel die Verkündung der Maria, als der Erzengel Gabriel ihr eröffnet, dass sie die Mutter des Gottessohns sein wird. Manche Szenen konnte selbst er erkennen, unter anderem die Heiligen Drei Könige.

      Leon war katholisch erzogen worden, aber mit der Zeit hatte die Religion immer weniger Stellenwert in seinem Leben eingenommen. Erst durch die Hochzeitsvorbereitungen kam er wieder mehr mit der Kirche in Kontakt, aber seitdem waren viele Jahre vergangen.

      Leon konnte gar nicht alle Details aufnehmen, schoss unzählige Bilder und war verzückt über die vielen Einzelheiten, die diese Fassade verzierten. Von Säulen, die von einer Schildkröte getragen wurden und deren Enden Palmblätter aus Stein schmückten, bis zu den Inschriften aus Stein. Verglichen mit der Passionsfassade war das Material hier dunkler, was aber wohl daran lag, dass dieser Teil der Kirche um einiges älter war.

      Sein nächstes Ziel war das Museum. Gleich beim Eingang zeigten mehrere alte Fotografien, wie der Bau dieser mächtigen Kirche angefangen hatte. Eine sehr detaillierte Zeichnung ließ erahnen, wie die fertiggestellte Kirche in vielen Jahren aussehen sollte. Ein noch weitaus höherer Turm mit einem leuchtenden Kreuz sollte diese Kirche zu einem unverwechselbaren Monument des Glaubens machen.

      Im nächsten Raum standen Vitrinen mit Skizzen zur vorher gesehenen Passionsfassade, daneben blickte ein Steinkopf von Antoni Gaudí mit ernstem Ausdruck in den Raum. Leon blickte über die Vitrinen und sah erneut das Quadrat.

Bild 6

      Dieses Mal war es aus Bronze mit einer Länge von ungefähr zwanzig Zentimetern. Die Zahlen und Linien waren in Schwarz eingekerbt. Endlich fand er eine Beschreibung, was es genau mit diesem Quadrat und den Zahlen auf sich hatte.

      Es handelte sich um ein sogenanntes magisches Quadrat, bei dem die Summe jeder Spalte und auch jeder Zeile sowie die Diagonalen jeweils 33 ergab. Josep Maria Subirachs, der Bildhauer und Architekt der Passionsfassade hatte es sich erdacht. Die Zahl 33 bezog sich auf das Alter von Jesus, als er starb. Neben der Beschreibung hing noch eine Schautafel mit weiteren Kombinationsmöglichkeiten, die das Quadrat bot, um auf die 33 zu kommen.

      Leon war gerade fertig geworden, den Text zu lesen, als er unsanft von zwei Männern zur Seite geschubst wurde.

      „Hallo? Ich glaube es ist genug Platz für alle hier, oder?“, fauchte er. Die Männer beachteten ihn nicht und standen mit dem Rücken zu ihm. Kopfschüttelnd ging er einen Schritt zurück, als er stutzte. Die beiden Männer, beide von sehr muskulöser Statur, verdeckten die Sicht auf die Vitrine. Trotzdem konnte Leon erkennen, wie sich ein weiterer, junger Mann, sehr auffällig über den Schaukasten beugte. Er zwinkerte, sah noch einmal hin und stellte fest, dass die Hand des jungen Mannes in der Vitrine steckte.

      „Wirklich?“, fragte er laut und überrascht. Sofort drehte sich einer der Männer um und blickte ihn mit bösem Blick an.

      „Weg mit Dir, oder ich schlitze Dich auf“, keifte er ihn auf Spanisch an. Erst jetzt sah Leon das dünne, lange Messer in der Hand des Mannes. Der leicht dunkelhäutige Mann war einen Kopf größer als Leon, der immerhin ein Meter achtzig maß.

      „Das kann jetzt aber nicht wahr sein?“, meinte Leon erstaunt, nun auch auf Spanisch und sah sich um. Außer ihnen waren nur wenige Leute im Raum und diese beachteten ihn nicht.

      „Wenn Dir Dein Leben lieb ist ...“ wurde der Mann vor Leon deutlicher und machte einen Schritt auf Leon zu.

      „Das ist keine gute Idee, wirklich keine gute Idee“, versuchte Leon, ihn zu beschwichtigen. Hinter dem Muskelprotz sah er, wie der junge Mann das bronzene Quadrat herauszog. Dieses Ding zog Leon aus unerfindlichen Gründen in seinen Bann.

      „Verschwinde!“, keifte der Mann und fuchtelte mit dem Messer vor Leon.

      Das Folgende hatte Leon zigmal geübt und immer wieder mit anderen Personen selbst einstudiert. Zur persönlichen Fitness und um die Motivation unter den Mitarbeitern zu verbessern, ging die Belegschaft von Leons Büro zweimal die Woche nach Dienstschluss in ein nahe gelegenes Fitnessstudio. Neben dem Spaß an den unterschiedlichen Geräten hatte die Büroleitung für sie alle auch einen Selbstverteidigungskurs organisiert. Die Frauen aus dem Büro, welche die Mehrheit ausmachten, waren für den Kurs dankbar. Und Leon in diesem Moment auch.

      Das Messer kam ihm bedrohlich nahe. Blitzschnell machte Leon einen Schritt zur Seite. Er packte das Handgelenk des Mannes und riss die Hand zur Seite. Noch bevor sein überraschtes Gegenüber reagierte, schwang Leon sein Bein nach vorne und traf ihn seitlich am Knie. Der Mann knickte zur Seite und wollte mit der freien Hand nach Leon schlagen, doch dieser war eine Spur schneller. Immer noch hielt er die Hand fest, riss sie noch weiter nach hinten und brachte den Mann damit ins Wanken. Nun wurden auch die anderen Touristen im Raum auf sie aufmerksam. Eine Frau sah das Messer und quietschte schrill auf, ein älterer Mann rief auf Französisch nach der Polizei. Der junge Dieb rannte mit dem gestohlenen Quadrat in der Hand los, seine beiden Aufpasser wollten ihm nach. Doch Leon ließ den Mann mit dem Messer nicht los. Als dieser erneut mit der freien Hand ausholte, trat er erneut zu, wieder fest gegen das Knie. Der Tritt war härter, der Mann schrie schmerzvoll auf, als das Bein nachgab und er auf die Knie fiel. Inzwischen war die Aufregung rund um Leon gestiegen. Zwei Touristen eilten Leon zu Hilfe und hielten den knienden Mann am Boden fest. Leon hörte, wie es am Eingang zu einem Tumult kam und hoffte, dass die Diebe wohl nicht weit gekommen waren. Als ein weiterer Mann erschien und dem fluchenden Mann am Boden das Messer aus der Hand riss, stand Leon auf und rannte ebenfalls zum Ausgang. Dort sah er zunächst nur den zweiten breitschultrigen Mann, der von drei Sicherheitsbeamten umringt war. Von dem jungen Dieb war nichts zu sehen. Leon blickte sich um. Immer mehr Sicherheitskräfte und Polizisten kamen zum Museum gerannt. Touristen blickten zu ihm und zu dem festgehaltenen Mann. Als ein Polizist an ihm vorbei wollte, zog Leon ihn an der Schulter zu sich.

      „Der Mann am Boden gehört dazu, aber es gibt noch einen, ein junger Bursche, der aus der Vitrine etwas gestohlen hat“, erklärte er dem Polizisten hektisch und sah sich erneut um. Dann plötzlich fand er den jungen Mann, nervös beim Ausgang stehend.

      „Dort ist er!“, schrie Leon auf und rannte los. Der verdutzte Polizist winkte einer Kollegin zu, die Leon folgte. Der Dieb blickte Hilfe suchend auf die Straße, als er Leon auf sich zulaufen sah. Er schreckte auf und drängte sich durch eine Gruppe Japaner, die fluchend zur Seite sprangen. Leon sprintete, so schnell er konnte, neben ihm rannte eine Frau in Uniform, deren lange braunen Haare wild herumflogen. Vor ihnen kämpfte sich der Mann am Ausgang durch und stieß dabei ein Pärchen zu Boden.

      „Bleib an ihm dran, ich nehme einen anderen Weg“, befahl die Polizistin Leon und bog hinter ihm ab.

      Wie bitte? Was habe ich denn damit zu tun? Warum verfolge eigentlich ich diesen Typ?

      Leon verstand selbst nicht wieso, aber das Quadrat hatte einen Reiz auf ihn ausgeübt, den er sich nicht erklären konnte. Er wusste nur, dass er nicht zulassen konnte, diesen jungen Kerl mit dem Ding verschwinden zu lassen. Leon umrundete die aufgebrachte Gruppe Japaner und sprang über den Bügel des Drehkreuzes am Ausgang. Die zwei Beamten, die dort standen, waren zu überrascht, um ihn aufzuhalten. Auch der Jugendliche hatte es auf die Straße geschafft und rannte entlang des hohen Zauns der Kirche auf die nächstgelegene Kreuzung zu.

      Du bist wirklich ein schneller Hund. Wenn ich nur wüsste, was diese Polizistin gemeint hatte ..., dachte Leon und bekam im nächsten Moment seine Antwort.

      Von der Seite, genauer vom Dach eines der kleineren Häuser innerhalb der Umzäunung, kam die Frau auf den Flüchtenden zugeflogen. Sie sprang von mehr als drei Meter Höhe auf ihn herab, erwischte ihn an den Schultern.


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