Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg

Das Friedrich-Lied - 1. Buch - Henning Isenberg


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beginnen möchte ich meine Erzählung mit meinem Vater, Friedrich dem ersten Grafen von Isenberghe.

      Mein Vater, Friedrich, war ein Kind seiner Zeit. Nicht schlechter und nicht besser als die, unter denen es üblich geworden war, stets nach Besitz und Macht zu streben. Und wie seines gleichen, war er ein Übriggebliebener einer verblassenden Zeit. Dabei lebte er das Leben frei und impulsiv und wusste nie, was ihn im nächsten Moment erwartete. Wie die Adligen seiner Zeit hätte er wahrscheinlich gern die ritterliche Tradition aufrechterhalten. Doch etwas unterschied ihn von seinesgleichen und besonders von seinem Großonkel Engelbert von Berghe - er hatte nicht nur sich und seinen Besitz im Sinn, sondern strebte nach Freiheit für sich und die, die er zu vertreten hatte – sein Volk.

      Dank seiner Statur, seines Geschicks und seiner Gedanken, die dem naturgegebenen Instinkt und der Fähigkeit zur Entfaltung seiner Kraft Raum gab, hielt er unbeirrbar an seiner Kriegerethik, die sich in den Worten Heldenmut, Freigebigkeit und Treue manifestierte, fest. Mir schien, als lebte in diesem schier unverwüstlichen Körper die Epoche der Heldentaten, der Leidenschaft und des stürmischen Überschwangs fort. Doch eine seiner vornehmlichen Eigenschaften, die Wut, war sein Gedeih und Verderb. Im Kampf von unschätzbarem Wert, stellte sie ihm in der entscheidenden Verhandlung ein Bein. Und scheinbar mit seinem Tod, wandelte sich dieses von ihm gelebte Rittertum zu einem Schleier vor der rauen Wirklichkeit, der ebenso zu täuschen wie zur tröstlichen Einbildung zu verhelfen wusste.

      Oder täusche ich mich vielleicht und werde, während ich erzähle, meinen Vater in einem anderen Licht sehen?

      Sein Leben - jedenfalls - hat seine Wirkung auf das meine nicht verfehlt. Und so erzähle ich die Geschichte meines Vaters und meine eigene heute, da ich im Jahre des Herrn 1289 angelangt bin. Fast dreihundert Jahre, nachdem die Menschen dachten, die Welt würde einstürzen.

      Schaue ich jedoch nur zurück auf die Jahre dieses Jahrhunderts, so hätte die Welt für mich schon oft vergehen können.

      Es war die Zeit, die den großen Herrschern und strahlenden Helden des zwölften Jahrhunderts nachfolgte. Die Zeit nach Kaiser Friedrich Barbarossa, Heinrich dem Löwen oder Kaiser Heinrich VI., Richard Löwenherz von England. Und sogar Eleonore von Aquitanien gab es nicht mehr.

      Wer hätte gedacht, dass die alte Königin ihren Nachkommen, die sie fast alle überlebt hatte, irgendwann einmal ihren Platz räumen würde.

      Viele der Mächtigen dieser neu anbrechenden Zeit, in der die Kreuzzüge in das Morgenland aus der Mode zu kommen schienen, waren in vielfältiger Weise mit den glänzenden Namen ihrer Vorgänger auf der öffentlichen Bühne verbunden. Zwar war es nach wie vor der hohe Adel, wie im Heiligen römischen Reich Welfen und Staufer, die Capetinger in Frankreich oder die Plantagnets in England, der die Geschicke der Menschen im Abendland bestimmte. Doch das alte Gleichgewicht war durch das schwache Kaisertum der Deutschen ins Wanken geraten.

      Innozenz III., ein in der Juristerei gebildeter, intelligenter doch durchtriebener Papst, hatte die Schwäche des Kaisertums erkannt und griff nun nach der Macht über die Welt. In Frankreich hatte König Phillip Auguste den Jahrhundertwechsel überdauert und ahnte, dass er englische Gebiete nun von der französischen Landkarte tilgen konnte. In England hatte Johann, genannt „Ohne Land”, seinen Bruder Richard beerbt und hielt sich mehr schlecht als recht auf seinem wackeligen Thron. Doch während die Weltenlenker ihre Machtspiele trieben, merkten sie kaum, dass das Geld immer wichtiger wurde und die Städte an Einfluss und Geltung gewannen.

      Geleitwort

       Ein Mensch kann nur dann sein Leben recht bestehen, wenn er sich bewußt ist, wie in seiner Seele Licht und Schatten beieinanderwohnen

       - gleich dem Schwarz und Weiß im Federkleid der Elster. Mutvolle Gedanken und innere Festigkeit braucht der, der den Streit zwischen Schwarz und Weiß zugunsten des himmlischen Lichtes entscheiden will.

       aus: Parzival (nach Wolfram von Eschenbach)

1. Buch

      1. Kapitel

      „Glaube mir, hier wurde vor langer Zeit Blut an dem Stein vergossen, wenn ich mich übel verhalte, straft er." Inschrift auf der Blutsäule von St. Gereon

       Sankt Gereon, Cölln

       1207

      An dem Tag, als sich Friedrichs Leben änderte, roch es nach Schnee. Der junge Mönch stand im Klosterhof von Sankt Gereon und ließ die kühle Novemberluft sein erhitztes Gesicht erfrischen. Er ärgerte sich. Sechs Jahre und immer noch muss ich die Drecksarbeit machen!

      Gleichzeitig tadelte er sich, dass er Ärger empfand und ihm die Christentugend des Gleichmutes schwerer fiel als den anderen Brüdern des Ordens. Am meisten aber ärgerte ihn die herablassende Art, mit der ihn sein Großonkel Engelbert, der Propst-Elekt von Sankt Gereon, behandelte. Immerhin waren sie verwandt und Engelbert war nur neun Jahre älter als er selbst. Verwandt oder nicht, älter oder nicht – man behandelte keinen Menschen so, wie ihn Engelbert behandelte. Irgendwann werde ich diesem Zwinger schon zeigen, wer wen herumschubst!

      Doch in diesem Moment fühlte er sich ohnmächtig und gedemütigt. Wieder stieg Zornesröte in sein Gesicht, das er den bleiernen Schneewolken entgegen reckte.

      Friedrich straffte sich, richtete die grobe Kutte aus Sackleinen und ging durch den Kreuzgang in das Scriptorium des Klosters und dort durch die Reihen der Pulte, die säuberlich links und rechts des Mittelgangs aufgestellt waren. Zu gerne hätte er an einem dieser Pulte gestanden und die schönen Lettern und vor allem, die welche man eher malen als schreiben musste, fabriziert. Aber nein, er musste im hintersten, tiefsten, dreckigsten Gewölbe die schwarze Tinte mischen. Diese dicke, schwarze Flüssigkeit, die ihn immer an das dicke, dunkle Blut erinnerte, das den feisten Mönchen, die sich regelmäßig und selbstverliebt zur Ader ließen, aus dem Arm quoll. Ihn schauderte, wenn er nur an diesen Akt der Selbsterleichterung dachte.

      Er litt unter der Enge in seinem Kopf, die ihm die Pein über die narzisstische Unaufrichtigkeit seiner Mitbrüder bereitete. Naja, wenigstens war Notger, der Cancellarius des Scriptoriums noch da.

      „

      Da bist du ja endlich, Friedrich. Wo warst du denn?“, murrte der alte Notger ihn an, als Friedrich in das Gewölbe hinab stieg.

      „

      Entschuldigt, Vater. Er hat mich wieder aufgehalten mit seinen Tiraden.“

      „

      Wer hat dich wieder aufgehalten?“, wollte Notger wissen.

      „

      Mein Onkel“, erwiderte Friedrich missmutig. Notger legte eine sorgenvolle Miene auf.

      „

      Nimm es hin, Bruder. So schwer es dir fallen mag. Er ist der Mächtigere von euch beiden. Und wenn es ein Mächtiger mit einem Unteren nicht gut meint – aus welchem Grund auch immer – dann ist es besser, sein Glück anderswo zu suchen, wenn die Möglichkeit besteht.“

      Wenn die Möglichkeit besteht, dachte Friedrich, nickte betreten und machte sich an die Arbeit, während der Ältere den jungen Bruder nachdenklich musterte.

      Dann schlug er die halbfertige Arbeit auf, mit der er gerade beschäftigt war und unterbrach Friedrich in seinem monotonen Rühren, indem er anfing, in übertrieben lehrmeisterlicher Sprache zu dozieren.

      „

      Wenn du wissen willst, welche Farben sich vertragen: Hör her!“

      Friedrich blickte Notger an und sah in dem gütigen Lächeln des sehnigen Mönchs, dass dieser heute ein Einsehen mit ihm haben würde.

      „

      Menge zu Rubeum in mäßigem Quantum Schwarz bei,


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