Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg
herbewegen, sonst ist dir der Arsch gleich wund, Dietrich!"
„Aber, es juckt und zwickt so!", gab Dietrich verzweifelt zurück.
Friedrich zog die Brauen hoch, als wollte er Dietrich sagen: Tue besser, wie ich es dir sage.
Doch Dietrich schaute nur noch unglücklicher zu ihm herüber, denn er wusste, dass er noch einen ganzen Reittag vor sich hatte. Er beneidete seinen älteren Bruder, der das Reiten, wie er das Niederknien zum Gebet, zu beherrschen schien. Wie aber sollte er es können? Schließlich hatte er seit er in St. Gereon Dienst tat, keinen Pferderücken mehr gesehen. Gegenüber Friedrich kam er sich unendlich klein vor. Während ihm die pieksige Kutte nur so um den Leib flatterte, füllten Friedrichs für sein junges Alter kräftige Schultern und Brust den blauen, Clevischen Surkot bestens aus. Der kurze lederne Wams darunter gab den Blick auf die sehnigen Muskeln seiner Arme, mit denen er die Zügel seines Pferde festhielt, bis zu den ledernen Armschützern seiner Unterarme frei. Doch Dietrich wollte lernen und versuchte, trotzt seiner Schmerzen nicht den Blick für die Bewegungen im Sattel zu verlieren, die ihm die anderen vormachten. Tapfer kämpfte er sich mit jedem Schritt seines Pferdes in Richtung seiner Heimat vor. Aber diese würde er erst in ein oder zwei Tagen wiedersehen. Er freute sich – zumindest für eine Weile – wieder in den Schoß seiner Mutter zurückzukehren. Bei dem Gedanken schossen dem kleinen Novizen die Tränen in die Augen, doch er gab ihm die Kraft weiterzureiten. In seinem kindlichen Bewusstsein war die Traurigkeit des Anlasses ihrer Reise bis dahin noch nicht angekommen.
Vor ihnen begann sich, je näher sie kamen, langsam der Turm der Altenbergher Klosterkirche aus seiner idyllischen Talmulde zu erheben. Nun hatten sie Cöllnisches Land verlassen und waren auf dem Gebiet von Friedrichs Großcousine, Irmgard von Berghe zu Altenberghe.
Friedrich war schon einmal hier gewesen – vor zwei Jahren. In einem großen Festakt hatte damals die Gräfin Heinrich von Limbourgh-Monjoi geheiratet und gleichzeitig ihr Erbe in Altenberghe bezogen. Sehr zum Leidwesen ihres Onkels und Prior von St. Gereon, Engelbert, des jüngeren Bruders ihres Vaters, Adolf von Berghe, hütete sie mit der Grablege derer von Berghe, so zu sagen die heilige Stätte und Seele der Familie. Und das auch noch zusammen mit Heinrich von Limbourgh, einem Welfen, während Vizegraf Engelbert damals als Angehöriger des Cöllner Domkapitels im Staufischen Lager gestanden hatte.
Friedrich bereitete der Gedanken, dass seinem Peiniger aus Kirchentagen dieser feine Stachel stetig im Fleische eiterte, größte Genugtuung.
Friedrich hingegen achtete, ja verehrte die Limbourgher. Und das nicht ohne ein beachtliches Eigeninteresse. Denn er war unsterblich verliebt!
Es ereignete sich damals auf der Hochzeit vor zwei Jahren. Friedrich selbst steckte noch ungelenk und schlaksig in seiner kratzigen Mönchskutte und saß bei seiner Familie, als die stattliche Hochzeitsgesellschaft in den Altenbergher Dom einzog. Im gelben Sonnenschein zogen die Limbourgher durch den Mittelgang vor den Altar. Und wie zum Schutze seiner wertvollsten Zierde, umringte die Familie das lieblichste Kind, das Friedrichs Augen je erblickt hatten. Die Limbourgher bargen ihren Schatz gut. Und hätte er nicht den einen Blick, wie sich das Tuch des Mädchens Tunika bei jedem ihrer Schritte in ihren Schoß schmiegte, erhascht, er hätte gedacht, dass sie von einer Feenschar getragen wurde. Derart elfengleich waren ihre Bewegungen.
An diesem Tage waren Friedrichs Liebe zu und sein Verlangen nach Sophie von Limbourgh hoffnungslos entbrannt; unbeholfen, aber grell wie Blitze. Friedrich wusste nicht, ob Sophie ihn überhaupt wahrgenommen hatte; jedenfalls hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Doch diese immer wiederkehrende Ungewissheit entfachte sein inneres Feuer so wie ein Windstoß Flammen anzufachen vermochte umso mehr und immer wieder aufs Neue – Tag für Tag. Seither liebte er sie aus der Ferne; mutig und voller glücklicher Erwartungen an die Zukunft.
Gesehen hatte er sie seither nicht mehr. Doch seit diesem Tag war kein Tag vergangen, an dem er Sophie nicht angebetet hatte.
Friedrich war derart vertieft in seine Gedanken, dass er nicht bemerkte, dass sie Altenberghe schon lange hinter sich gelassen hatten. Der schlechte Zustand der Straße, auf der sie nun ritten, hatte ihn aus seinem Traum erwachen lassen, da sein Pferd einige Male zu straucheln drohte.
Adolf von Berghe senkte sein Haupt in aufrichtiger Trauer, als er bei ihrer Ankunft auf Neuenberghe vom Tod des Vetters erfuhr. „So viel haben wir im großen Kreuzzug zusammen gewagt und gelitten. Sein Leiden hat nun ein Ende, mein Junge.“
Versonnen und doch väterlich legte er seine Hand auf Friedrichs knochige Schulter.
„
Nun wird er vielleicht das Himmelreich Jerusalem schauen, während es ihm und mir bisher auf Erden nicht vergönnt war.“
„
Verzeiht, lieber Adolf“, nahm Dietrich den Faden auf, „auch wenn Ihr nicht Parteigänger im Welfenlager seid, ruft der neue König alle Edlen zum Kreuzzug ins Heilige Land. Es ist nicht zu spät, es noch einmal zu versuchen.“
Als Adolf seine Hand von Friedrichs Schulter nahm, musterte dieser den Großonkel. Adolf war ein angenehmer, wenn auch bestimmender Mensch. Und obwohl Adolf und Dietrich in unterschiedlichen Lagern standen, versicherten sich diese beiden Mächtigen ihrer gegenseitigen Wertschätzung.
„
Nein, Dietrich. Berghe hat mit Barbarossa gekämpft und steht den Staufern treu zur Seite. Für mich gibt es keinen Wechsel zu den Welfen.“
Seit den Zeiten Barbarossas zog sich diese Welfisch-Staufische Fehde durch alle Familien und Bünde im Reich. Zuletzt hatte der zehnjährige Königsstreit zwischen Philip von Schwaben und Otto von Braunschweig die Lande mit stetigen Unruhen überzogen. Ohne dass Friedrich es selbst ahnte, waren er und seine Sippe Teile genau dieses Streits, der sein Schicksal lenken sollte.
Doch hiervon ahnte Friedrich nichts, als er erstmals seit Jahren in seiner eigenen Kammer, in einem eigens für ihn hergerichteten Federbett auf Neuenberghe einschlief.
Heimat
Nach einem tiefen, wohltuenden Schlaf setzten sie früh ihren Weg nach Osten fort. Der Winter begann Auszug zu halten und die zarte Frühjahressonne schob sich bereits vor das Nachtdunkel. Durch dichte Nebel ritten sie durch das Bergische Land in Richtung des fruchtbaren Tales der Wupper nach Norden.
Der Tag näherte sich bereits dem Mittag, als sie das fruchtbare Wuppertal vor sich sahen und sie über die weiten Bergkämme des Bergischen Landes blickten.
Aus dem noch wintermatten Grau der Berge glitt ein junger Adler in das von jungen Blättern und zarten Tannenkleidern erhellte Tal hinab und zog unter dem klaren, blauen Frühjahrshimmel seinen Kreis. Er ließ den frischen Frühjahrshauch durch seine Schwingen streichen. Die Sträucher und Bäume schlugen ihre ersten Knospen und die von Obstbäumen gespickten Wiesen begannen sich, nun nicht mehr von der Last des Schnees gedrückt, zu erheben. Langsam gewannen sie noch zart ihr Grün zurück, damit es mit der Zeit satt werde.
Beiläufig, tief unter sich erblickte der Greif den langsamen Zug einer Gruppe Reisender zu Pferd. Direkt unter ihm aber im Übergang der Wiesenflächen in einen Wald, sah er eine Bewegung, die seinen Instinkt regte. Er veränderte seine Flugbahn in Richtung des dunklen Waldrandes.
Friedrich blickte zum blauen Himmel auf und sog die Luft seiner Heimat in sich auf. Die kalte Höhenluft mischte sich bereits mit warmen Luftschichten.
Über sich sah er einen jungen Adler, wie er zum Sturzflug über einem Wald ansetzte – wohl auf der Suche nach Beute.
Wenig später erreichten sie die Wupper. Reiher fischten darin oder kauerten an den Ufern, den steinernen Figuren gleich, wie sie Friedrich von der gerade im Bau befindlichen Kathedrale in Cölln kannte. An einer flachen Stelle überquerten sie den Fluss und ritten der Ruhr nordwärts zu. Nun dauerte es keinen halben Tag mehr, bis sie Isenberghe erreichen würden.
Dietrich atmete auf. Friedrich sah die Erleichterung in Dietrichs Blick und lachte still zu ihm herüber. Er war stolz auf seinen kleinen Bruder, der zäh und unnachgiebig den Kampf mit dem Sattel für sich zu entscheiden schien. Schritt um Schritt näherten sie sich den Heimatlanden.