Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg

Das Friedrich-Lied - 1. Buch - Henning Isenberg


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auf dem Bergkamm des Isenberghes entgegen. Friedrich hatte lange nicht mehr an diesen majestätischen Bau gedacht, wie er auf dem Rücken des Isenberghs thronte – ruhig und sicher. Hier fühlte er Heimat.

      3. Kapitel

      Es war still. Kein Mensch war auf der Burg zu sehen. Nur die Wachtposten auf den Wehren ließen regungslos ihre Blicke das Tal der Ruhr schweifen. Stille lag über der Weite jenseits des Flusses. Ein Bauer hatte seinen Ochsen vor den Pflug gespannt und versuchte den noch winterharten Boden für die neue Saat aufzubrechen.

      Im Dorf am Fuße der Burg empfingen die unsicheren Blicke der Bewohner die Ankömmlinge, als sie auf dem Nierenhoferweg vorbei an der Vogelschlacht in den kleinen Ort einritten.

      Oheim Dietrich grüßte die scheuen Gestalten, um ihnen die Furcht zu nehmen.

      „Geht Eurem Tagewerk nach. Wir kommen in guter Absicht“, rief er ihnen zu.

      Der Ort bestand aus einer Straße, die entlang der Ruhr verlief und einem Weg aus Richtung des Nierenhofes, über den sie gekommen waren, der auf eben diese größere Straße traf. Der Verbindungspunkt der beiden Straßen bildete so etwas wie den Dorfplatz, denn in dem Dreieck stand eine Eiche, die den Dorfkern markierte. Der Weg entlang der Ruhr war die Durchgangsstraße, die zum Fährhof über die Ruhr führte. Sie ritten um den Fuß der Burgberges in Richtung des Fährhofes. Auf dieser Seite befand sich der gewundene Aufstieg zur Burg. Im Vorbeireiten heftete Friedrich seine Augen an den vernachlässigten Übergang über den breiten Strom. Die Fähre war nicht mehr als ein ärmliches Floß und der Fährhofe eine morsche Hütte. Warum sind die Fähre und der Hof derart kümmerlich? wunderte sich Friedrich.

      Gräfin Mathilde kniete in der kleinen Burgkapelle und blickte in Richtung des Lichtes, welches durch den ochsenblutrot getünchten romanischen Fensterbogen eine gewisse Wärme erhielt. Noch zeichnete das spärliche Astwerk des Buchenwaldes, der den Burgberg hinauf wuchs, ein filigranes dem Himmel zustrebendes Liniengewirr auf den fahlen Pergamenthimmel. Sie wusste nicht, was mehr schmerzte, ihr Nacken und die Schultern oder ihr von Gedanken gequältes Haupt. Während sie ihren Blick zum Deckengewölbe hob, fasste sie sich an die Schulter und begann sie zu kneten. Sie war der Beileidsbekundungen der Ministerialen müde. Sie schütteten ihre eigene Trauer zu. Dem gemeinen Volk hatte sie den Zugang zur Burg bereits untersagen lassen. Die Untertanen kamen doch nur um einen ledernen Gürtel oder einen samtenen Umhang zu ergattern. In dieser Welt gab es keine echte Anteilnahme. Jeder war auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Ihr Kopf war leer und doch schmerzten ihre Schläfen, nach all den Tagen der Trauer und Verunsicherung.

      Ihre Augen folgten den zierlichen tiefgrünen Linien, um die sich Blattwerk im Wechselspiel mit kleinen Blüten rankte. Ja, auch draußen erwacht die Welt, dachte sie. Aber wie soll ich dieses Jahr nur überstehen?

      Der Tote, der den Altarraum der Kapelle füllte, war ihr fremd geworden. Die Haut in seinem Gesicht war grau und vom Salz gedörrt, wie ein Stockfisch. Dabei lag dort der Mann mit dem sie fünf Kinder hatte. Doch Arnold hatte sie verlassen!

      „Herrin“, einer der Eichenflügel der Kapellenpforte hatte sich einen Spalt weit geöffnet und Isabella die Kammerfrau der Gräfin wisperte vorsichtig durch den Spalt, „Reiter kommen. Es könnte Euer Bruder mit den Jungen sein.“

      Von draußen drangen Rufe an ihr Ohr. Mathilde straffte sich. Friedrich, endlich. Du wirst mir beistehen, mir die Bürde von den Schultern nehmen.

      „Einen Augenblick noch, Isabella. Ich komme.“

      Nimm dich zusammen, Mathilde. Nimm dich zusammen, wie du es immer gemacht hast. Eilig wechselte sie die Position und kniete vor dem Aufgebarten nieder. Flüchtig bete sie das Vaterunser herunter. Dann stand sie auf. Zum Abschied lies sie einen Blick über die sterblichen Überreste ihres Mannes schweifen. Dann verließ sie das Gotteshaus. Die Wachen hatten auf den Wehrgängen Aufstellung genommen und beobachteten die Reiter. Unruhe kam auf dem Wehrgang auf. Offensichtlich hatten die Wachen die Ankömmlinge erkannt. Als sie durch das hölzerne Torhaus in die Unterburg einritten, hatten sich die Wachsoldaten in einer Mischung aus Neugierde und grüßendem Anstand zu einem Spalier aufgebaut. Wild aussehende Kriegsknechte, schmutzige Laufburschen und füllige Mägde mischten sich dahinter zu einem bunten Gewirr. Zur linken Hand sah Friedrich die Zehntscheuer. Durch die geöffneten Türen und Fenster zwängten sich Menschen und riefen und winkten. Freuten sie sich etwa oder war es die schiere Schaulust nach einem öden Winter? Friedrich blickte nach rechts und sah Dietrich. Dieser schien ebenso ungläubig wie er selbst umher zu blicken. Über Dietrichs Profil hinweg sah er den Wachturm mit den Unterkünften der Mannschaften. Von den hölzernen Wehrgängen winkten, riefen und glotzen die, die keinen Blick aus dem Hof zu erheischen glaubten. Gestiefelte, kettenbewährte, barfüssige oder mit Holzpantinen gesegnete Füße zertraten den Boden im halb gefrorenen Schlamm der Unterburg. Lederne Hauben oder solche aus einfachem Leinen wippten auf und ab, wohl, dass ihre Träger einen Blick auf die jungen Herren von Altena zu Isenberghe erhaschten. Schließlich war irgendeiner der Reiter ihr neuer Herr. Keines der Gesichter, in das Friedrich blickte, kam ihm bekannt vor. Er fühlte sich verloren im Angesicht der gaffenden Menge. Furcht stieg in ihm auf. Oheim Dietrich hingegen schien das Gesinde völlig ungerührt zu lassen. Unsicher, als wünschte er sich dort hin, richtete Friedrich seinen Blick dem weißen Palas, unter dem ein Torbogen die Verbindung zwischen Unter- und Oberburg bildete, entgegen. Endlich hatten sie das Spalier verlassen und den Torbogen erreicht. Friedrich und auch Dietrich atmeten auf. Sie schauten sich an und lächelten einander erleichtert an. Im Hof der Oberburg waren ebenfalls Menschen, wenn auch wenige, versammelt. Endlich erkannte er die Gesichter. Da waren Aelred, der Knappe seines Vaters, Gundalf und Gerulf, die Zwillinge, Wilbold und Ortliv, der Augen wie ein Falke besaß. Daran erinnerte er sich, seit ihn der Vater, kurz bevor er nach Sankt Gereon gekommen war, mit auf die Jagd genommen hatte. Das einzige Mal und doch eine feste Größe in der Erinnerung an die Zeit mit seinem Vater. „Friedrich,… Dietrich“, hörten sie Kinderstimmen rufen, und schon hängten sich Kinderhände an die Steigbügel und Stiefel. Es waren Wilhelm und Gottfried, ihre kleinen Brüder, die versuchten, sie vom Pferde zu zerren. Dietrich sprang vom Pferd. „Ihr beiden!“ Vor Freude umarmten sich die fünf Brüder. Wo ist die Mutter?, dachte Friedrich. Warum ist sie nicht da? Gerade als er sich umschauen wollte, öffnete sich die Pforte zu Freitreppe des Palas. Er erkannte Isabella die Zofe seiner Mutter. Den Moment, den ein Pfau benötigte sein Rad zu schlagen, später, trat seine Mutter ins Freie und verweilte eine kurze Weile auf dem kleinen Plateau, um den Hof mit prüfendem Blick abzusuchen. Seine Mutter war eine große, stämmige Frau mit einem hübschen Gesicht. Als sie die Jungen erblickte, meinte er ein Lächeln über ihren Mund und ihre Augen huschen zu sehen. In würdiger Haltung stieg sie durch das Gehäuse der Freitreppe herab. Sie hatte die Vierzig noch nicht erreicht – doch war sie jetzt älter, als er sie von vor zwei Jahren in seiner Erinnerung hatte. Zwei Jahre war ich nicht mehr hier. Mathilde betrat den Burghof und näherte sich ihrem Sohn. Friedrich erschrak. Ihr blondbraunes, dichtes Haar war matter geworden und von einzelnen grauen Haaren durchzogen. Die Trauer und die Not hatten tiefe Gräben und schwarze Augenringe in ihr Antlitz gezeichnet. Aber das sah nur der, der sie genau anschaute. Doch diesen Blick gewährte sie nur wenigen, die sie ihrerseits nicht durch einen durchdringenden Blick in ihre geziemlichen Schranken wies. Immer schon, so lange sich Friedrich seiner Mutter erinnern konnte, ermahnte sie ihre Familie und sich selbst am meisten, Haltung zu bewahren. So kannte Friedrich sie. So hatte sie diesen zurückhaltenden Zug in ihre Familie eingepflanzt und so war er, Friedrich, nun selbst voll dieser äußeren Beherrschtheit, während er den inneren Sturm kaum im Zaume halten konnte. Dies war es, was er oft genug in sich verspürte, wenn er zurück schreckte, obwohl er voran gehen wollte. Die Kirchenjahre hatten dem mütterlichen Erbe seiner ersten sieben Lebensjahre noch das ihre hinzugefügt. Ahnungsvoll bemerkte Mathilde das Zögern ihres ältesten Sohnes und mutmaßte, dass es wohl den von ihr gesäten Gedankenschatten, geschuldet war. Ihre Strenge hielt sie für angebracht, so wusste sie nicht, dass eine liebende Hand eine Änderung im Wesen Friedrichs hätte hervorbringen können. Dabei war er ihr erster Sohn, ihr erstes Kind mit Arnold überhaupt. Everhard, der älteste Sohn ihres Mannes war nicht ihr Sohn gewesen.


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