Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg
von ihrer Arbeit abließen und sich vor dem Sarg verneigten.
Scheinbar, so dachte Friedrich, haben sie den Vater geachtet. Aber warum muss ich ihn so entwerten, den Vater? Ist es die Angst vor dem eigenen Verderben, die ich fort schieben will? Ist es das Gefühl der Einsamkeit, das sein Tod hinterlassen hat? Oder ist es die Last, die ich seit der Nachricht von seinem Tod auf meinen Schultern spüre?
Ihm wurde bewusst: Nicht den Vater beklagte er. Nein, er selbst war es, den er betrauerte. Er schämte sich seiner selbstsüchtigen Gedanken. Doch es zog ihn hinaus in die Welt. Er konnte und wollte dies nicht vor sich leugnen.
Als sie den Hellweg erreichten, wendeten sie sich nach Westen und reisten auf der komfortablen Heer- und Handelsstraße weiter.
Von Bochum aus schickte Friedrich Gundalf zum Essener Stift, welches aus dem Essener und dem Werdener Kloster bestand, um ihr Kommen anzukündigen.
Gulda von Gerresheim, die Äbtissin, und ihre Mitschwestern, empfingen den Tross, als er gegen Abend in den Klosterhof einzog.
„
Seid gegrüßt, Herr.“
„
Seid gegrüßt, Schwester.“
„
Wir haben die Tumba in der Kirche“, dabei deutete sie die rechte aus der linken Hand lösend in Richtung des Gotteshauses, „hergerichtet. Dort könnt Ihr Euren Vater umbetten.“
„
Ich danke Euch, Schwester Gulda.“
„
Ihr könnt das Vogteizimmer Eures Vaters bewohnen, Herr Graf. Wollt Ihr es gleich oder später sehen?“
„
Nein, danke, später. Wir werden erst den Toten umbetten.“
„
Gut, dann sehen wir uns später.“ Gulda verbeugte sich und mit ihr die anderen Schwestern.
„
Ladet ihn ab und bringt ihn in die Kirche“, wieß Friedrich Aelred und die anderen an.
Als das Werk der Umbettung vollbracht war, richteten sie sich wie ihnen geheißen im Kloster ein.
Der Klosterbezirk bot einigen Komfort. Aelred, Wiebold, Gerulf und Gundalf konnten in der Unterkunft der Wachmannschaft nächtigen. Friedrich legte seine Habe in der Vogtei ab. Allerdings würde er hier kaum Zeit verbringen. Ihm allein Friedrich war es vorbehalten, die nächtliche Totenwache am steinernen Sarg in der Stiftskirche von Werden zu halten.
Erstmals, als er allein auf die steinerne Tumba, die seinen Vater barg, blickte, ließ er den Gedanken zu, dass der Tod auch zu ihm kommen konnte. Schneller als erwartet. So, wie er zu Everhard in dessen achtzehnten Jahr gekommen war. Er war jung. Doch, ... würde einst der Tod unweigerlich auch zu ihm kommen. Furcht ergriff ihn, ebenso wie ihn die Kraft verließ, die er stets allein dadurch gespürt hatte, dass der Vater da war. Sein Fall führte ihm die eigene Aussicht vor Augen. Wohin gehen wir, Vater? Wohin?
Kann ich mich des Lebens nicht einfach erfreuen!?“, er ließ beide Hände auf den Sandstein niedersausen, dass es nur so klatschte. Doch der große Sarg schwieg. Das dämmrige Licht, welches durch die Fenster drang, färbte sich silbrig und blau wie kalter Stahl, als der Mond aufging. Er kletterte hinauf und legte sich der Länge nach mit dem ganzen Körper, die Arme ausgebreitet, auf die große Truhe. So, als wolle er den Vater umarmen. Doch Friedrich spürte, dass weder der Sarg noch der gesamte Ort Leben verströmte. Nur unendliche Leere füllte die kalte Halle. Der Vater hatte ihn verlassen. Er, nur er, barg das Leben an diesem Ort.
Er wusste nun nicht mehr, ob er seinen Vater liebte. Natürlich liebte man seinen Vater. Aber Friedrich wusste nicht, ob ihm dieser Mann, über den er nun wachte, – ob ihm dieser Mann wirklich vertraut war.
„
Wer warst du, Vater, dass ich so traurig bin?“, flüsterte er zu sich. Er schwankte zwischen Hass darüber, dass Arnold ihn ohne einen Rat und Förderung, ohne ein Anliegen an ihn verlassen hatte, und Trauer, deren tieferen Anlass er nicht zu ergründen wusste.
Missmutig und schweigsam erwartete er am nächsten Tag am Tor des Klosters stehend – es war der letzte Sonntag im März des Jahres zwölfhundertneun, der Tag der Heiligen Cornelia – den Zug der Trauergemeinschaft, der ihnen von Isenberghe nachfolgte.
„Jeder Tod macht das Leben feiner und zarter“, begann Friedrichs Oheim, Adolf von Altena, der nun ebenfalls aus Neuss herbeigekommen war, die Totenmesse. Es waren viele erschienen – natürlich Dietrich von Cleve, der Friedrich und Dietrich hergebracht hatte, die Herren von Berghe, Altena, Arnsberghe, Tecklenbourg, zur Lippe und viele andere Grafen des Umlandes. Je nach Rang und Zugehörigkeit zu dem Toten ordneten sich die Reihen bis auf den letzten Platz der Kirche. Friedrich stand nahe bei dem Sarg, auf dem sich das Lichtspiel einer Birke traf. Wie von heiterer Melancholie angetrieben, warf sie durch die bunten Fenster des Querschiffes von draußen ihre eigentümlich munteren Schatten in das Innere. Die Darstellung des christlichen Kreuzes, der Weltesche Yggdrasil sowie das Wappen der Rose, das Zeichen der Gralslinie, verzierten den Ruhrsandstein der übermächtigen Tumba in vollendeter Handwerksarbeit.
Während Adolf die Totenmesse hielt, entrannen Friedrichs Gedanken beim Betrachten der feinen, kunstvoll verwobenen Formen immer wieder der eigentliche Zweck seines Hierseins. Trauer umfing ihn lediglich durch den getragenen Ton, in dem sein Oheim die Worte der Andacht sprach. Er schmiedete Pläne für seine Zukunft.
Als die Messe vorüber war, versammelte sich die Trauergemeinde im Innenhof des Konvents. Ein leichter Wind strich über den kleinen Platz, doch die ersten Sonnenstrahlen des Jahres wärmten die Gemeinschaft. Der Totenschmaus wurde gereicht und die verbliebene Gesellschaft verteilte sich in kleinen Grüppchen im Hofe. Die Menschen vertieften sich ins Gespräch, während August, der Spielmann, mit angemessen trauriger Miene die Harfe anschlug.
Friedrich betrachtete die Szenerie. Die Nähe zu dem Anlass ihres Hierseins fehlt ihnen, dachte er verächtlich, stattdessen wetteiferten sie um die trefflichste Neuigkeit aus der hohen Politik.
Trotzig schlenderte der junge Höfling zwischen den reich und farbig gekleideten Herren umher. In der Haltung, der Kleidung und den Gesichtern wog Friedrich, wen er hoch schätzte und wen nicht. Er bewertete. Von Cölln waren viele Geistliche in das Frauenkloster herüber gekommen. Wenig konnte er den Zurückhaltenden, Verschlossenen, den Verkopften, den scheinbar Unklaren, den Gebückten oder den schlicht Gekleideten, die vornehmlich unter eben diesen Geistlichen oder den Ministerialen zu finden waren, in seiner Rangliste zu Gute halten. Im Geiste schlug er drei Kreuze, dass ihm ein anderes Schicksal vorbehalten war.
Hingegen gefielen ihm die Entschlossenen, die Aufrechten, die Stolzen und die Furchtlosen. Er straffte sich und ahmte die Haltung dieser Männer nach. Eine Ausnahme, allerdings, machte er bei einem älteren, stattlichen Zisterzienserabt, dessen Namen er nicht kannte, der aber in einer Gruppe um Dietrich von Cleve und Adolf von Berghe stand. Friedrich kratzte sich ungelenk am Kopf und schlenderte hinüber.
„Der Welfe zieht nun durch die Lande, nachdem er zu Würzbourgh den Landfrieden beschlossen hat.“
Der Abt meinte den Welfenkönig Otto IV. von Braunschweig, der nun durch das Reich zog, um die Städte und Burgen auf den Landfrieden schwören zu lassen. Soviel hatte er am Clever Hof aufgeschnappt, dass er wusste, dass Otto von Braunschweig im Sommer zwölfhundertacht zu Francfourth zum König der Deutschen Lande gewählt worden war, nachdem sein Widersacher Philipp von Schwaben vom Grafen von Wittelsbach wegen eines Eidbruchs ermordet worden war.
„Er macht seine Sache nicht schlecht. Er lässt wenigstens seinen Versprechungen Taten folgen. Er macht den Menschen Hoffnung auf Schutz und sichere Zeiten. Den Räuberischen unter den Adeligen und dem Gesindel, das die Straßen unsicher macht, macht er den Garaus. So nimmt ein mancher Edelgeborene wieder den Pflug in die Hand. Und viele von denen, die nicht schwören wollen, findet man ohne Hosen vom Winde ausgedörrt am Galgen baumeln“, bestätigte Friedrichs bergischer Großonkel, Graf Adolf, der Bruder von Engelbert. Letzter war inzwischen