Das Friedrich-Lied - 1. Buch. Henning Isenberg
Überall setzte rege Bautätigkeit ein. Erzadern wurden gemutet. Städte erblühten im Schutze ihrer neuen, starken Ringmauer. Dem Adel verlieh er das Befestigungsrecht ihrer Burgen – vor allem in Sachsen und Schwaben. Denn Sachsen hatte wenige Städte und stand zudem unter der Regentschaft eines unsicheren Kandidaten – seines eigenen Bruders. Schwaben hingegen war Stammland der Staufer – des Erzrivalen. Hier wollte er den Adel durch Privilegien und den Aufbau der Städte für sich gewinnen. Denn die befestigten Flecken waren leicht zu beherrschen, während das Land kaum zu kontrollieren war und meist unter der Aufsicht eines eigenwilligen Edlen stand.
„Ja”, wandte Ado von Altena, Friedrichs feister Cousin, der noch auf der Stammburg der Familie residierte, ein, „das sieht alles ganz wunderbar aus. Nur frage ich, wo bleibt der Adel, wenn die Städte durch des Königs Unterstützung an Macht und Ansehen gewinnen? Er schmeichelt sich bei den reichen Kaufleuten, von denen er Geld erwartet, und beim Klerus, der ihn zum Kaiser machen soll, ein. Es geht hier nicht um Frieden oder Gerechtigkeit, es geht um den Hochmut des welfischen Anspruchsdenkens.”
Ado probiert sich aus in der Redekunst, musterte Friedrich seinen Vetter. Er will so reden wie die Gestandenen. „Es wird ihm heute nicht um das Geld der Bürger gehen“, wandte Simon von Tecklenbourgh überhart gegen den jungen Ado ein. „Er gründet Städte und privilegiert die Bürgerschaften, weil sie den Frieden garantieren können und wollen. Viele der Adligen sind zu Raufbolden und Tunichtguten verkommen, denken nur an Mehrung ihres eigenen Vorteils und nehmen die ihnen zugedachte Rolle im Reich nicht mehr wahr.“ Ado lief rot an und schluckte. Friedrich war der eigene Cousin, der sich gerade aufplustern wollte, unsympathisch. Schwach erinnerte er sich der ersten gemeinsamen Jahre auf Altena, wo sie beide das Licht dieser Welt erblickt hatten, bevor Arnold, Friedrichs Vater die Burg, die der ganzen Sippe zu eng geworden war, nach Isenberghe verlassen hatte. Er sah Ado, wie er schon damals danach trachtete, Gesinde und Vieh unter seine Knute zu bekommen. Auch Dietrich war nicht entgangen, dass der Pfeil Simons den aufbrausenden Jüngling getroffen hatte. Schnell ergriff er das Wort, bevor der erregte Ado Unheil anrichten konnte. „In der Tat, der König richtet alle Kräfte darauf, vom Papst in Rom die Kaiserwürde zu empfangen. Wie es heißt, beschwichtigt er auch den süddeutschen Adel durch seine Verlobung mit Beatrix von Staufen.“ Dietrich machte eine Pause. „Sicherlich verfolgt sein Handeln einen höheren, absichtsvollen Anspruch. Aber seht Ihr nicht, dass das Land nach mehr als zehn Jahren Krieg, den Frieden bitter nötig hat?” „Das ist recht“, sprach Adolf von Berghe, „doch geht der Frieden zu unseren Lasten. Die Position des Adels ist in Gefahr – das Geld, die Städte…“, pflichtete er Ado bei und wollte eine bedeutungsvolle Kunstpause einlegen. Als er sah, dass Ados wulstige Lippen beginnen wollten, Worte zu formen, setzte Adolf von Berghe seine Rede fort, während Ado verzweifelt und unwillig nach Luft schnappte. „… Und, im Süden mag es wohl so aussehen, als seien die Grafen befriedet. Doch sehe ich dort, dass der Zorn der Wittelsbacher und Andechser durch das Massaker, das der König in ihren Reihen für die Sühne am Mord Philipps, dem Staufer, angerichtet hat, nicht besänftigt ist.” Der mächtige Abt schmunzelte. Er hatte die Reizbarkeit Ados erkannt und begann seinen Spaß mit ihm zutreiben. „Warum, werter Graf, folgt Ihr dem König nicht zur Krönung nach Rom, um ihn im Reich zu stärken?!“ „Hin und Her“, sprang Simon von Tecklenbourgh, der die Ausbrüche Ado zu kennen schien, hastig ein, „endlich herrscht doch Klarheit. Es gibt einen König. Nach zehn Jahren. Der Welfe ist aus dem Norden. Einer von uns. Nach dem langen Krieg zwischen Welfen und Staufern haben wir jetzt die Gelegenheit, für unseren König zu streiten und die staufische und welfische Partei zu einen. Ja, es gilt den ewigen Widerstreit endlich beizulegen.” Simon und Dietrich versicherten sich ihrer, in dem sie sich einen kurzen Blick zu warfen. Friedrich stand im Rücken des jungen Ados und Adolfs von Berghe. Interessiert verfolgte er jedes Wort. „Der König hat den Klerus und Adel hinter sich. Er ist bald bereit, Deutschland zu verlassen, um in Rom vom Papst die Kaiserkrone zu empfangen. Sobald es meine Geschäfte erlauben, werde ich selbst nach Italien ziehen und Otto meinen Dienst erweisen.” Friedrich schnürte es den Hals zu und seine Ablehnung kippte. Sein Herr, der so voller Willen und Überzeugung sprach, der von Tatendrang und Heldenmut erfüllt war. Diesen Herrn, der nach Italien ziehen wollte, diesen edlen Herrn, seinen Oheim, wollte er begleiten. Das war es, wofür er die letzten zwei Jahre seiner Knappenschaft am Hof zu Cleve ausgebildet worden war. Sein Trotz war nun endlich der Begeisterung für die großen Weltenworte gewichen. Plötzlich jedoch erstarrte er. Sein Blick hatte die Augen Dietrichs gekreuzt und Friedrich bemerkte erschreckt, dass dieser ihn unvermittelt mit einem Blick wie ein Schwert bannte. Offensichtlich hatte Dietrich das Feuer, welches in seinen Augen loderte erkannt. Friedrich konnte nicht anders, als den Blick als einen schweren Verweis seiner unmäßigen Abschweifungen wegen aufzufassen. Er schämte sich seiner mangelnden Maze. Er schämte sich, sich nun scheinbar in nichts mehr heimisch fühlen könnend. Nicht einmal in der Andacht und Zucht, die noch vor nicht all zu ferner Zeit zum Inhalt seines Tagewerks zählten. Verschämt schlug er die Augen nieder und wandte sich von der Gruppe ab. Warum durfte er bei den Gesprächen der Herren nicht zuhören, geschweige denn teilnehmen? Eine Mischung aus Demütigung und Pein beschlich ihn. Zu allem Überfluss spürte er eine Hand auf seinem Haarschopf. „Wie groß du geworden bist, mein Junge!“ Friedrich entzog sich dem Übergriff und sah, dass es Adolf von Altena, sein Vaterbruder und anderer Oheim, neben Dietrich, war, der ihn so kindisch behandelte. Den meisten Erwachsenen reiche ich bis zum Kinn. Warum behandeln mich alle wie ein Kind?, dachte er verärgert. „Oh, Oheim Adolf“, entwich es seinem Mund und um nicht unhöflich zu erscheinen und seinen ablehnenden Gesichtsausdruck zu überspielen, fragte er schnell etwas, das ihm zuvor durch den Kopf gegangen war. „Wer,…, wer ist der große Abt dort drüben, Herr?“ „Das“, Adolf schaut mit einer langsamen Drehung des Hauptes zu dem Mönch hinüber, „ist Bernhard zur Lippe, der Abt im Kloster Marienfeld. Er war ein Fahrensmann der Welfen und war mit deinem Vater im Heiligen Land, bevor er nach dem Kreuzzug mit vielen anderen Herren Westfalens das Kloster gründete, in dem er nun Abt ist. Ein streitsüchtiger Geselle war er einst.“ Adolf rümpfte die Nase. „Ah, so“, unbeholfen nickte Friedrich, der Meinung, dass Adolf das Gespräch über Bernhard zur Lippe nicht vertiefen wollte, seinem Oheim zum Dank zu und stolperte weiter, als sich ein hoher Geistlicher, den Friedrich ebenfalls nicht kannte, mit einer einladenden Geste auf seinen Oheim zu bewegte. Er war froh, dem Oheim entronnen zu sein. Jeder Kontakt mit ihm war ihm unangenehm. Adolf war niemand, der es verstand, eine natürliche, menschliche Nähe herzustellen. Stets verspürte Friedrich zudem den Verdacht, dass sein Oheim wissen wollte, was er tue. Andererseits schien er selbst der einzige zu sein, der Mitleid mit dem abgesetzten Erzbischof hatte. Es ging dem Oheim nicht gut; das sah er seinem Vaterbruder an. Denn mit dem Tod des Staufers, Philipps von Schwaben, gehörte er zu den Verlierern des Umschwungs in deutschen Landen.
Vor seinem Wechsel zu den Staufern herrschte im Rheinland und in Westfalen Friede. Er, Adolf, war als Erzbischof die Stütze der Welfen gewesen. Klar, er wollte die erzbischöfliche Würde nicht abgeben. Doch nun hatte König Otto dafür gesorgt, dass der welfentreue Bruno von Sayn das Erzbistum bekam. Seither litt Adolf unter seiner Absetzung. Die Schmach war unerträglich für ihn. Doch sein Wechsel zum Staufer, Philip von Schwaben, hatte einen Keil in das Rheinland und auch Westfalen getrieben. Friedrich fühlte seine Zerrissenheit. Sein Vater war, wie fast alle weltlichen Fürsten, den Welfen treu geblieben. Daran hatte auch der Wechsel Adolfs nichts geändert. In der Familie war nur Adolf von Berghe zu Philipp von Schwaben gewechselt. Ansonsten stand Oheim Adolf allein da. Im Domkapitel allerdings hatten viele Amtsträger auf die Gunst des mächtigsten Kirchenfürsten im Nordreich, der Adolf als Erzbischof von Cölln lange Zeit gewesen war, gehofft und waren ebenfalls zu den Staufern gewechselt.
Friedrich verließ den Innenhof durch einen Torbogen und ging in den Klostergarten, der fast bis zum Ufer der Ruhr reichte. Er blickte auf ein Dorf auf der anderen Uferseite des Flusses. Es war zum Greifen nahe und lag malerisch verschlafen am Fuße des Bergischen Landes. Aus Süden, von den Waldbergen herunter, flutete die sanfte Frühjahrssonne in das Land und wärmte sein Gesicht, während es von den Waldschluchten und dem Flusse noch kühl zu ihm herüber drang.
Gibt es einen Zweifel? Hatte der Welfe die deutschen Lande befriedet, so tobte einzig hier am Rhein der Streit um das Erzbistum und teilte den Adel in Welfen und Staufer. Nein. Friedrichs Entscheidung war klar. Die Würfel liegen für die Welfen. Er musste als Weltlicher seinen