Der tote Prinz. Katherina Ushachov
schwitzte. Hitze staute sich unter ihrer unförmigen Metallrüstung genauso stark, wie unter den schadstoffabweisenden Membranen des Kommandozelts. Zu gerne würde sie ihre Leibsklaven rufen, sich in ihrem eigenen, wesentlich kühleren Zelt aus dem Panzer schrauben lassen und dann ein lauwarmes Bad nehmen.
Stattdessen beugte sie sich zusammen mit den anderen Frauen über eine in Kupfer geätzte Karte von Jundi und schob vorsichtig einen blauen, abgeflachten Stein bis vor die Stadtmauer. »An dieser Stelle ist die Mauer am dünnsten. Wir haben bereits erheblichen Schaden angerichtet. Dort patrouilliert niemand mehr regulär, die Gänge sind zerstört. Also sprengen wir uns dort durch. Ladys?«
Vizelady Nala beugte sich ihrerseits über die Karte. »Unsere Mineure brauchen Deckung. Wenn wir also dieses Manöver durchziehen wollen, sollten wir …« Sie schob einige kleine, weiße Steine über die Karte. »… einen Teil der Truppe hier angreifen lassen. Und nur die Schleicher folgen den Mineuren.« Sie stellte schwarze Steine um.
Alixena zwang sich, nicht zu gähnen. Das hätte Nala zurecht als Respektlosigkeit wahrgenommen, dabei war es nur ihre Müdigkeit. Seit dem gestrigen Tag hatte sie kein Feldpaket mehr von Gero erhalten und wusste somit nicht, wie es weitab von der Front – zu Hause – aussah. Das raubte ihr den Schlaf und die für diese Schlacht so dringend nötige Konzentration.
»Wir könnten eine weitere Gruppe Mineure über den alten Wadi schicken und sie im Süden der Stadt sprengen lassen. Oder abwarten, ob unsere Spione uns eine undichte Stelle bei den Hügeln melden.« Vielleicht ließ sich der Angriff noch so lange hinauszögern, dass sie ihre Feldpost bekam. Vielleicht war endlich ein Taschentuch von Gero darunter. Mit dem letzten Tuch, das sie erreicht hatte, wischte Alixena sich den Schweiß von der Stirn und blickte dabei auf das Ornamentalmuster aus roten, grünen und blauen Kreuzen. Für die einen ein Taschentuch, für sie ein ausführlicher Bericht über das Leben an ihrem Hof und das Wohlbefinden ihres Mannes und ihres Kindes.
Vizelady Thekla nickte. »Diesen Trupp werde ich befehligen, wenn Mylady es erlaubt.«
»Ich erlaube es.« Die Kopfschmerzen, bedingt durch die stickige Luft und die Hitze, wandelten sich von drückend zu pochend und sie war sich nicht sicher, was schlimmer war. Erneut starrte sie auf das Taschentuch und las die Codezeilen, als wären sie in Plain geschrieben.
Geliebte Alix. Dario entwickelt sich auf das Prächtigste, er hat bereits angefangen, den Apfelbrei zu essen, den die Knechte zubereiten und er mag es, den Sklavenkindern beim Spielen zuzusehen. Bis du wieder hier bist, fängt er noch an, Fleisch zu essen und mit ihnen zu rennen. Der junge Mann, der im Palast angefangen hat, macht sich unentbehrlich und ich wüsste nicht, was ich ohne Felix tun sollte. Er ist mir eine Stütze in allen Belangen des Haushalts. Ich wünsche dir einen schnellen Sieg über unsere Feindinnen und kann es kaum erwarten, meine Lippen andächtig auf deine Stirn zu drücken. Immer dein, Gero.
Ein harmloser Brief – wieso war sie dann so besorgt? Sie verstand es nicht. Aber sie hatte keine Zeit – und konnte die Schlacht nicht länger aufschieben.
»Dann haben wir unseren Angriffsplan, meine Ladys. In einer halben Stunde sollten unsere Spione zurück sein, bis dahin haben eure Einheiten marschbereit zu sein.«
»Aye, Milady.« Die zwei Frauen salutierten und verließen das Kommandozelt.
Alixena schaffte es, in der umständlichen Rüstung ihre Arme zu heben und mit den Fingerspitzen ihre Schläfen zu massieren. Sie musste dringend in ihr eigenes Zelt und dieses hier entlüften lassen. Hastig zog sie sich den Helm mit integriertem Mundschutz über den Kopf und verließ den Kriegsrat.
So früh am Morgen war es noch kalt und die kostbaren Sichtgläser ihres Helms beschlugen augenblicklich von innen. Nahezu blind, taumelte sie in die Richtung, in der sie ihr Zelt vermutete – und hatte das Glück, dass einer ihrer Sklaven sie am Ellenbogen fasste und in ihr Zelt eskortierte.
Erleichtert nahm sie den klobigen Helm wieder ab und löste die Scharniere an der Rüstung zumindest so weit, dass ihr Körper etwas Luft bekam. Erst dann erinnerte sie sich daran, dass Lue – ihr ältester Sklave – vermutlich nicht zufällig vor dem Kommandozelt auf sie gewartet hatte. »Was gibt es? Ist die Feldpost gekommen?« Sie bemühte sich, weder zu besorgt noch zu ungeduldig zu klingen.
»Meine Lady, ich kann kein Plain lesen, aber das ist nicht die Handschrift von Lord Gero.« Lue verbeugte sich und reichte ihr einen in dünne, graubraune Plastikfolie geritzten Brief.
Sie nahm ihn entgegen. Ihre Hände zitterten. »Von wem ist er dann?« Die Schrift wirkte seltsam kindlich, als hätte jemand den Brief verfasst, der erst als Erwachsener gelernt hatte, zu schreiben.
Mylady Alixena Lue Lue, hier schreibt Ihr untertänigster Knecht Felix M’nan. Lord Gero Lue ist gestern Nacht überraschend in das Haus der Nachtkönigin eingezogen, möge er an ihrer Tafel speisen. Lord Dario ist wohlauf, das Haus Lue jedoch in hellster Aufregung. Sofern Sie an der Front entbehrlich sind, bitten wir alle demütigst um Ihre Rückkehr. M’nan
Hätte die Rüstung sie nicht gestützt, wäre Alixena zu Boden gegangen.
2. Felix
»Es ist wirklich beängstigend, was man mit einem hübschen Gesicht alles erreicht, nicht wahr, Narzissa?« Er lächelte seine eigenen Gesichtszüge im Spiegel an.
»Ja, Felix.«
Er war sich nicht sicher, ob der Spiegel ihn wirklich verstand oder lediglich darauf programmiert war, auf »nicht wahr?« mit einer Bestätigung zu antworten. Aber es war ihm egal. Er hielt den winzigen Dario im Arm und starrte auf das schlafende Babygesicht.
Es wäre so einfach, den Jungen zu töten. Er musste ihn nur versehentlich fallen lassen, das allein würde genügen, um sein zartes Genick zu brechen. Wie ein Unfall würde es aussehen. Man würde Verständnis haben. Als oberster Knecht des toten Lord Gero, war Felix einfach von seinen neuen Pflichten als Ersatzvater überfordert. Er nickte im Gehen ein. Einem Mann – und somit einem ohnehin niederen Geschöpf – würde man Nachsicht entgegenbringen.
Irgendetwas hielt ihn jedoch davon ab. Vielleicht das Gefühl, dass der Kleine ihm lebend mehr nutzen würde als tot. Vielleicht auch bloß, dass das Kind ein hübsches Gesichtchen hatte. Und er mochte es nicht, schöne Dinge kaputtzumachen.
Felix legte Lord Dario wieder in seine Wiege und zog die