Der tote Prinz. Katherina Ushachov
ergriff den einzigen Beruf, der einer Geflüchteten wie ihr, einem weißen Raben, überlassen wurde: Müllsammlerin.
Sie seufzte. Wenigstens ihrer Tochter wollte sie ein besseres Leben ermöglichen, aber das Mädchen war … zu gut. Zu unabhängig. Zu frei. So, wie sie in ihrem Alter gerne gewesen wäre, statt hart und gemein sein zu müssen, um zu überleben. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte.
Wenn es dunkelte und sie sich zur Ruhe begab, sah sie immer noch den Jungen vor sich, der nur ihretwegen unter Bergen aus Müll begraben worden war. Nur, weil sie in Gegenwart der Gruppe nicht zulassen durfte, dass er die Truppe bestahl.
Sie hatte ihn getötet. Wegen einer Glasscherbe. Eine Schuld, die für immer auf ihr lastete.
Sie fuhren seit zwei Tagen durch die trostlose Landschaft und die ganze Zeit über starrte ihre Tochter aus den Fenstern. Sogar wenn sie eigentlich abgedunkelt waren. Es erstaunte sie immer wieder, wie viel Schweigen man in eine mehrtägige Fahrt mit dem Dampfmobil legen konnte.
Elessa sprach kein Wort mit ihr, solange sie unterwegs waren. Weder während der Pausen in den Gasthäusern, wo ihre Fahrer den Treibstoff erneuern konnten, noch bei der Ankunft in der Hauptstadt von Lue.
Nicht, dass sie ihrer Tochter viel zu sagen gehabt hätte. Das Wichtigste wusste das Mädchen und der Rest … Aino war zu angespannt, um Elessa und damit sich selbst durch nichtige Gespräche zu beruhigen. Das war nicht das, was ihr lag.
Dafür schaute sie sich – unauffällig – genauso neugierig um, wie auch das Mädchen. Sie hatte zwar den Fuß schon öfter auf Lueland gesetzt, aber die Hauptstadt selbst oder gar Lue-Schloss nie betreten.
Knechte führten sie bei ihrer Ankunft in einen Baderaum, der so lächerlich luxuriös war, dass Aino sich sicher war, dass er nie benutzt wurde, außer, um Besucherinnen wie sie einzuschüchtern.
Das Wasser fiel, einem natürlichen Wasserfall nachgebildet, scheinbar aus einer Felsspalte über ihren Köpfen in ein weitläufiges Bassin aus schwarzem Granit, erhellt nur von einigen Petroleumlampen. Trotzdem fand Aino schnell die versteckten Regler, mit denen sie die Wassertemperatur anpassen konnte. Das bedeutete, dass sie auch noch Metallstäbe zur Erhitzung nutzten. Zu fortgeschrittene Technologien, um wirklich täglich genutzt zu werden. Zu verschwenderisch, zu teuer.
»Du musst aufpassen, Elessa. Aufpassen.«
Das Mädchen nickte nur. Es lernte schnell.
Nichts Überflüssiges sagen. Keine falsche Bewegung machen. Weder die Knechte noch die Mägde sehen lassen, was man wirklich dachte und fühlte, wenn man nicht will, dass deren Herrin es erfuhr.
Gleichzeitig hoffte sie, dass gerade die Frische und Jugend Elessas ihr Trumpf war. Die Zwänge der Diplomatie hatten sie noch nicht verbogen.
»Komm. Ziehen wir unsere besten Sachen an.« Ganz bewusst ließ sie die Worte fallen, damit die neugierige Magd sie weitertratschen konnte. »Die Lue sollen sehen, dass wir sie ehren.«
Elessa nickte nur. Als würde sie selbst noch nach der Fahrt nicht mit ihr reden wollen, als wäre sie wütend auf sie.
Innerlich seufzte Aino. Sie konnte sich später mit den merkwürdigen Gedankengängen einer Jugendlichen auseinandersetzen. Fürs Erste musste sie geistig dafür gewappnet sein, Lady Alixena Lue Lue gegenüberzutreten. Mehr als alles andere galt es, endlich den Krieg zu beenden, den sie selbst einst angezettelt hatte.
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