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sie zum Zwecke ihrer Demonstration ein- oder zweimal in seinem Leben nachdrücklich brechen dürfte?

      Es kam in der Gestalt meines Stiefvaters Alois Tüller, den ein wohlmeinendes Schicksal auf die Bildfläche zauberte wie das Kaninchen aus dem Zylinder.

      Welche Art von Verbrecher, fragen Sie? Ein Politiker … natürlich, was sonst …

      Meine Mutter hatte sich irgendwo zwischen den Bayrischen Alpen und Mailand von ihm scheiden lassen – die übliche Schnapsidee, denn wegen seiner Sesshaftigkeit hielt sie es nur ganze drei Wochen mit ihm aus. Das veranlasste ihn immerhin, sofort eine tiefe erzieherische Verpflichtung zu verspüren und sich meiner anzunehmen.

      Eines Tages stand er im Schwesternzimmer des schäbigen vierstöckigen Waisenhauses, in das man mich mangels anderer Möglichkeiten verbracht hatte, und seine ersten Worte an mich waren:

      „Junge, du brauchst eine starke Hand. Jemanden, der dir zeigt, wie es zugeht in der Welt. Das Lotterleben ist vorbei.“

      Damals begann eine harte Zeit für mich. Hart, an meinen eigenen unausgegorenen Wünschen und Vorstellungen gemessen, aber genau jener Eimer Wasser, der wie eine kalte Dusche wirkte und mir die letzten Flausen nahm. Ich war erst ganze zehn Jahre alt.

      Dieser Fellow aus Braunau am Inn hatte sich eben zum Reichskanzler gemausert, und mein Stiefvater Alois schloss sein kleines Parteibüro in der Münchener Friedrichstraße, weil sein politischer Instinkt ihm sagte, dass der Braune es mit Drohungen, Überredung und Terror leicht bis zum totalitären Einparteienstaat bringen würde. Vielleicht, weil zwischen den beiden eine Art Wesensverwandtschaft herrschte, die es ihm erlaubte, viel klarer vorauszusehen, was passieren würde als dem Durchschnittsbürger.

      Er sagte: „Der Bursche ist ein noch durchtriebenerer Gauner als ich, Samuel.“ (Untereinander sprachen wir immer ganz offen.) „Hat man jemals einen größeren Wegelagerer in der Weltgeschichte gesehen? – was für ein ‚Hinterpfotz’, was für ein grandioser Raubritter … !

      Nach dem Studium von „Mein Kampf“ war er zu der Überzeugung gelangt, der fahnenschwingende Anfang und Auftakt läute zugleich das politische Ende des tausendjährigen Reichs ein, denn eine so große Hammelherde halte nie länger als bis zum nächsten Gewitter zusammen.

      Daraus zog er den bemerkenswert prophetischen Schluss, dass bald schlechte Zeiten anbrechen würden – und so begann er mit dem Hamstern schon, als man gemeinhin noch an den Endsieg glaubte.

      Er betrieb in seinem ehemaligen Parteibüro ein Leihhaus, wo man Schmuck, optische Geräte, Pelze und andere Wertsachen gegen ein zu verzinsendes Darlehen hinterlegen konnte. Meist war ihr Wert weitaus höher als der ausgezahlte Betrag. Also besaß mein Stiefvater ein verständliches Interesse, die Pfänder nicht wieder herauszurücken.

      Unser Verhältnis war bald zu so vortrefflicher Arbeitsteilung gediehen, dass ich im langen, graublauen Kittel hinter der Theke stand, Pfänder schätzte und Pfandzettel ausschrieb, während mein Onkel sich bemühte, diese Quittungen („Ohne Pfandzettel keine Herausgabe des Pfands!“) auf allen nur erdenklichen illegalen Wegen wieder zu beschaffen. Sie müssen sich das bildlich vorstellen, gnä‘ Frau:

      Ich, ein hübscher Knirps – noch ohne jeden Bauchansatz und verlängerte Stirn–, wie ein kleiner Gott, der über das Wohl und Wehe ganzer Familien entschied, hinter der Theke aus genageltem Eisenblech … und davor schwitzende, überschminkte, mit Schmuck behängte, in Pelze gekleidete Damen jenseits des besten Alters, denen die Peinlichkeit aus beiden Augen sah, weil sie mit dem Haushaltsgeld ihrer Ehegatten wieder einmal nicht zu Rande kamen.

      Denn es waren selten arme Leute, die uns aufsuchten. In den gehobenen Kreisen ist Sparsamkeit ein erstes Anzeichen wirtschaftlichen Verfalls. Also lebte man gern über seine Verhältnisse.

      Es kam zu jammervollen Szenen (und obszönen Angeboten, auf die ich hier nicht näher eingehen will), wenn ich, wie mir mein Stiefvater aufgetragen hatte, keinen Pfennig mehr als ein Viertel des echten Wertes herausrücken wollte. Manch eine der Damen warf dann ihren kostbaren Pelz auf den Boden, trampelte wutentbrannt darauf herum. Und einmal passierte es sogar, dass eine dabei ihr Pfand vergaß, eine kostbare goldene Taschenuhr mit eingelegten Silberornamenten – und niemals wiederkam … Ich hebe sie noch heute im Schreibsekretär meines Hauses drüben am Ottawa River auf, obwohl ihre Feder längst gebrochen ist.

      Mein Stiefvater ging derweil seiner eigenen Arbeit nach: Er verfolgte sein Opfer, das eben die Pfandleihanstalt verlassen hatte, bis zur Tram, zum Zug oder ins Gedränge des Marktes und wartete dort den günstigsten Moment ab, an dem er sich des Pfandscheins bemächtigen konnte.

      Er entwickelte in diese Tätigkeit bemerkenswertes Fingerspitzengefühl.

      Einmal demonstrierte er mir, dass es möglich sei, ein Stück Papier aus der Innentasche eines Jacketts oder Mantels zu ziehen und dabei gleichzeitig mit der anderen Hand das Portemonnaie des Opfers von der rechten Außentasche in die linke zu manövrieren.

      Ein rechter Jongleur, dieser Alois Tüller. Ich denke noch heute mit großer Bewunderung an seine Kunststücke zurück, wenn sie sich auch etwas außerhalb der Legalität bewegten. Mein am häufigsten ausgesprochener Kommentar hinter der Theke war denn auch:

      „Keine Rückgabe ohne Pfandzettel …!“

      Und zum Beweis legte ich dann immer ein Blankoformular des Pfandscheins vor, auf dem diese Bedingung deutlich und in gesperrter Schrift hervorgehoben war.

      Fasst man alles zusammen, hochverehrte Frau Doktor – die Betrugsmanöver meines Stiefvaters, den Mord und Selbstmord meines Onkels, die Kriegsverbrecher in seiner Veteranenpension –‚ so sieht man doch, dass ich schon sehr früh mit den wahren Realitäten des Lebens konfrontiert wurde – dass mein Blick geschärft wurde für das, was die Welt im Innersten zusammenhält; die Gier nach Besitz, nach Macht und Ansehen, nach Rache …

      In meiner jugendlichen Seele jedenfalls sind dies die Fixpunkte, die großen Beispiele, denen sich später noch zahllose kleinere zur Bestätigung beigesellten.

      Ich wurde nicht etwa selbst zum Verbrecher, sondern beschloss stattdessen, die Holzwege des menschlichen Lebens zu beschreiben. Die Katastrophen und Endpunkte. Die Sackgassen. Ein ehrenwertes Anliegen, wie Sie mir zugestehen werden. Weitaus ehrenwerter jedenfalls als der „Zehnfache Mord im Orientexpress“ oder irgendeine andere, bloß aus den Fingern gesogene kriminelle Abstrusität.

      8

      Kein Mensch, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, schreibt vor dem fünfunddreißigsten Lebensjahr einen Roman, der literarisches Gewicht beanspruchen könnte.

      Das ist, wie uns die Branche versichert, eine Faustregel, und man kann daran ermessen, dass ich, als ich mit neunundzwanzig Jahren „Gelber Flachs“ schrieb, meiner eigenen Entwicklung um mehrere Jahre voraus war.

      Es bedeutet aber nicht, ich hätte damit auch – wie der Staatsanwalt aus meiner Biographie herauslesen will –‚ frühreif und in einer Art nachpubertärem Schub, meinen Seelenhaushalt so weit ruiniert, dass ich nun, im Alter von vierundsechzig Jahren, aus literarischer Unzulänglichkeit einen siebenfachen Mord begehen würde – nach annähernd derselben Zeitspanne übrigens, die ich brauchte, um literarisch flügge zu werden!

      Diese Art von Zahlenmystik bleibt mir wohl für immer verschlossen – und Ihnen hoffentlich auch, gnädige Frau.

      Ebenso gut könnte man argumentieren, ich hätte sieben Verleger im Alter von neunundvierzig Jahren ins Jenseits befördern müssen, denn sieben mal sieben ist bekanntlich neunundvierzig. An den Haaren herbeigezogen?

      Nun, das ist das Wesen solcher Zahlenspiele. Wenn man mir überhaupt eine Schuld anlasten kann, dann ist es die der literarischen Urheberschaft.

      Dass ich jeden der Morde en detail beschrieben habe, dass sich der Täter daran hielt wie an eine gute Gebrauchsanweisung, jagt mir und Ihnen einen berechtigten Schauder nach dem anderen über den Rücken.

      Gewiss, „Werthers Leiden“ diente als Vorlage für


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