Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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hängende Gebirge. Rechts versperrte ein schweres eisernes Gitter den Eingang in einen geräumigen Felsenraum, der vor langer Zeit die Schlosserei oder auch Werkstatt beherbergte. Die alte Werkbank mit den klobigen Schraubstöcken zeugte davon.

      Der Omniscientis bestieg die Grubenbahn, die nichts mehr mit der gemein hatte, die in der Vergangenheit hier verkehrte. Heute stand hier ein schnittiges Hightech Produkt mit einem leistungsstarken Elektromotor. Die Steuerung erfolgte automatisch über ein Paneel, auf dem Leuchtdioden, die jeweilige Funktionen anzeigten. Er wusste, dass die Bahn heute schon mehrfach auf dieser Strecke verkehrte. Und zwar nicht zum Personentransport, sondern um Ware zu transportieren. Die Maschine fuhr fast lautlos.

      Einmal im Jahr trafen sich die Mitglieder des Bundes hier: Unter Tage. Der Eingang in die Zeche gehörte offiziell einem Konsortium unbekannter Geldgeber und wurde privat instand gehalten. Die Unterlagen dazu existierten in Ämtern und Behörden nicht mehr. Die Villa auf dem Grundstück gehörte dem Namen nach zum Familiensitz der Fabrikanten Oppenhof.

      Nur wenigen war es vergönnt, die Zugfahrt auf der ersten Sohle, in Anspruch zu nehmen. Vom dritten Keller des Haupthauses führte der Stollen mit leichter Neigung ins Erdinnere und stieß auf die Felshalle, von der es in die Hauptstrecke ging. Dieser Eingang blieb allein dem Omniscientis vorbehalten, also ihm.

      Während im früheren Aachener Kohlerevier die Schächte senkrecht abgeteuft wurden, besaß diese alte Grube eine andere Geschichte, die fast so alt war, wie die Menschheit. Schon in der Steinzeit fanden die Menschen hier Kohle und nutzten sie. Im Verlaufe der Jahrhunderte gruben sie in die Erde. Viele kleine Höhlen in dieser Gegend zeugten davon. Aber genau hier musste wohl ein findiger Erdenbürger auf ein ergiebiges Flöz gestoßen sein.

      Seit dem Mittelalter lag ein Fluch über diesem Loch, und der Eingang in die Erde wurde zum Tor in die Hölle. Niemand, der in den Berg hineinging, kam jemals wieder.

      Im achtzehnten Jahrhundert schien der Fluch gebrochen. Ein Fremder stolperte zufällig in den Schacht und fand eine unbestimmte Anzahl von Personen, die scheinbar schliefen. Doch sie waren tot. Panikartig verließ er den Stollen und erzählte den Menschen, denen er begegnete, die unglaubliche Geschichte. Die Dörfler trieben zunächst zwei Ziegen in den Berg, die nach einiger Zeit wohlbehalten wiederkehrten. Sie räumten die Kohleflöze leer. Bis der Höllenschlund wieder zuschlug. Eine Explosion erschütterte Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Gegend. Viele Bergleute blieben tot und die Zeche wurde geschlossen. Der alte Aberglaube lebte wieder auf. Das Grundstück verwilderte, bis auf eine kleine Fläche mit einer Holzhütte, nahe dem Schacht. Hier lebte zu jener Zeit der Schmied der Gegend, dessen Erben, aufgrund seiner genialen Geschäftsidee zu Nadelfabrikanten aufstiegen. Wann letztendlich das Steinhaus gebaut wurde, ging nicht genau aus den Überlieferungen hervor. Jedoch entstand mit den Jahrzehnten, einige Meter davon entfernt, die heutige Villa.

      Der Stollen geriet in Vergessenheit, bis die Franzosen unter Napoleon Bonaparte die Gegend besetzten. Was damals niemand wusste, war, dass ein Methangaseinschluss, der mittlerweile über eine andere Ableitung ausströmte, für die vielen Unglücke der Vergangenheit verantwortlich zeichnete.

      Die Schmiede verschwand mit der Zeit. Dafür wuchs in Aachen die Nadelproduktion zu einem Fabrikkomplex. Bescheiden nach heutigen Maßstäben.

      Bevor die Franzosen in das Gebiet einfielen, brachte der damalige Patriarch Theodor Oppenhof seine und das Habgut seiner Nachbarschaft in Sicherheit. Damit entgingen sie den Plünderungen, die bei einer Besetzung unweigerlich erfolgten. Nach Abzug der Franzmänner blieben die Schätze verschwunden. Von dem Stollen wussten die Mitbürger um Oppenhof nichts mehr. Das blieb bis heute so. Aber wenn die Zeiten kritisch wurden, sammelten die Oppenhofs bei den Nachbarn, was denen lieb und wert war, ein. Die Wertgegenstände verschwanden von der Erdoberfläche, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Menschen vergaßen und wenn Bedenken kamen, schoben sie, sie in den hintersten Winkel ihrer Gehirne. Was blieb, waren die Grundmauern der Schmiede, die heute, die Wände eines Gartenhauses trugen.

      Seit 1945 fand das siebzigste Treffen des Bundes statt, und zwar, knappe vier Kilometer von der Villa entfernt in einhundertzwanzig Meter Tiefe. Den anderen Teilnehmern blieb die Zugfahrt verwehrt. Der Omniscientis lächelte. Die Überraschung und das Grauen würden auf seiner Seite sein.

      Die Adepten fuhren von einem alten Fabrikgelände, dessen Gebäude unter Denkmalschutz standen, über den Hauptschacht ein. Ein gemeinnütziger Verein erhielt die Schachtanlage als Heimatmuseum. Überirdisch wurden Relikte aus der alten Zeit ausgestellt und in einem ebenso über der Erde gelegenen Lehrstollen, die Arbeitsbedingungen dargestellt. Zu welchem Zweck der Verein tatsächlich diente, blieb verborgen. Die Seilfahrt geschah in vier Etappen über den Hauptschacht, der ursprünglich neunhundert Meter in die Tiefe ging. Jetzt fuhr der Korb, zu Demonstrationszwecken gerade mal dreißig Meter in die Tiefe. In dieser Höhe wurde der Hauptschacht nach Schließung der Grube mit einem dicken Betonpfropfen verschlossen. Niemand wusste um die drei Blindschächte. Sie lagen, um je zweihundert Meter vom Hauptschacht versetzt und führten weiter in die Erde. Die Körbe, in den verborgenen Schächten, wurden über Seilhaspeln hinuntergelassen. Eine abenteuerliche Fahrt, weil die Holzführungen rechts und links, sich im Verlaufe der Zeit verzogen. Es hakelte und ruckelte, wenn der Korb nach unten glitt, aber auch heute noch, eine sichere Angelegenheit. Am Ende des dritten Blindschachts gelangte man in eine große Halle. Deren Wände zwischen den Eisenstempeln, die das Gebirge stützten, wiesen gemauerte Backsteine auf. In diesen Raum gab es mindestens zwei Zugänge. Der von oben durch den Schacht und den von … ja woher? Niemand der fünfzehn Anwesenden wusste es. Sie saßen schweigsam um den riesigen runden Tisch und warteten. Die kleine Gesellschaft trug weiße Roben, die Körper und Gesicht verbargen. Die Runde glich den Rittern des Ku-Klux-Klans. Auch sie verwalteten ein unsichtbares Reich.

      Die aufwändig verzierten Leuchter an den Wänden und der Decke, der circa fünfhundert Quadratmeter großen Halle, sandten gedämpftes elektrisches Licht in den Raum. Sie dienten gleichzeitig als technische Multifunktionsgeräte. Jedes gesprochene Wort wurde mitgeschnitten. Temperaturfühler lieferten Rückschlüsse über die emotionalen Reaktionen, der Teilnehmer. Niemand ahnte etwas davon. Der Boden wurde von einem dunkelroten flauschigen Belag bedeckt. Das gleiche Material, das einen Teil der Wände verbarg.

      Ein leises, kaum hörbares, akustisches Signal schickte einen Ruck durch die Gesellschaft. Spannung lag wie eine Glocke im Raum.

      Aus dem Nichts trat die Person aus der Wand, auf die sie warteten. Die Robe des Omniscientis ging einen Stich ins Elfenbeinfarbene, was zur Unterscheidung schon genügte. Gemessen schritt er die Teilnehmer ab und versank einen Augenblick in deren Augen. Der Omniscientis trat zum freien Stuhl und nahm Platz.

      »Brüder. Die Zeit läuft uns davon. Wir müssen unsere Bemühungen verstärken.«

      *

      Drei

      Peter Brock wurde achtzehnjährig auf dem Schulhof angesprochen. Es waren noch wenige Wochen zum Abitur. Er besuchte die Gesamtschule in Geilenkirchen. Der große schlaksige Junge überragte die meisten seiner Mitschüler. Das halblange lockige Haar wehte leicht im Wind. Die graugrünen Augen, in dem noch unfertigen Gesicht, sahen dem Lehrer entgegen, der nicht in seinem Jahrgang unterrichtete. Im Alter lagen sie wahrscheinlich weniger als zehn Jahre auseinander.

      »Hallo Peter. Mein Name ist Stefan Roth. Ich unterrichte Deutsch in der zehnten Klasse.«

      »Ich weiß. Ich habe Sie schon mehrfach gesehen.« Der große, schlanke Junge stand abwartend vor der Lehrkraft und wartete darauf, was wohl geschah.

      Stefan Roth nickte. »Du bist mir aufgefallen und deshalb zog ich einige Erkundigungen über dich ein. Was ich hörte, gefällt mir. Ich möchte dich einladen, und zwar zu einem Konvent.«

      »Ich studiere noch nicht. Der Konvent ist doch wohl die Versammlung von Studenten in einer Verbindung?«

      »Ja. Du hast recht. In besonderen Fällen werben wir unsere Mitglieder sehr früh in den Schulen. Vor allem, wenn sie so vielversprechend sind, wie du.«

      Peter nahm das Kompliment gelassen. Er wusste, dass er gut war. »Erzählen


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