Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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sich mit der ›Kultur‹ des Verbindungsstudententums, den Eigenheiten seines Verbandes und den Traditionen seiner Verbindung vertraut zu machen. Dies dient der Vorbereitung auf die Zeit als Vollmitglied, in der er meist sofort Ämter übernimmt und die Verbindung nach außen repräsentiert. Auch sind die jungen Vollmitglieder die wichtigsten Entscheidungsträger in einer Verbindung. Hierauf werden sie bereits als Füchse vorbereitet. Das habe ich vor einiger Zeit gegoogelt, als ich mich zum Studium entschied.«

      »Das ist gut und erleichtert mir die Sache, wenn du schon vor der Hochschule Interesse zeigst. Also werde ich mich kurzfassen: Der Verantwortliche für die Ausbildung der Füchse ist der Fuchsmajor. Die theoretische Unterweisung erfährt der Fuchs in den wöchentlich stattfindenden Fuchsenstunden, die durch den Fuchsmajor abgehalten werden. Inhalt der Fuchsenstunden sind im Wesentlichen der organisatorische Aufbau der Verbindung sowie die Traditionen und die Geschichte.

      An die Beendigung der Fuchsenzeit werden unterschiedliche Bedingungen geknüpft. Deine Zeit als Fuchs kann zwischen einem Semester und drei Semestern betragen.

      Wichtig ist auch die Feststellung, dass du als Fuchs die nötigen Fähigkeiten besitzt, die Aufgaben als Vollmitglied – zum Beispiel Repräsentationsverpflichtungen – wahrzunehmen, ohne die Verbindung zu blamieren. Dies wird mittels einer Prüfung festgestellt, die Fuchsenprüfung.

      Wenn der zuständige Konvent deine endgültige Aufnahme beschließt, wird sie, faktisch sofort, in feierlichem Rahmen vollzogen. Dabei musst du ein Versprechen abgeben oder einen Eid auf die Constitution, also Verfassung, sprechen. Hast du noch Fragen?« Sie schlenderten langsam über den Hof und klammerten die anderen Schüler aus.

      »Wird jeder aufgenommen?«

      »Das siehst du schon daran, dass ich dich angesprochen habe. Wir nehmen nicht jeden. Auch du wirst es schwer haben, Mitglied zu werden. Die Verbindung schaut sich den Bewerber genau an. Die Verbindung ist ein Freundschaftsbund auf Lebenszeit, und da muss sichergestellt sein, dass der Bewerber passt! Aus der Sicht des Bewerbers gilt natürlich das gleiche Verfahren. Die Aufnahme geschieht deshalb stufenweise.«

      »Endet nach dem Studium die Mitgliedschaft?«

      »Du hast eine falsche Vorstellung. Wir sind kein eingetragener Verein, für den Mitgliedsbeiträge gezahlt werden. Dein Eid, den du ablegst, hat immer die lebenslange Mitgliedschaft zum Inhalt. Die Fuchsenzeit hat den Sinn, einem Interessenten die Tragweite der endgültigen Aufnahme und das Wesen der Verbindung nahe zu bringen. Ein Mitglied sollte nach der Burschung aus seiner Verbindung jedenfalls nicht, ohne wirklich zwingenden Grund, austreten. Die Mitgliedschaft kann selbstverständlich jederzeit beendet werden.«

      »Das hört sich nicht schlecht an.« Peter blieb stehen. »Weshalb kein eingetragener Verein? Im Internet klang das anders.«

      »Unsere Burschenschaft ist auch anders und nicht mit diesen Saufvereinen vergleichbar. Schau es dir an und entscheide. Doch um eines bitte ich dich: Sage den anderen nichts davon.« Roth sah Peter ernst in die Augen. Der Tonfall in seiner Stimme signalisierte, dass er mehr als eine Bitte aussprach.

      Peter schlenderte nachdenklich weiter und dachte über das Gespräch nach. Soweit er es beurteilte, hielt sich Stefan Roth immer abseits von den anderen Lehrkräften. Er wusste von seinen Mitschülern, dass der Lehrer konservative Ansichten vertrat und viele Passagen in den Geschichtsbüchern anders interpretierte, als die Masse. Aber nicht so, dass man den Finger darauf legen konnte. Peter Brock blieb stehen und sah in den intensiv blauen Himmel, der, bis auf wenige weiße Schleierwolken, hinter der Wölbung der Erdkrümmung verschwand. Die Gespräche in den letzten Wochen drehten sich oft um Studentenverbindungen. Nirgendwo fand man schneller Kontakt an der Hochschule. Er kniff die Augen zusammen und wischte mit der Hand über das Haar. Falls er einer solchen Vereinigung beitrat … diese blöde Kappe und Schärpe würde er nicht tragen.

      *

      Vier

      Sie wusste nicht, wie lange sie sich in dieser entwürdigenden Haltung befand. Sie kniete auf einer Unterlage, während der Oberkörper, durch Fesseln, etwas anderes konnte es nicht sein, auf einer gepolsterten Auflage festgehalten wurde. Trotz der weit geöffneten Augen drang keine Helligkeit an die Sehnerven. Dicke Kompressen verhinderten dies. Ihr Kinn lag in einer weichen Unterlage, die sich seitlich an den Wangen hochzog und den Kopf fixierte. Die Arme wurden durch Lederbänder, seitlich der Auflage, nach unten gehalten. Das blonde Haar lag in dicken Zöpfen über dem gebräunten makellosen Rücken. Das Geschlecht der Frau lag schamlos frei und bot sich dem Betrachter bedenkenlos dar.

      Die Vorrichtung stand, in Richtung des Kopfes der Frau, gegen eine holzvertäfelte Wand. Die gepolsterte Oberfläche trug dickes, fast schwarzes Büffelleder. Kerzen in goldenen Leuchtern spendeten gedämpftes Licht. Die flackernden Flammen gaben der bizarren Szene einen heidnischen Anstrich. Die Figur des Opfers ließ ahnen, dass hier eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, kniete. Das Gesäß der Frau lag gegenüber der einzigen Tür, durch die eine verhüllte Gestalt eintrat.

      Der Umhang trug in Höhe des Genitals, das versteift vorstand, eine Öffnung. Langsamen Schritts und ohne Zögern ging der Mann auf die wehrlose Frau zu. Niemand konnte sagen, wie groß er war. Der Stoff der Verhüllung wies eine Verarbeitung auf, die nicht nur die Umrisse, sondern auch die Größe verbarg. Die Liege, auf der das Mädchen lag, erhöhte oder senkte sich durch einen Mechanismus, sodass, das Genital des Mannes, stets auf Höhe der Scham eingestellt wurde. Langsam, ohne die Hände zu benutzen, drang er in die Frau ein, die wilde unartikulierte Schreie ausstieß. Sie war zwar sediert, jedoch nicht so, dass sie nicht mitbekam, was hier geschah. Dennoch so, dass der Körper sich nicht verletzte, wenn er die natürlichen Abwehrbewegungen zur Vermeidung der Vergewaltigung vollzog. Der Mann stieß genau einhundert Mal zu, zog sein Glied heraus und ergoss sich auf den Boden. Er wirkte nicht wie ein Wesen aus Fleisch und Blut. Der Akt geschah weder aus Liebe noch zur Entspannung. Er geschah als ein entwürdigender und grausamer Automatismus, der das Opfer zu weniger, als einer Sache machte.

      Ebenso unspektakulär, wie der Mann erschien, verließ er den Raum.

      Die geschundene Gestalt auf dem Tisch schluchzte hemmungslos, als der Mann - oder war es ein anderer? – wiederum eintrat. Im Abstand von zehn Minuten wiederholte sich der Vorgang mit gleichem Ablauf. Sie wusste nicht wie oft, denn ihr Geist schaltete ab, um dem Grauen zu entkommen.

      Weder die Frau noch die Männer, die, die Vergewaltigung vollzogen, nahmen die fünf Personen wahr, die, hinter der linken Wand, das abscheuliche Verbrechen mit klinischem Interesse verfolgten.

      Der Initialisierungsprozess, für dieses Jahr, schloss mit der letzten Aufgabe. Nur einer der fünf Beobachter wusste, wie viele Studenten in diesem Jahrgang die Fuchsenzeit beendeten. Nur er wusste, wen er als künftiges Mitglied ihrer Vereinigung auserkor.

      *

      Susanne Treber erwachte in einem verschwenderisch ausgestatteten Zimmer. Das vergitterte Fenster verwehrte den Ausblick nach draußen. Sie kämpfte sich aus dem grausamen Traum, der sie gefangen hielt. Er fühlte sich so echt an, als geschehe er tatsächlich. Langsam kehrten ihre Gedanken zurück. Kein Traum. Sie nahm die Details auf und glitt wieder auf die Schwärze zu. Mit großer Willensanstrengung hielt sie die Bewusstlosigkeit zurück und revidierte die erste Einschätzung. Nicht nur ein Zimmer, sondern ein Appartement. Es beinhaltete alles und mehr, was ein Mensch zum Leben brauchte. Moderne, teure Einrichtung. Angefangen bei der Küche, auf dem technisch neuesten Stand, bis zum Plasmafernseher, der an einer Wand hing. Sie richtete ihre Gedanken bewusst auf den Raum und die Gestaltung der Wohnung, damit sie nicht abdrehte.

      Die Natur stattete Susanne verschwenderisch mit allen Attributen aus. Vor wenigen Tagen feierte sie ihren neunzehnten Geburtstag. Sie trat vor den großen Spiegel. Eins fünfundsiebzig groß, mit langen schlanken Beinen, einem nicht zu kleinen und nicht zu großem Busen, dazu ein ausdrucksstarkes Gesicht mit strahlend blauen Augen über der klassisch geformten Nase. Das weizenblonde, glatte und lange Haar hing im Moment zu Zöpfen geflochten herunter. So sehr sie schaute, nichts deutete auf die Vergewaltigung. Ihr Körper wies keine Zeichen der unsäglich Folter auf. Ihr Geschlecht fühlte sich sauber und auch nicht


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