Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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gestorben … der Arme.«

      »Das ist gut so.« Gerlinde blieb ernst. »Ich hatte schon Sorge, dass die Polizei ermittelt. Übrigens, am Wochenende muss ich nach Hause. Meine Mutter hat Geburtstag.«

      Susanne nickte und dachte kurz an das kleine Dorf, aus dem ihre Mitarbeiterin kam. In einem anderen Leben, also vor ihrer Vergewaltigung, kannte sie einen netten Typ, der dort wohnte. Aus irgendeinem Grunde hatte es nie zwischen ihnen gefunkt. Doch sie blieben freundlich verbunden. War es tatsächlich schon mehr, als ein Jahrzehnt her, dass sie Kontakt mit Kurt Hüffner hatte?

      »Was ist los?« Gerlinde unterbrach ihre Gedanken.

      »Was soll schon los sein.«

      »Du warst weit weg und sahst so glücklich aus.«

      »Ich dachte an jemanden aus deinem Dorf.«

      »An wen? Kenne ich den?«

      »Möglich. Kurt Hüffner.« Susannes Augen ruhten gespannt auf ihr.

      »Klar kenne ich den. Der ist vergeben. Da brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen.«

      »So dachte ich nicht an ihn. Er ist ein Freund.«

      *

      Acht

      Wie lange war es her, dass Gerlinde Schmied in ihren Alltag schneite? Na ja, dass mit dem Schneien entsprach nicht den Tatsachen. Sie selbst zerrte sie hinein. Drei oder vier Monate. In dieser Zeit hatten sie viel erreicht. Was anfangs schier unmöglich aussah, gelang ihnen. Sie fanden vier weitere Vergewaltigungsopfer, die genauso blöd wie sie reagierten. Keine von ihnen brachte das Verbrechen zur Anzeige. Erst in diesem Zusammenhang sahen sie, wie raffiniert die Entführungen, die Taten und die Freilassungen abliefen. Vierundzwanzig, maximal sechsunddreißig Stunden und keine von ihnen, hielt einen Beweis in den Händen. Körperliche Male, die von der Tat zeugten, gab es nicht. Weshalb zur Polizei gehen?

      Susanne Treber stellte einen Architekten ein, der an ihrer statt die Arbeit erledigte, die ansonsten zu ihren Aufgaben gehörte. Sie widmete ihre Zeit der Rache. So wenig sie vor dem Zusammentreffen mit Gerlinde an die Misshandlung ihres Körpers und Geistes dachte, so viel kreisten die Gedanken nun darum.

      Mittlerweile besaßen sie ein beachtliches Dossier über die Burschenschaft Germanicus. Die Verbindung besaß Tradition und wurde mit Superlativen belegt. Angeblich wusste niemand, was in diesen erlauchten Kreisen geschah. Die Finger der Burschenschaft steckten in fast jedem Geschäft. So kam es Susanne vor. Ein komplexes Geflecht von Schlüsselpositionen durchzog nicht nur die Geschäftswelt in Aachen, sondern auch weit darüber hinaus. Wer letztendlich als Nutznießer profitierte, blieb noch verborgen. Den Mitgliedern sollte es egal sein. Die Mitgliedschaft enthielt eine Arbeitsplatzgarantie sowie die Aussicht auf lukrative Aufgaben in den unzähligen ständischen Gruppierungen.

      Doch eines kristallisierte sich heraus. Die hehren Ziele Ehre, Freiheit und Vaterland galten nur für die äußeren Bereiche der Organisation. Je weiter sie in den inneren Zirkel drangen, umso undurchsichtiger wurden die Geschäfte und die Personen, die sie einfädelten und leiteten. Die jungen Studenten, die Germanicus zur Teilnahme auswählte, barsten vor Stolz und Enthusiasmus … bis zur Initialisierung. Die Mehrzahl kam aus dem Verfahren verstört und fürs Leben verändert heraus. Einige wenige wurden noch überheblicher. Sie erhielten Führungspositionen. Nie drang ein Wort nach draußen. Über die Vorgänge innerhalb der Burschenschaft Germanicus wurde gemunkelt, jedoch weitab vom tatsächlichen Geschehen.

      Susanne wusste, dass sie andere Wege beschreiten mussten, um die notwendigen Informationen zu erhalten. Die drei Kontakte, die sie bisher herstellten, kamen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Die Mordkommission der Aachener Kripo untersuchte die Todesfälle. Dabei glaubte sie sicher, nicht selbst oder etwa die anderen Frauen ihrer Gruppe, in den Fokus irgendwelcher Ermittlungen zu geraten.

      Die Kontaktpersonen, die sie auswählten, bemerkten nicht, dass sie für Informationen missbraucht wurden. Dennoch setzten sie einen Mechanismus in Gang, der sie vom Leben in den Tod beförderte. Es sah so aus, als wenn sie jemand beobachtete und dann zuschlug. Sie besaß keine Vorstellung, was geschah.

      *

      Susanne fuhr, entsprechend der Anweisung ihres Navigationsgeräts, in den kleinen Ort. Gerlinde gab ihr die Adresse. Jetzt stand sie vor dem riesigen alten Bauernhaus, das etwa dreißig Meter versetzt von der Straße nach hinten lag. Den Vorhof zierte Blausteinpflaster, das uralt wirkte. Überall standen große und kleine Tontöpfe, aus denen Pflanzen unterschiedlicher Gattung wucherten und verschwenderisch blühten. Zwei aufgefahrene schmiedeeiserne Rolltore luden zum Eintritt ein. Sie wollte schon wieder umkehren, als ein Langhaardackel über die Straße heranflitzte und vor ihr haltmachte. Er musterte sie aus wachen Augen und wedelte mit dem Schwanz. Da kam auch schon die Besitzerin herangeschlendert. Eine mittelgroße gutaussehende Frau mit sympathischen Gesichtszügen.

      »Wollen Sie zu uns?«, fragte sie im Näherkommen.

      »Ich wollte zu Kurt …« Sie kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu führen.

      »Dann sind Sie richtig. Ich bin Claudia Plum. Kurts Frau.« Sie hielt ihr die Hand hin und setzte aufgrund von Susannes verwundertem Gesicht hinzu: »Ich behielt meinen Mädchennamen. Kommen Sie.«

      Sie ging voraus, links am Haus vorbei. Susanne sah auf den riesigen Garten mit liebevoll restaurierten Stallungen. Sie folgte der Frau auf die Terrasse.

      Claudia steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. »Besuch«, rief sie und leiser zu Susanne gewandt, »nehmen Sie Platz. Ich hole einen Kaffee.«

      Der eins neunzig große Mann, mit den breiten Schultern und schmalen Hüften, trat am Ende des Gartens aus dem Gebüsch. Er schirmte die grünen Augen ab und sah zum Haus. Dabei legte er die Heckenschere aus der Hand und schlenderte gemächlich näher. Derweil fuhr er mit den Händen durch mittelblondes Haar, um einigermaßen Ordnung hineinzubringen. Obwohl Mitte dreißig trug sein Gesicht immer noch jungenhafte Züge. Mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften bot er ein Bild von Mann. Er war Maschinenbauingenieur und Physiker. Die Landschaft und Menschen, die ihn umgaben, prägten ihn von Jugend an. Kaum jemand im Dorf besaß eine Vorstellung davon, dass er mit Zahlen und den Naturgesetzen jonglierte. Dazu kam eine unkonventionelle Einstellung zum Leben und den Menschen, die ihn umgaben. Sobald er auf der Szene erschien, nahm er die Menschen für sich ein. Und … Kurt plagte unglaubliche Neugierde. In sein Leben gehörte der Ururgroßvater Arnold Winter, Nöll genannt. Ein ehemaliger Polizist, der stolze achtundneunzig Jahre zählte und immer noch mit dem Fahrrad die Gegend unsicher machte.

      Kurt Hüffner musterte die elegante Erscheinung mit dem Kurzhaarschnitt. Eine Ahnung stieg in ihm auf. Das Gesicht kannte er. Doch der Fetzen des Gedankens verschwand so schnell, dass er ihn nicht mehr greifen konnte.

      »Hüffner.« Er stieg die zwei Stufen zur Terrasse hinauf.

      »Ich weiß«, antwortete die Frau und lächelte amüsiert. »Du hast mich vergessen.« Sie stand auf.

      »Da wäre ich mir nicht so sicher.« Sein Gesicht strahlte. »Susanne.« Die Stimme rückte unversehens die Vergangenheit in den Vordergrund. Er machte einen Schritt auf sie zu, packte sie überraschend um die Hüften und drehte sie durch die Luft. »Mensch Mädchen. Toll.« Er setzte sie schwer atmend ab. »Claudia«, rief er. »Das ist Susanne. Ich habe dir von ihr erzählt.«

      »Die Freundin aus Jugendtagen.« Claudia stand in der Tür und beobachtete die beiden belustigt.

      »Genau. Komm rein«, sagte er zu Susanne gewandt. »Was führt dich her? Ein Freundschaftsbesuch?«

      »Ich habe eine Mitarbeiterin aus deinem Dorf. Gerlinde Schmidt. Weil ich wusste, dass du hierher gezogen bist, hab ich sie einfach nach deiner Adresse gefragt, obwohl ich nicht sicher war, dass du überhaupt noch hier lebst.«

      »Eine gute Idee. Wie ist es dir ergangen?«

      »Im Großen und Ganzen gut.« Sie berichtete aus den vergangenen Jahren.

      Claudia musterte Kurts Freundin interessiert.


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