Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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Sie sind auf eure Namen zugelassen. Sie gehören euch. Nun zum letzten Beitrag heute. In den nächsten Tagen gehen euch Verträge und Schlüssel zu neuen Wohnungen zu. Diese werdet ihr beziehen. Wir sorgen für unsere Mitglieder. Eine lebenslange Freundschaft hat begonnen.« Stefan reichte jedem die Hand zu einem festen Händedruck und verließ das Zimmer.

      »Das ist ein Ding«, meinte Michael, »wenn wir das nicht mal bereuen.«

      »Positiv denken«, sagte Bastian. »Mit allem hätte ich gerechnet … nur damit nicht. Das heißt, wir haben ein Stipendium.«

      »So würde ich es nennen.« Peter stand nachdenklich auf. »Stipendien verpflichten für den Geldgeber. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind wir jetzt auf Lebenszeit gebunden.«

      Seine drei Mitstreiter nickten beklommen. Was mochte sie erwarten?

      *

      Zehn

      »Du hast dieser Kripotante von unseren Recherchen erzählt?« Gerlinde reagierte empört. »Du bringst uns alle in Gefahr, ist dir das klar?«

      »Die Kriminalbeamtin machte mir den Vorschlag zusammenzuarbeiten. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung wäre. Doch ich vertraue dieser Frau, aus irgendeinem Grund.« Susanne langte am Ende ihres Vortrags an. Sie überging Gerlindes berechtigten Einwand. Was brachte es jetzt noch, kleine Brötchen zu backen.

      Fünf junge Frauen lauschten während der vergangenen Minuten gespannt. Sie trafen sich in der Regel, alle vierzehn Tage donnerstags in einem Raum, den Susanne, neben ihrer Firma angemietet hatte. In den vergangenen Monaten kam ein ansehnlicher Berg Papier zusammen, der fein säuberlich sortiert in offenen Holzregalen lagerte.

      »Mir ist es gleich, ob die Polizei von uns weiß. Doch egal, wie es kommt, ich will keine Gerechtigkeit. Ich will die Schweine leiden sehen.« Sabrina, eine der jungen Frauen, die zu Gerlinde in die Frauensprechstunde an der Hochschule kam, ergriff das Wort. »Ich bin bei der Polizei gewesen. Nachdem ich die erniedrigenden Untersuchungen überstanden und Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte, habe ich nichts mehr gehört. Das geschah vor zwei Jahren. Glaubt ihr, die interessieren sich tatsächlich für uns?«

      »Du hast nie gesagt, dass du Anzeige erstattet hast.« Gerlinde sah sie fassungslos an.

      »Weshalb auch. Es lohnte nicht. Ich bin gegen eine Zusammenarbeit.«

      »Ich muss mir das noch einmal durch den Kopf gehen lassen.« Petra kniff die Augen zusammen, ein nervöses Leiden unter dem sie seit dem Verbrechen an ihr, litt. »Außerdem finde ich es reizvoll, unsere Ergebnisse mit denen der Polizei zu ergänzen.«

      »Ich stimme Petra zu.« Beate hob die Hand. »Ich will mehr über die Morde erfahren. Das Pimmelchen auf den Boden genagelt. Einfach super. Genial.« Sie lachte glucksend.

      Die anderen nickten und kicherten.

      »Petra kannst du damit leben?«, fragte Susanne.

      »Unter dem Aspekt, den Beate nannte … immer.« Sie nickte begeistert.

      »Da ist etwas, über das wir uns Gedanken machen müssen.« Charlie, eigentlich Charlotte, lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. »Wenn ich richtig verstanden habe, geht die Kripo nicht davon aus, dass die Morde aus der Burschenschaft heraus geschehen. Ich bin auch dieser Ansicht und das lässt nur einen Schluss zu: Ein oder mehrere Opfer, wie wir, sind am Drücker. Wir sollten denen nicht in die Quere kommen und vor allen Dingen dieser Claudia Plum keine Munition liefern. Diese Person oder Personen tun das, was wir uns nicht trauen.«

      »Wow.« Gerlinde nickte anerkennend. »Soweit habe ich nicht gedacht. Dein Gedankengang ist vollkommen schlüssig. Es wirft natürlich ein ganz anderes Bild auf die Zusammenarbeit mit der Kripo. Mit unseren Mitteln werden wir deine These nicht beweisen können. Also nutzen wir die Polizei. Doch vorsichtig, denn wir müssen uns einen Weg offenhalten, um die Mädels, falls es sie gibt, zu warnen.«

      »Ein Spiel mit dem Feuer«, warf Susanne ein. Gut, dass sie alles, was sie wusste, eingebracht hatte. Die Diskussion lief fruchtbar und brachte neue Erkenntnisse. »Die Plum ist eine intelligente Frau. Sie wird nicht so leicht hinters Licht zu führen sein.«

      »Wollen wir auch nicht«, meinte Charlie. »Sobald wir eine Identität haben, werden wir diese Frau oder Frauen warnen.«

      »So einfach wird das nicht.« Petra hob den Zeigefinger, wie in der Schule. »Wir sollten davon ausgehen, dass die zweite Gruppe von unserer Existenz weiß. Sie haben uns die drei Toten vor der Nase weggeschnappt.«

      »Alles möglich«, sinnierte Susanne. »Vielleicht haben wir ein Leck, was ich nicht glaube und auch nicht schlimm finde.« Sie hob die Hand, um das unmutige Gemurmel zu unterdrücken. »Ich denke laut nach. Also keine Schuldzuweisung. Schließlich haben die Schweine das bekommen, was sie verdienen. Wir halten Augen und Ohren offen. Wir werden vorsichtiger vorgehen und uns in der nächsten Zeit auf die Materialbeschaffung über die Burschenschaft Germanicus konzentrieren. Wir werden sie dort packen, wo es ihnen wehtut.«

      *

      Elf

      Susanne grübelte über den Notizen, die sie, seit Tagen ergänzte.

      Ein Kinderspielplatz für Jungen und solche, die nicht alt werden konnten. Aber auch Machtoptionen für solche, die Kontakte richtig kanalisierten oder nutzten. Im Grunde harmlos, wenn nicht die Auswüchse, wie bei Germanicus auftraten.

      Abiturienten und junge Studenten kamen als sogenannte Füchse in eine Burschenschaft. Ein Fuchs übernahm eingeschränkte Rechte und Pflichten. Er besaß kein Stimmrecht und übte keine Ämter aus. Doch jeder Fuchs durfte sich auf den Veranstaltungen, die Konvent genannt wurden, vertreten lassen, indem er ein Leibverhältnis einging. Das bedeutete, er suchte einen ›Burschen‹, der ihn vertrat, den sogenannten Leibburschen.

      Susanne sah hoch. Was für ein Schwachsinn. Und bei Studentinnen gab es das auch. Unvorstellbar. Die Angelegenheit kotzte sie an. Sie wusste, dass sie ungerecht urteilte und alle über einen Kamm scherte. Aber das waren doch wirklich Spasmatiker.

      Susanne bekam diesen Quasifreundschaftskram nicht in den Kopf, vor allem weil er nach wahrlich mittelalterlichen Strukturen stattfand. Menschen, die ihre Körper verstümmelten, hatten nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber jeder musste selbst wissen, ob er sich eine Mensur schlagen ließ oder Piercing beziehungsweise Tattoos trug. Für sie war das eine so beknackt wie das andere. Kein Wunder, dass manche, bei solchem Machogehabe, austickten. Aber sie suchte keine Entschuldigung.

      Die einen schlugen also Mensur, die anderen bumsten unter Aufsicht gefesselte Frauen. Sie lachte bitter. Die Typen, die Selbsterniedrigung zu ihrem Inhalt machten, denn etwas anderes war die Fuchsenzeit nicht, erniedrigten andere Personen. Sie führten den Beweis ihrer Erniedrigung, das Abhandenkommen des eigenen Willens.

      Susanne fühlte sich schmutzig, wie nie zuvor. Die Professionalität, die sie bei ihren Ermittlungen an den Tag legen wollte, fiel ab, wie ein Kittel, den sie nicht mehr brauchte. Gleichzeitig erfüllte sie maßlose Wut. Wut auf sich, dass sie das Verbrechen damals geschehen ließ und Wut auf die Perverslinge, die sie als lebende Puppe, ohne Gefühl, missbrauchten. Einhundert Stöße und dann Orgasmus. Die Pommes, die sie vor einiger Zeit gegessen hatte, würgten hoch. Mit knapper Not schaffte sie den Weg zur Toilette, wo sie kotzte. Danach kniete sie auf dem Boden und weinte.

      *

      Zwölf

      Kurt Hüffner ritt am Heiderand entlang und die Gedanken kreisten um Susanne Treber. Mein Gott, wie jung waren sie damals. Wie lange lag die Zeit zurück? Exakt dreizehn Jahre. Und … er hatte sich damals in dieses blonde Mädchen verguckt. Doch sie sprang nicht auf ihn an. Was blieb, war Kameradschaft, fast schon Freundschaft. Erst jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Susanne wirkte immer ein wenig melancholisch, ja traurig. Sie lachte selten und verfügte über einen messerscharfen Verstand. Jetzt besaß


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