Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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Kerzenlicht. Ein Geschäft. Er schloss gerade ein Geschäft ab, bei dem er sein Leben einsetzte.

      *

      Vierzehn

      »Bei den drei Toten können wir davon ausgehen, dass der gleiche Täter, oder auch Tätergruppe, zugeschlagen hat. Die Verstümmelung der Genitalien bei den Nummern fünf und sieben, ich bleibe bei der Nummerierung, die der Täter vornahm, wurden nach dem Tod herbeigeführt. Bei Nummer zwölf wurde der Penis vorher auf den Boden genagelt. Sie haben die Berichte gelesen.« Claudia stand im großen Besprechungssaal vor den fünfzehn Beamtinnen und Beamten der Sonderkommission, die sie bei der Aufklärung des Falles unterstützten. Dazu Techniker der Spurensicherung sowie Kollegen der Gerichtsmedizin. »Bei der Todesursache gehen wir zunächst von Stromschlag aus, der zum Herzstillstand führte. Thilo vielleicht kannst du uns Genaueres sagen?« Sie nickte dem Mediziner zu.

      »Eigentlich nicht.« Er stand auf und reckte seine dürre lange Gestalt. »Wir stehen im Moment auf dem Schlauch.« Er hob die Hand, um das aufkommende Gelächter zu unterdrücken. »In diesem Fall muss ich wohl meine Wortwahl überdenken. Der Stromschlag erfolgte jeweils über das Tattoo. Die Brandmarken besagen jedoch nicht, dass sie durch Elektrizität herbeigeführt wurden. Vielmehr sieht es so aus, als sollte das Mal herausgelöst werden.« Er ging nach vorn zu dem großen Monitor, der an der Wand befestigt hing und wischte mit den Fingern über verschiedene Symbole. »Hier ist das Hautstück von …«, er überlegte kurz, »Nummer fünf. Hier die Sieben und dort die Zwölf. Wie ihr seht, gibt es kaum Faserungen. Es scheint mehr, wie eine Stanzung, die fast genau auf Hautstärke eingedrungen ist.« Er vergrößerte das Tattoo von Nummer zwölf mit Daumen und Zeigefinger. »Wir gehen von einem Stromschlag an dieser Stelle aus, der nicht unbedingt ursächlich für den Eintritt des Todes sein musste. Ihr müsst euch also noch ein wenig gedulden. Die Toten sind zurzeit in Köln im gerichtsmedizinischen Institut und deshalb müsst ihr mich entschuldigen, weil ich nämlich offiziell schon am Autobahnkreuz Kerpen bin.« Er winkte kurz und ging zum Ausgang.

      »Danke Thilo«, rief Claudia hinterher. »Die Verstümmelung der Genitalien weist auf eine Tat mit sexueller Motivation. Wir haben das Umfeld der Toten durchleuchtet und sind auf keine Hinweise gestoßen, die auf einen solchen Hintergrund deuten. Die drei Männer lebten als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft und lagen, den Intellekt betreffend, über dem Durchschnitt. Das Einzige, was sie verbindet, ist das Tattoo, das auf eine Burschenschaft namens Germanicus hinweist. Kontaktadressen dorthin fanden wir weder im Netz noch in den üblichen Kanälen, die wir nutzen. Wenn wir jetzt spekulieren, können wir annehmen, dass diese Institution etwas verbirgt.« Claudia gelangte in gefährliches Fahrwasser, weil sie jetzt begann, die Informationen von Susanne Treber, zu verschweigen. Sie wusste, dass sie ihren Job riskierte, zumindest jedoch ein haariges Disziplinarverfahren provozierte. Durch ihre Überlegungen geisterte auch kurz, Staatsanwalt Dengler einzuschalten. Doch der konnte auch nicht aus seiner Haut heraus, weil der Dienstweg es eben einfach verlangte. »Hauptkommissar Bauer wird mit Ihnen die Einsatzpläne noch einmal durchgehen. Wir treffen uns weiterhin jeden Morgen zu Dienstbeginn am selben Ort. Also hier. Hat noch jemand etwas zum Thema?«

      »Die Presse macht Dampf.« Staatsanwalt Dengler, rechts von ihr, ergriff das Wort. »Sie wissen, ich bin nicht so pressegeil, wie es bei den Staatsanwälten in den Fernsehkrimis dargestellt wird. Mit den Informationen, die wir haben, können wir nicht nach draußen. Das ist ja noch weniger, als nichts.«

      »Zappeln lassen«, warf Heinz ein. »Das bringt zwar schlechte Presse, doch die Lobeshymnen werden umso größer sein, wenn wir den Fall gelöst haben.« Sein faltiges Gesicht schmunzelte. Wie oft stand er schon in seinem langen Berufsleben vor dem Nichts? Die Pressefritzen überschlugen sich nachher. »Auf jeden Fall müssen wir alle dichthalten.« Er ließ seinen Blick kreisen und schaute jeden an, bis die Betreffenden nickten.

      »Noch etwas.« Der Staatsanwalt druckste herum. »Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Burschenschaften über Landesgrenzen hinaus agieren. Ja, ja«, er reagierte auf das hämische Grinsen und Gemurmel im Saal. »Ich bin selbst Mitglied in einer Burschenschaft. Nicht schlagend ... ich wollte mir das Gesicht, nicht vermatschen lassen.« Er traf den richtigen Ton. Verhaltenes Gelächter setzte ein. »Was ich sagen will … ich muss unsere vorgesetzte Dienstbehörde informieren. Haben Sie etwas dagegen?« Er sah Claudia an.

      Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich habe so ein Gefühl, als könnten wir jede zusätzliche Hilfe gebrauchen. Noch etwas zum Thema?«

      Ein uniformierter Kollege in den hinteren Reihen hob die Hand. Etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt, mit weizenblonder Mähne, die leuchtete und ihren Blick schon einige Male dorthin kreisen ließ.

      Sie nickte ihm zu.

      »Ich möchte mich im Anschluss mit Ihnen unterhalten.«

      »Ich auch, ich auch«, tönte es von verschiedenen Plätzen.

      »Aber nicht zum Thema.« Er grinste und zeigte unverschämt weiße Zähne. Seine auffallend blauen Augen lächelten jedoch nicht, sondern musterten sie gespannt. Seine tiefe Stimme passte so gar nicht zu seiner, an sich schmächtigen Gestalt. »Guido Horn.« Er verstand ihre unausgesprochene Frage. »Fast wie der singend Teilchenbäcker.«

      Die anderen glucksten wieder.

      »In Ordnung. Kommen Sie in mein Büro.«

      *

      Guido Horn betrat nach kurzem Anklopfen das Büro, das Heinz Bauer und Maria Römer gemeinsam mit ihrer Chefin nutzten. Er zog die Uniformjacke aus und warf sie über den Stuhl. Sogleich streifte er die Krawatte über den Kopf.

      »Sie wissen, dass meine Kollegen anwesend sind.« Claudia schmunzelte. Wahrscheinlich wieder eine blöde Wette unter den Kollegen. »Außerdem ist es noch einige Zeit zu meinem Geburtstag.«

      »Ich entkleide mich dienstlich für Sie.« Er grinste unbekümmert und knöpfte sein Hemd auf. Er zog es an der linken Schulter herunter und entblößte ein Tattoo. Der drei Zentimeter große Kreis leuchtete auf der blassen Haut. Aber er war unvollständig. Die deutschen Landesfarben fehlten.

      Claudia und die beiden Kollegen starrten sprachlos darauf. Sie fuhren nacheinander mit den Fingerspitzen darüber und schüttelten ratlos den Kopf.

      »Sie gehören zu diesem Verein?«

      »Fast.« Horn schüttelte den Kopf. »Im Abiturjahr wurde ich angesprochen.« Er zog das Hemd über die Schulter.

      »Moment«, meinte Claudia. »Ich muss noch einige Fotos schießen.« Sie hielt das Smartphone über das Mal und drückte einige Male auf den Auslöser. »Jetzt können Sie Ihr Hemd überziehen. Was bedeutet: fast?«

      »Wie gesagt, ich wurde angesprochen und habe einige Veranstaltungen besucht. Die waren gut und gaben mir Informationen über die Hochschule und schafften Kontakte. Doch auf einmal nannte ich mich einen Fuchs und mir wurde nahegelegt, einen Leibburschen zu wählen. Gesagt, getan. An und für sich nicht weiter schlimm, wenn der Typ nicht begonnen hätte, mich wie einen Leibeigenen zu behandeln. Er versuchte, mein Denken zu verändern. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Doch dann erwischte ich mich, wie ich Kommilitonen abschätzig behandelte und in Gedanken mit Ausdrücken, wie Abschaum, Ausländer und anderen Begriffen um mich warf. Das holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Mittlerweile hatte man damit begonnen, das Abzeichen zu stechen«, er zeigte auf die Schulter. »Der äußere Kreis des Mals wurde auf die Haut gestanzt.« Seine Hand kratzte in Gedanken die linke Schulter. »Der Gerichtsmediziner sprach vorhin darüber, dass die Zeichen in Köln untersucht werden. Ich vermute, dass über die Stanze oder auch Brenneisen, mir ist es egal, etwas unter die Haut gelegt wird. Ein Signalgeber oder Empfänger oder auch etwas worüber der Stromschlag, über den die Morde erfolgten, verstärkt wird und zum Tode führt. Die Prozedur zur Herstellung des Mals erforderte drei Schritte und bei jedem musste vorher eine Prüfung durchlaufen werden. Da ging es um Gedankengut und Gehorsam. Die ersten beiden stand ich durch, doch der letzten stellte ich mich nicht mehr.«

      »Das müssen Sie genauer erläutern.« Claudia deutete zum Konferenztisch. »Wie soll ich


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