Heidesumpf. Herbert Weyand

Heidesumpf - Herbert Weyand


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wie Hoffnung glomm in ihren Augen.

      »Ja und nein. Seit gestern habe ich einen Namen und eine Adresse. Mehr nicht. Aber vielleicht eine erste Spur.«

      »Wollen Sie sich das Schwein, packen? Ich bin dabei.« Sie sprang auf und ging zum Fenster. »Ich habe so lange darauf gewartet, mit jemandem darüber zu sprechen. Die Situation macht mich wütend, dass ich alles kurz und klein schlagen könnte, und ist mir ungemein peinlich, dass ich im Erdboden versinken möchte. Ich dachte mir, dass ich nicht die Einzige bin, der das passierte. Bin aber nie auf die Idee gekommen, andere Opfer zu suchen.«

      »Bei mir spielte der Zufall eine Rolle.« Sie verschwieg, dass sie die Vergewaltigung Gerlindes hätte verhindern können, wenn sie sie damals angesprochen hätte. Die Gewissensbisse dazu, verdrängte sie. »Ja. Ich will mir das Schwein packen.«

      *

      Sechs

      Peter Brock saß, mit ungefähr fünfundzwanzig weiteren jungen Männern, um den langen Tisch. Es lief anders ab, als in seiner Fantasie. Die Kumpel- und Saufromantik, von der das Internet berichtete, gab es nicht. Der Raum, in dem sie tagten, wies schlichte und geschäftsmäßige Einrichtung auf. Mehr ein großes Konferenzzimmer. Keine Pokale, Urkunden oder Symbole an den Wänden.

      Ihn packte nervöse Erwartung, weil er nicht wusste, was auf ihn zukam. Er besaß keine Vorstellung. Stefan Roth sah er nicht, obwohl der Lehrer ihn eingeladen hatte.

      »Du wirst abgeholt«, sagte Roth bei der nächsten Begegnung auf dem Schulhof. »Tue einfach das, was dir gesagt wird … mag es dir auch noch so merkwürdig vorkommen.«

      Und tatsächlich fuhr am späten Nachmittag des verabredeten Tages ein schwarzer Mercedes mit dunkel verspiegelten Scheiben vor. Der Fahrer ging wahrscheinlich davon aus, dass er ohne Aufforderung herauskam, denn er wartete. Wenig später fuhren sie los.

      Peter wohnte in Übach-Palenberg, genauer gesagt im Stadtteil Boscheln. Sie fuhren dort auf die Roermonderstraße in Richtung Aachen. Doch in Altboscheln bog das Fahrzeug in Richtung Eschweiler zur A4 ab. Kurz vor dem Kreisverkehr mit dem Löwen reichte ihm der Fahrer eine Sturmhaube, mit dem Hinweis, er möge sie überziehen. Er folgte der Aufforderung verwundert und versank Dunkelheit.

      »Eine Sicherheitsmaßnahme«, meinte der Fahrer. »Nach der Aufnahmeprüfung wird die Geheimnistuerei unnötig. Ein Tipp noch, du scheinst sympathisch zu sein. Halte die Klappe, bis du aufgefordert wirst, etwas zu sagen.«

      Peter schwieg. Ihm wurde mulmig. Er konzentrierte sich auf sein Richtungsgefühl und, versuchte herauszufinden, wohin die Fahrt ging. Er nahm an, in die Eifel. Doch das konnte genauso falsch, wie richtig sein. Seine Gedanken schweiften und rekapitulierten, was er über die Burschenschaft erfahren hatte. Im Grunde, weniger als nichts. Den Namen Germanicus kannte er von Stefan. Im Netz stand nichts. Darüber war er weniger verwundert, als er sich zugestehen wollte. Der Reiz des Unbekannten hielt ihn im Griff. Aufgrund seiner überdurchschnittlichen schulischen Leistungen besaß er eine herausgehobene Stellung in der Schülerschaft, die, die Lehrpersonen förderten. Er war also etwas Besonderes. Damit stand ihm die Mitgliedschaft in einer wahrscheinlich exklusiven Burschenschaft zu. Allerdings berührten ihn zwiespältige Gefühle. Jedoch Stolz verdrängte die leichte Angst.

      Das Internet rückte Burschenschaften in das rechte politische Spektrum. Das schreckte ihn nicht. Im Großen und Ganzen vertrat er die Thesen. Antisemitismus hielt er zwar für antiquiert, denn jeder sollte glauben, was er wollte. Doch, dass die Ausländer und bestimmte soziale Schichten dem Steuerzahler auf der Tasche lagen, durfte nicht sein. Und … Deutschland war kein Einwanderungsland. Genug, dass Deutsche mittlerweile Lewandowski und Lemaire hießen. Jetzt kamen noch Afrikanische hinzu. Das musste nicht sein. In Aachen besaßen Türken ganze Straßenzüge, während gute Deutsche und Rentner von Hartz IV lebten. Und seit Beginn des Jahres lud die Politik Rumänen und Bulgaren ein. Die Welt, in der er lebte, kehrte sich um. Alles, was die Vorfahren erkämpften und schufen, wurde aufs Spiel gesetzt.

      Jetzt saß er hier und wusste weder, ob diese Mitglieder um ihn herum, genauso gegen Ausländer waren, wie er, noch, worauf sie warteten.

      Als er vorhin die Sturmhaube abnahm, stand er im Flur eines scheinbar großen Hauses.

      »Du wirst jetzt bis dreißig zählen und dann die Mütze abnehmen«, sagte der Fahrer, an dessen Gesicht er keine Erinnerung hatte. »Dann wirst du durch die Tür, die dir genau gegenüberliegt, gehen. Auf der linken Seite des Tisches ist ein Platz frei, den du einnehmen wirst. Dann wartest du ab. Wenn die Sitzung geschlossen ist, wirst du als Siebter den Raum verlassen, und zwar genau zwei Minuten nach deinem Vorgänger.«

      »Guten Abend, meine Herren«, riss ihn die bekannte Stimme aus seiner Versunkenheit. »Mein Name ist Stefan Roth. Ich bin der Fuchsmajor.« Tatsächlich. Am rechten Ende des Tischs stand Stefan und musterte mit unbewegter Miene die Teilnehmer der Veranstaltung. »Ihr wurdet ausgewählt.« Er sah jedem Einzelnen in die Augen. »Die Zeit der Prüfungen beginnt. Wir prüfen euch und ihr prüft uns. Am Ende stehen lebenslange Freundschaft und beruflicher Erfolg. Die Entscheidung liegt bei euch.«

      »Welche Prüfungen?«, fragte jemand, der schräg gegenüber von Peter saß.

      »Hat dir niemand gesagt, dass du die Klappe halten sollst.« Stefan fuhr ihn hart an. Dabei glitzerten die Augen, wie Kiesel.

      »Doch. Aber ich werde doch mal fragen dürfen«, stellte er beleidigt fest.

      »Darfst du nicht. Folge den beiden.« Er wies zur Tür, wo zwei kräftige Männer standen, die unbemerkt in den Raum getreten waren.

      Der junge Mann stand auf und ging mit den beiden vor die Tür.

      »Meine Herren. Wir sind eine Vereinigung von Männern, die das Ziel haben, unsere Zukunft zu gestalten.« Stefan fuhr fort, als habe es den Zwischenfall nicht gegeben. »Um unser Ziel zu erreichen, haben wir Regeln, die teils ungeschrieben, teils geschrieben stehen. Wir befassen uns mit den Ungeschriebenen … die anderen könnt ihr nachlesen.« Er hielt einen Moment inne und fuhr mit der Hand über das Kinn. »Einen Verstoß gegen die Regeln ahnden wir mit Strafe. Ihr fragt euch jetzt, weshalb eure Kontaktmänner in den ersten Gesprächen, davon nichts sagten. Ganz einfach … weil ihr diesen Hinweis zu gerne ignoriert hättet. Hier in diesem Raum ist das anders. Er ist der Platz des Konvents, der Ort der Wahrheit und der Entscheidung. Ihr entscheidet jetzt, ob eure Zukunft in unserer Verbindung liegt. Es liegt in euch, welche Wahl ihr trefft. Eine falsche kann sehr schmerzhaft werden. Mehr werde ich hier und heute nicht dazu sagen. Wir treffen uns in zwei Tagen wieder. Das Prozedere ist das gleiche. Ihr werdet abgeholt. Die Zusammenkunft ist für heute beendet.« Er stand schon in der Tür, als er sich noch einmal umwandte. »Kein Wort über diese Sitzung. Ihr werdet es bereuen.« Wer ihm ins Gesicht sah, wusste, dass er besser schwieg.

      *

      Sieben

      Günter Säger wurde durch einen wahnsinnigen Schmerz aus dem Schlaf gerissen und stand mit einem Sprung neben dem Bett. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als er die beiden vermummten Gestalten bemerkte.

      »Hinsetzen«, befahl die verzerrte Stimme.

      Er fiel, wie ein nasser Sack, zurück. Der durchtrainierte Körper wirkte nicht wie der eines Mittfünfzigers. Er trug dunkle Boxershorts.

      »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?« Er stieß die Fragen aggressiv hervor.

      »Namen.«

      »Welche Namen?«

      »Von Vergewaltigern.«

      »Ich weiß nichts von Vergewaltigungen.« Der stechende Schmerz warf ihn um und brachte ihn an den Rand einer Ohnmacht.

      »Namen«, befahl die Stimme monoton.

      »Ich weiß nichts von Vergewaltigungen«, wiederholte er. Der Schmerz packte wieder zu und krampfte sein Herz zusammen. Seine Lungen hechelten nach Luft. »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt.«

      »Gut«,


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