Der Sommer der Vergessenen. René Grandjean

Der Sommer der Vergessenen - René Grandjean


Скачать книгу
Aber ich spüre, dass wir nicht alleine bleiben. Ist der Fuchs zurück?“

      Driftwood verschränkte die Arme vor der Brust. „Bei dem hatte ich gleich kein gutes Gefühl. Dieser komische Schleicher. Natürlich ist er nicht zurück!“

      „Geduld, Driftwood, Geduld.“

      „Geduld, Meister? Es lag noch Schnee, als er auszog. Und es wird wieder Schnee fallen, eher er zurückkommt. Hat sich vom Acker gemacht, da wette ich drauf. Ihr seid einfach zu gutgläubig.“

      „Ich hoffe, ihm ist nichts zugestoßen. Sein Auftrag brachte ihn auf die Fährte des Nachtbringers.“

      „Papperlapapp.“ Driftwood winkte ab.

      Die glühenden Holzscheite begannen rauschend, in sich zusammenzufallen.

      „Meine Zeit wird knapp. Hör mir zu! Beginnt hier. Sucht Verbündete. Lauft nicht ziellos durch die Wälder. Denkt nach. Betrachte den Stein. Erinnere dich! Es steckt alles in deinem Kopf! So war es gedacht. Seid umsichtig, wenn ihr nach Neunseen geht. Die Stadt wird bewacht. Nicht jede alte Feindschaft ist mit der Zeit verflogen. Höre auf Socke. Und hütet euch vor …“

      Mit einem Zischen brach das letzte verkohlte Holzscheit entzwei. Driftwood blieb allein zurück. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Und hütet euch vor Zisch? Was soll das denn schon wieder? Er setzte sich mit einem Schnauben auf den kargen Waldboden. Plötzlich stand Socke neben ihm. Nachtalben, und besonders Socke mit seinen Samtpfoten, können sich lautlos durch die Dunkelheit bewegen, wenn sie wollen.

      „Mit wem hast du gesprochen?“ Er stapelte die ordentlich gesäuberten Suppenschüsseln in seiner Tasche. Gut hören können Nachtalben nämlich auch.

      „Ich, oh, ach, mit niemand“, log Driftwood. „Hab nur laut gedacht. Ich dachte mir, wir sollten unsere Suche hier fortsetzen, im Nachtschattental. Wir sollten uns Verbündete suchen.“

      „Haben wir das nicht bereits getan? Ohne Ergebnis?“, fragte Socke und schüttete Wasser aus dem Kochtopf auf die Glut, um jegliche Waldbrandgefahr zu bannen.

      „Ja, das haben wir. Aber, mein messerscharfer Verstand sagt mir, dass wir gründlicher vorgehen müssen.“

      „Hört, hört“, sagte Socke, pustete etwas trockenes Laub von seiner Tasche und schulterte sie. „Und der Mensch?“

      „Welcher Mensch?“

      Socke verdrehte die Augen. „Driftwood, wir wollten uns einen Menschen suchen, der uns führen kann.“ Er brachte sein Gesicht ganz nah an Driftwoods und sprach sehr langsam und betont deutlich. „Einen Ortskundigen.“

      „Oha, gute Idee. Socke, du bist ein Ass!“

      Socke wandte sich um, aber Driftwood sprach weiter.

      „Ich meine, wir sind jetzt schon eine Weile wach. Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, es zu versuchen?“

      Socke wollte etwas erwidern, aber Driftwood kam ihm zuvor. „Ich weiß, ich weiß, es ist nicht leicht. Aber bedenke, dass auch der Grüne zurück ist. Und wir sind Nachtalben, Socke. Die Magusch liebt uns. Oder möchtest du lieber warten, bis wir dem Nachtbringer persönlich gegenüberstehen? Na?“

      Socke schaute betreten drein.

      „Komm schon“, hauchte Driftwood, „es ist Zeit für etwas - Magusch.“ Leichter Regen setzte ein. Driftwood schaute angewidert in den Himmel.

      „Es ist so lange her“, gestand Socke. „Ich weiß überhaupt nicht mehr …“

      „Natürlich weißt du noch. Das ist wie Suppe kochen oder Feuer sprechen – nur eben etwas anders obwohl fast genau so. Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir uns auf das besinnen, was wir gut können.“

      Driftwood wusste, dass Socke hier und da einen kleinen Schubs in die richtige Richtung brauchte. Oder in die Richtung, die er selbst für die Richtige hielt. Und heute Nacht war die Nacht. Er stand auf und begann, Socke zu umschleichen.

      „Magusch“, hauchte er. „Das ist deine Bestimmung. Du bist ein Nachtalb, Freund Socke. Magusch ist ein Teil von dir. Wie deine Nase. Du hast doch auch keine Angst vor deiner Nase, oder?“

      Socke schüttelte den Kopf.

      „Na, siehst du. Es ist nur einfach so, als hättest du deine Nase sehr lange nicht zum Riechen benutzt. Was soll denn schon schiefgehen?“

      Socke hob den Blick. „Du weißt sehr genau, was schiefgehen kann. Oft genug sind schlimme Dinge passiert. Dinge, von denen ich hier in finsterer Nacht lieber nicht spreche.“ Driftwood verdrehte die Augen. Socke war bestimmt der einzige Nachtalb, der die Finsternis fürchtete.

      „Ich gebe ja zu, dass mein Umgang mit Magusch manchmal etwas sorglos war“, gestand Driftwood ein.

      „Etwas sorglos?“, keuchte Socke. „Warum machst du es dann nicht? Du bist doch der selbst ernannte Meister der Magusch!“

      Das kränkte Driftwood. „Ich habe dich geweckt. Zusammen mit dem Meister hab ich dich geweckt.“

      „Das ist Wochen her“, erwiderte Socke schroff. „Das zählt nicht. Außerdem war der Meister dabei. Das ist ganz was anderes als es allein zu tun. Und ich? Ich habe gekocht, jeden Abend, das Holz gesammelt, das Geschirr abgewaschen, und, und, und. Und du sitzt nur rum. Natürlich, der feine Herr muss denken. Meinst du, ich hätte dich nicht schnarchen gehört?“

      Driftwood funkelte ihn böse an. Socke blieb unbeeindruckt und schwenkte betont gelangweilt seine Tasche.

      „Gut“, sagte Driftwood schließlich, „gut, ich mach’s.“

      „Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, wer oder was die Quelle speist“, klagte Socke. „Es könnte doch sein, das es der Nachtbringer ist.“ Er schaute sich ängstlich um.

      „Unsinn!“, winkte Driftwood ab, „warum sollte er den Meister wecken? Die beiden sind sich spinnefeind.“

      „Vielleicht“, überlegte Socke, „war das gar nicht sein Ziel. Vielleicht wollte er ganz was anderes. Vielleicht wollte er seine … oh nein, es ist zu schrecklich, um es zu sagen. Du weißt so gut wie ich, dass die Quelle nicht unterscheidet, für welche Zwecke sie benutzt wird. So funktioniert das nun Mal nicht. Sonst hätten wir doch den ganzen Schlamassel nie gehabt.“

      „Mumpitz!“, entschied Driftwood. „Was soll ich machen? Womit fang ich an?“

      „Mit was Kleinem“, beschwor Socke, „was Kleines. Versuch die Wollmaus.“

      Driftwood stutzte. „Was, die Wollmaus? Hier draußen? Ein Windstoß und wir können den Rest der Nacht meinen Kopf suchen. Das ist Murks, Socke, großer Murks ist das.“

      „Dann die dunkelste Nacht“, schlug Socke aufgeregt vor. Driftwood schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber es ist bereits ziemlich dunkel hier.“ „Aber ein paar Sterne leuchten hell am Himmel. Und das Mondlicht?“

      „Pah, die paar kläglichen Funzeln. Das hätte doch gar keinen Effekt bei all den Wolken. Nein, wir brauchen etwas mit einem eindeutigen Ergebnis. Ich will wissen, wo wir stehen. Ich weiß was. Warte hier!“

      Blitzschnell verschwand Driftwood zwischen den Bäumen. Nachtalben können sich sehr schnell bewegen, wenn sie wollen. Dass Driftwood dabei ein gewaltiges Getöse veranstaltete, kam daher, dass er sich einfach keine Mühe gab, leise zu sein. Socke blieb allein zurück. Er wippte unruhig von einem Bein auf das andere. Obwohl Nachtalben in der Dunkelheit sehen, war Socke nachts nicht gern alleine. Driftwood hingegen war sich sicher, dass er es war, vor dem man Angst haben sollte in der Dunkelheit. Er zertrat jeden morschen Ast und schlurfte durch jeden trockenen Laubhaufen. Dabei fluchte er so laut, dass Socke ganz rote Ohren bekam. Driftwoods Taktik war, sich wie eine Gruppe von riesig großen und völlig wahnsinnigen Trollen aufzuführen. Darum machte er stets beeindruckend viel Krach und hinterließ so auffällige Spuren, dass jeder mögliche Verfolger denken musste, dass hier etwas vorbei gekommen war, das es überhaupt nicht nötig hatte, leise zu sein. Wer wäre da nicht


Скачать книгу