Dämonentreue. Dagny Kraas

Dämonentreue - Dagny Kraas


Скачать книгу
antwortete nicht, und nach einer Weile sprach Cridan weiter:

      »Daher rührt Euer Entsetzen im Lagerhaus – davon abgesehen, dass Ihr vermutlich noch nie leibhaftig gesehen habt, was ein T'han T'hau wirklich anrichten kann. Das hat Euch verständlicherweise erschreckt, aber Euer Entsetzen hat einen anderen Ursprung: Ihr habt Euch gefragt, ob Ihr die richtige Entscheidung getroffen habt. Ob nicht vielleicht der Schlächter der Dämonen doch Recht hatte, als er versuchte, die T'han T'hau zu vernichten. Für einen Moment tauchte die Vorstellung in Euch auf, dass wir ganz Gantuigh in ein solches Blutbad stürzen könnten – und dass es Eure Schuld wäre, wenn es so käme.«

      Er beugte sich vor, legte beide Hände flach auf den Tisch und sah Mert an. Der Mann wich seinem Blick nicht aus, obwohl Cridan spürte, wie viel Mühe es ihn kostete.

      Ein, zwei Herzschläge lang starrten sie sich an. Dann lehnte Cridan sich wieder zurück.

      »Es liegt nicht in meiner Absicht, in Gantuigh ein Blutbad anzurichten«, sagte er ruhig. »Oder irgendwo anders, so lange es sich vermeiden lässt. Und in Tikos Absicht noch viel weniger. Er ist vermutlich der friedliebendste T'han T'hau, den ich jemals kennengelernt habe. Oh, versteht mich nicht falsch«, er hob eine Hand. »Das macht ihn nicht ungefährlicher. Er denkt nur länger und gründlicher darüber nach, ob und wie er jemandem den Kopf abreißt. Er hätte vielleicht die vierte Möglichkeit gefunden, die Ihr und ich nicht sehen können. Und genau das ist der Grund, weshalb er alles ist, was wir haben. Nur ein König wie Ratiko'khar kann die T'han T'hau noch retten. Denn ein König wie Skatarhak hat uns ins Verderben gestürzt.«

      Er seufzte tief.

      »Wie gesagt, ich beginne zu verstehen. Ich verstehe, weshalb Ihr für Sureth sucht – und auch für Euch selbst. Aber wie seid Ihr an Sureth geraten?«

      Mert trank den Rest aus seinem Becher, rieb sich mit der Hand über die Augen und schüttelte leicht den Kopf.

      »Das ist schnell erzählt. Ich lernte ihn auf meiner Suche nach der Geschichte der Dämonen kennen. Ich erwischte einen der Angestellten aus den Archiven dabei, wie er Dokumente entwendete – für Sureth. Ich drohte ihm damit, ihn bei Enod zu verraten, wenn er mir nicht sagte, für wen er die Dinge sammelte, und er knickte sofort ein. Ich beschloss, mit Sureth zusammenzuarbeiten. Damals war ich begeistert, jemanden gefunden zu haben, der meine Sicht der Dinge teilte und der mit der gleichen Beharrlichkeit die Spuren der Dämonen verfolgte. Und Sureths fragwürdige Art, an Informationen zu kommen, störte mich nicht sonderlich. Ich habe selbst auch nicht die höchsten Ansprüche an Moral.«

      Er verzog den Mund. »Sagt, ist noch etwas von dem Schnaps da? Es… sind keine einfachen Dinge, über die wir sprechen.«

      Cridan nickte, stand auf und nahm einen zweiten Krug aus dem Schrank. Mert hielt ihm seinen Becher hin, und Cridan schenkte ihm nach.

      Mert nahm einen bedächtigen Schluck, dann redete er weiter.

      »Wir tauschten unser Wissen aus, Sureth und ich. Ich verschaffte ihm Zugang zu den Archiven in L‘hunival, und er zeigte mir, was er noch gefunden hatte. Er hatte eine Menge gesammelt, aber da er selbst kein Alt-Gantuigh beherrscht, hat er sich auf Übersetzungen verlassen müssen, und die waren oft fehlerhaft.«

      Er machte eine kleine Pause.

      »Eines Tages kam Sureth mit dem Gedanken, dass es noch Dämonen geben müsse. Skatarhak müsse zu schlau gewesen sein, sich keine Hintertür offen gehalten zu haben. Und er sagte, er habe Hinweise gefunden. Ob ich nicht Lust hätte, meine Arbeit am Hof aufzugeben und für ihn auf die Suche zu gehen.«

      Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, setzte ihn ab und sah Cridan an.

      »Ich hatte Lust. Natürlich! Das Leben und die Arbeit am Hof waren entsetzlich eintönig und langweilig geworden, und die Frage, ob Sureth Recht haben könnte, brannte mir unter den Nägeln. So packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg, den Hinweisen, die wir hatten, nachzugehen. Mehr als drei Jahre war ich für Sureth unterwegs, bis ich Euch gefunden habe.«

      »Mehr als ein Jahrzehnt auf den Spuren der letzten T'han T'hau«, dachte Cridan laut nach. »Davon drei Jahre auf Reisen außerhalb Gantuighs. Ihr habt Unmengen an Zeit und Geld in diese Sache gesteckt! Dennoch glaubt Ihr nicht daran, dass eine Rückkehr gelingen kann. Weshalb nicht?«

      Mert antwortete nicht gleich, und als er es schließlich tat, war seine Stimme leise.

      »Weil ich nicht glaube, dass man diese Kluft überwinden kann. Die Menschen und die T'han T'hau haben einander so viel angetan, dass es mir schwer vorstellbar erscheint, diese Dinge vergessen zu können.«

      »Niemand muss vergessen«, entgegnete Cridan langsam. »Im Gegenteil. Niemand sollte vergessen, was die Menschen den T'han T'hau angetan haben, und was daraus wurde. Wie es die Völker von Gantuigh zerriss. Das darf man nicht vergessen! Aber man muss es vergeben.«

      »Vergeben?« Mert lachte. Es klang bitter. »Sagt mir, Cridan, seid Ihr gut im Vergeben?«

      Cridan schwieg eine lange Zeit.

      »Nein«, sagte er dann ehrlich. »Das bin ich nicht. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht versuchen würde.«

      Mert stürzte seinen Becher hinunter, knallte das leere Trinkgefäß auf die Holzplatte, stand auf und beugte sich über den Tisch. Sein Blick bohrte sich in den von Cridan, und in seinem Atem lag der deutliche Geruch des Alkohols.

      »Ihr versucht es? Verdammt noch mal, haltet den Mund! Ihr wisst doch gar nicht, wovon Ihr da redet! Ihr seid der unheimlichste T'han T'hau, dem ich je begegnet bin! In meinem ganzen Leben hat mir nichts auch nur annähernd solche Angst eingejagt wie Ihr! Und wisst Ihr auch, warum? Weil Ihr unberechenbar seid! Ich habe eine Menge von Euch Dämonen kennengelernt, und keiner war wie Ihr. In einem Moment sitzt Ihr ruhig lächelnd da, voll kluger Wortgewandtheit und wohl überlegten Gedanken, und im nächsten seid Ihr ein todbringender Dämon, der zerfetzt und niedermetzelt, was immer ihm im Wege steht. Ich will gar nicht wissen, wie viele Ihr getötet haben mögt. Ich will nicht einmal daran denken! Und doch muss ich jedes Mal, wenn ich Euch ansehe, innerlich zittern. T'han T'hau sind nie leicht zu durchschauen, ihre Miene verrät nie besonders viel, aber Euer Gesicht, Cridan, Euer Gesicht ist gruselig! Man weiß nie, woran man bei Euch ist! Ihr… Ihr schlachtet Menschen ab, ohne eine Miene zu verziehen, und gleich darauf lächelt Ihr, als sei nie etwas gewesen! Die ganze Zeit frage ich mich, ob Ihr ein so verdammt guter Schauspieler seid – was erschreckend genug wäre – oder noch viel schlimmer! Ich wünschte, das alles sei nur aufgesetzt, gespielt, berechnet und kalt, aber was mir wirklich Angst macht, ist die Vorstellung, dass es nicht so ist! Die Vorstellung, dass es Euch tatsächlich nichts ausmacht, einen Menschen in einem Wimpernzucken zu töten! Dass es für Euch normal ist, so zu denken und zu handeln! Die Selbst­verständlichkeit, mit der Ihr Eurem Handwerk«, er spuckte das Wort geradezu aus, »nachgeht, ist abgrundtief Grauen erregend! Ihr seid so verflucht unheimlich, dass ich wünschte, wir wären uns niemals begegnet!«

      Er ließ sich zurückfallen. Sein Atem ging schwer, und auf seiner Stirn glänzte Schweiß.

      »Und jetzt tut mir den Gefallen und lasst mich endlich allein! Ich muss schlafen.«

      Wortlos stand Cridan auf, stieg die Treppe hinauf, trat an Tiko vorbei und sprang über die Reling des Achterdecks ins Wasser.

      Tiko fuhr herum, den Mund schon geöffnet, doch als er sah, dass Cridan das Seil, mit dem er das Netz an der Araora befestigt hatte, mit der Rechten gepackt hatte und sich hinter dem Schiff herziehen ließ, schloss er den Mund und wandte sich wieder nach vorn.

      Cridan hatte sich auf den Rücken gedreht, spürte, wie das kalte Wasser seinen Körper umspülte, wie das Gewicht des Waffengürtels ihn nach unten zog, und starrte in den blauen Himmel hinauf.

      Merts Worte hatten ein seltsames Gefühl in ihm hinterlassen.

      5. Kapitel – Eine stürmische Wendung

      Cridan stand am Steuerrad der Araora. Der Wind hatte in der Nacht aufgefrischt und die Richtung geändert, und so war er gezwungen


Скачать книгу