Der EMP-Effekt. Peter Schmidt

Der EMP-Effekt - Peter Schmidt


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dass Ihre Arbeit für den Menschen da ist, nicht umgekehrt. Ihre Vorschriften sind nur Krücken.»

      Zufrieden registrierte er die Sprachlosigkeit im Blick des anderen. Wagner hörte geflissentlich darüber hinweg. Er nahm an einem der Monitore Platz.

      «Sie dürfen es sich als seltenes Privileg anrechnen, bis hierher vorgedrungen zu sein», meinte er, nachdem er Kargas Daten eingegeben hatte; dabei nahm er einen Zigarillo aus der Hemdentasche und steckte ihn sich kalt zwischen die Lippen.

      Karga nickte und beobachtete aufmerksam die Datenreihen auf dem Bildschirm.

      «Eintritt in die DKP März 1981 – Austritt drei Wochen später. Nach eigenen Angaben, weil Sie einer gewalttätigen Demonstration beiwohnten, die Sie nicht gutheißen konnten. Vermummte Mitglieder der Partei schlugen mit Holzknüppeln Schaufensterscheiben ein. Stiefmutter in Karl-Marx-Stadt. Über Richard Thaube Kontakte zu linksextremistischen Kreisen. Reisen in den Ostblock. Für den Lehrerberuf als nur bedingt geeignet eingestuft.»

      «Was heißt bedingt? Ich bekam keine Einstellung.»

      «Sie wissen ja, wie heutzutage die Arbeitschancen für Junglehrer sind.»

      «Fragen Sie nach meiner Überprüfung.»

      Wagners schlanke Finger spielten über das Tastenfeld; die Schrift wurde invertiert und zeigte:

      NO

      «Was heißt das schon wieder? No kann alles mögliche bedeuten. Zum Beispiel keine Auskunft.»

      «Es heißt: Keine weiteren Überprüfungen. Sonst würde dort stehen: Informationszugang nur mit Code

      «Und meine Ausweispapiere? Ich habe schon vor mehreren Wochen einen Pass beantragt. Als ich ihn abholen wollte, kam mir auf mysteriöse Weise mein Personalausweis abhanden.»

      Wagner arbeitete wieder an der Tastatur. Nach einigen Versuchen schüttelte er den Kopf. «Darüber weiß die Anlage nichts.» Er betätigte eine Taste und ließ das Ergebnis ausdrucken. «Dies ist eine amtliche Bescheinigung», sagte er und reichte ihm das Papier. «Sie können sich jederzeit darauf berufen.»

      «Aber irgend jemand ist hinter mir her.»

      «Ich kann Ihnen nicht helfen, bedauere», sagte er freundlich. «Wenden Sie sich an die Polizei.»

      Sein alter Wagen war schrottreif. Er hatte für die Reise in drei Wochen einen neuen bestellt: einen roten Zweisitzer. Anja schätzte extravagante Fahrzeuge. Sie würden unabhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln sein.

      Mit Anjas Pass gab es offenbar keinerlei Probleme, auch das Visum für Rumänien war ohne Verzögerung ausgestellt worden. Karga war jetzt festen Willens, sein Recht auf Ausweispapiere einzuklagen. Noch bevor er den Wagen auf der Autobahn ausprobierte, würde er das in Ordnung bringen.

      Merkwürdigerweise bekam er sowohl seinen Pass wie auch den neuen Ausweis sofort ausgehändigt, als er seine Absicht ankündigte.

      «Ihre Papiere liegen schon seit vorgestern hier bereit», sagte das Mädchen hinter der Theke.

      Sie trug eine kreisrunde Brille. Die einzige modische Extravaganz, die sie sich leistete, schien eine dunkelrote, mit Eloxal eingefasste Plastikspange in ihrem altjüngferlichen Haarknoten zu sein. Karga schätzte sie auf höchstens achtundzwanzig.

      Als sie zum Karteikasten ging, sah er, dass ihre Füße in bequemen Schuhen mit flachen Absätzen steckten. Auf dem hellgemaserten Aktenschrank lag eine Butterbrotdose.

      Plötzlich ritt ihn der Teufel. Die Langeweile, die sie wie ein schlechtes Parfüm verströmte, war seine Chance. Er sah eine Möglichkeit, das Geheimnis zu lüften – auch wenn es nicht ganz die feine Art sein würde, die er eigentlich bevorzugt hätte.

      Neugierde korrumpierte nicht weniger als Habgier oder Eifersucht.

      «Sie sind ein Schatz …», stellte er fest und beugte sich mit möglichst einnehmender Geste über die Theke – den Arm lässig aufgestützt. «Für diese gute Nachricht sollte ich Sie eigentlich zum Essen einladen.»

      «Ende gut, alles gut», sagte sie, als habe sie den Satz eben erst erfunden.

      «Was halten Sie von einer kleinen Spritztour nach Dienstschluss? Ich bin gerade dabei, meinen neuen Zweisitzer auszuprobieren.»

      «Eine Autofahrt?» Sie musterte ihn neugierig.

      «Mit dem Sportwagen. Einmal um den Autobahnring.»

      «Beim schnellen Fahren bekomme ich leicht Schluckauf.»

      «Dann halten wir sofort an.»

      «Ehrenwort?»

      «Was denken Sie? Ich muss schließlich auf meinen guten Ruf bei den Ämtern denken», meinte er zweideutig.

      Sie verzog keine Miene. «Alles in allem sehen Sie ja nicht aus wie ein Notzuchtverbrecher», sagte sie und schob ihren dunklen Haarknoten zurecht.

      4

      Die beiden Männer trugen steif wirkende graue Hüte. Als sie an der Ampel hielten, nahm der Beifahrer seinen Hut für einen Augenblick ab und strich mit den Fingerkuppen über die Einbeulung. Es war mehr eine Verlegenheitsgeste: er fühlte sich zur Untätigkeit verdammt.

      Sein schwarzes Haar war sorgfältig gescheitelt und gekämmt. Sie folgten dem roten Sportcoupé jetzt über eine Dreiviertelstunde, das machte ihn nervös und ungeduldig. Er hatte sich vorgestellt, dass sie ihr Geld leichter verdienen würden.

      Alles hatte viel weniger kompliziert geklungen – nicht einfach, aber machbar. Nun jagte dieser Bursche mit dem Mädchen schon zum drittenmal über den Autobahnring, als gelte es eine ganze Kolonne Streifenwagen abzuhängen.

      Der andere Mann saß nur dumpf brütend über dem Steuer und zischte hin und wieder durch die unmerklich geöffneten Zähne. Er war etwas älter, seine Finger fühlten sich verschwitzt an. Er wurde von dem Wunsch gepeinigt, es endlich hinter sich zu bringen. Wie man ihnen gesagt hatte, würden sie nachher vielleicht vor Gericht aussagen müssen; aber das verursachte ihm weniger Unbehagen als der Unfall.

      Im Augenblick bezweifelte er sogar, dass der dritte Wagen noch hinter ihnen war. Er mußte sie verloren haben, denn sooft er auch in den Rückspiegel sah, konnte er ihn nirgends entdecken.

      Der Auftrag des anderen Wagens verlangte viel mehr Fahrkunst: er mußte blitzschnell reagieren, die günstigste Straße abpassen, dann mit überhöhter Geschwindigkeit den Häuserblock umrunden, Ampeln eingerechnet, und genau im passenden Augenblick auf der Kreuzung sein. Da er seinen Fahrer ebenso wie den Mann mit dem Geld nie zuvor gesehen hatte, wusste er nicht, ob er seiner Aufgabe gewachsen sein würde.

      Der Mann ohne Namen hatte sie in einer Kneipe hinter dem Römisch-Germanischen Museum aufgegabelt. Sie verbrachten dort die meisten Abende, weil sie beim Wirt Kredit besaßen.

      Sein Äußeres wirkte so unauffällig wie die Art, in der er sprach; er trug einen dreiviertellangen Ledermantel mit hellem Kragenbesatz, seine Hände waren unberingt, die Finger weder gelb vom Zigarettenrauch noch ungewöhnlich gepflegt, als versuchten sie auf diese Weise ihre Anonymität zu unterstreichen, und er sprach mit leiser, akzent- und dialektfreier Stimme auf sie ein. Nicht eindringlich, aber bestimmt.

      Seine Stimme klang eher, als sei es längst ausgemacht, dass sie seinen Vorschlag akzeptieren würden: als ginge es nicht mehr um das Ob sondern nur noch um das Wie.

      Dabei nannte er eine Summe, die ihnen für Augenblicke die Sprache verschlug …

      Nach einem Vorgeplänkel hatten sie das Lokal gewechselt: mit dem Taxi zum Hinterzimmer eines Cafés im Norden der Stadt. Er schien alles über sie zu wissen: dass der eine geschieden war und zwei Töchter versorgte, die sich noch in der Ausbildung befanden.

      Und dass sein Freund wegen einer Vorstrafe kaum damit rechnen konnte, jemals wieder in seinen alten Beruf zurückzukehren, jetzt, in diesen schlechten Zeiten, wo es für jeden guten


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